Angst, dass es so schlimm wird wie in Hamburg

  30 November 2018    Gelesen: 719
Angst, dass es so schlimm wird wie in Hamburg

Argentinien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, den meisten Menschen geht es schlecht - trotzdem richtet das Land den G20-Gipfel aus. Buenos Aires richtet sich auf Krawalle ein. Wer kann, verreist. Wer das nicht kann, fürchtet sich.

Zuletzt gehen die, die nicht wissen wohin. Guillermo zum Beispiel. Seit zehn Jahren lebt er auf der Straße, an der Ecke Florida und Diagonal Norte, im Zentrum von Buenos Aires. "Gleich räumen sie die Innenstadt. Wo soll ich denn heute schlafen? Ich werde wie ein herrenloser Hund herumstreunen", sagt der 64-jährige Schuhputzer, der seinen Nachnamen nicht nennen will.

Sein Hab und Gut passt in eine Klappkiste: Zwei Decken, eine Waschbürste, mehr als zwanzig verschiedene Schuhcremesorten. Dann sagt er das, was viele in Argentinien über den G20-Gipfel denken: "Was das alles kostet, dieses Sicherheitsaufgebot! Argentinien kann sich einen solchen Gipfel nicht leisten. Aber die Bürger sind den Politikern doch egal."

Krankenhäuser haben OPs abgesagt

Das Zentrum von Buenos Aires gleicht seit Donnerstagabend einer Geisterstadt. Übermannshohe Metallbarrieren versperren die Zugangsstraßen. U-Bahnen und Züge fahren nicht mehr. Der Freitag wurde zum Feiertag erklärt. In den Krankenhäusern wurden alle Operationen abgesagt, um im Falle eins Anschlags genügend Kapazitäten zu haben.

Sicherheitsministerin Patricia Bullrich riet den Menschen, die Hauptstadt übers Wochenende am besten gleich ganz zu verlassen. Eine heikle Empfehlung in Zeiten der Wirtschaftskrise: Wer am Monatsende kaum noch genug Geld für Essen hat, wird wohl kaum übers Wochenende in den Kurzurlaub gehen können.

Der G20-Gipfel findet in diesem Jahr in einem Land statt, in dem derzeit ohnehin beinahe täglich demonstriert wird. Die Inflation liegt bei um die 40 Prozent, Preise für Lebensmittel stiegen im vergangenen Jahr sogar noch mehr an. Viele können kaum noch das Nötigste kaufen, denn die Gehälter ziehen nicht oder zu wenig mit. Dazu kommen empfindliche Sparmaßnahmen, etwa für Bildung und im Gesundheitssystem.

"Raus mit dem G20, raus mit dem IWF"

Das Motto der Proteste gegen den G20 spiegelt die Wut vieler Argentinier auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) wider, bei dem das Land seit Kurzem wieder hoch verschuldet ist: "Fuera G20, fuera FMI", auf deutsch: Raus mit dem G20, raus mit dem IWF. Denn der Kredit vom Währungsfonds geht mit Sparauflagen einher. "Die G20-Staaten treffen sich, um die gleiche Politik, die auch der IWF verfolgt, weiter voranzutreiben", erklärt Anti-G20-Mitorganisatorin Beverly Keene vom Bündnis Confluencia Fuera G20 FMI.

Die Folgen dieser Politik seien: Hunger in der Bevölkerung, die Privatisierung öffentlicher Güter, Entlassungen und Altersarmut. Deshalb demonstrierten sie gegen G20 und IWF zugleich. Die größte Demonstration ist für den Freitagnachmittag angekündigt. Doch die Organisatoren befürchten, dass die Menschen wegbleiben, weil viele schlicht nicht wissen, wie sie ohne Züge und U-Bahn ins Zentrum kommen sollen. Dazu habe die Regierung versucht, Angst in der Bevölkerung zu schüren, sagt Keene: "Der Protest auf der Straße wird dämonisiert und wir können nur hoffen, dass es keine Repression von Seiten der Sicherheitskräfte gibt."

Manuel Tufró von der Menschenrechtsorganisation CELS (Centro de Estudios Legales y Sociales) bestätigt: "Die Botschaft von Regierungsseite ist klar: Gehen Sie besser nicht auf die Straße. Aber: Die Menschen haben ein Recht darauf, zu protestieren." Bei Demonstrationen habe es in letzter Zeit immer wieder willkürliche Verhaftungen gegeben, erklärt der Sozialwissenschaftler. Außerdem hätten Sicherheitskräfte auf Demonstranten eingeprügelt und mit Gummikugeln sogar ins Gesicht geschossen.

"Hamburg grüßt Buenos Aires"

Während die Finanzminister zuletzt im abgeschirmten "Convention Center" Rindfleisch und zum Dessert Crème brulée aßen, begleitet von Malbec-Rotwein, feierten G20-Gegner auf dem Platz vor dem Kongressgebäude. Darunter auch eine Gruppe aus Hamburg und Berlin.

"Wir sehen Parallelen zum G20-Gipfel in Hamburg", sagt ein Vertreter der Interventionistischen Linken (IL), einer linksradikalen Organisation, die die Proteste im letzten Jahr in Hamburg mitorganisiert hat. 217 hatte es in der Hansestadt teils schwere Ausschreitungen und Straßenschlachten von G20-Gegnern und Krawalltouristen mit der Polizei gegeben.

"Die Stimmung ist ähnlich. In Hamburg wurde ebenfalls versucht, die Leute davon abzubringen, auf die Straße zu gehen. Und es lag wie jetzt in Buenos Aires eine gewisse Unsicherheit in der Luft: Man weiß nicht, ob die Demonstration von der Polizei beschützt oder angegriffen werden wird."

Sogar ein Soundsystem haben die deutschen Demonstranten dabei. Auf ihrem Banner steht: "Hamburgo saluda a Buenos Aires", Hamburg grüßt Buenos Aires. Ihr Ziel: Wir sind Internationalisten und wollen zeigen, dass es ein gemeinsamer, globaler Kampf ist. Themen wie Klimawandel oder auch Kriege wie in Syrien oder der Ukraine gehen uns natürlich weiter alle an, egal wo der G20 stattfindet", sagt der Berliner Daniel Knopp. "G20 ist Teil des Problems - und keine Lösung."

Wie gut sind die Sicherheitskräfte vorbereitet?

Baby-Trump ist auch dabei. Feist und orange schwebt die mit Helium gefüllte, aufblasbare Ballon-Puppe vor dem Kongressgebäude. Längst ist sie zum Symbol der Proteste gegen US-Präsident Donald Trump und gegen die Weltordnung geworden. "Da darf sie doch beim G20 nicht fehlen!", sagt Rob Kennedy. Der US-Amerikaner hat die aufblasbare Puppe, eine von sieben weltweit, in einem Koffer mit nach Buenos Aires gebracht.

Angespannt ist die Stimmung in Argentinien dennoch. Denn die Frage ist auch: Wie gut sind die Sicherheitskräfte wirklich auf den Gipfel vorbereitet? Zu gut ist das abgesagte Fußballspiel zwischen River Plate und Boca Juniors von vergangener Woche im Gedächtnis, bei dem die Polizei der Stadt Buenos Aires nicht einmal in der Lage war, einen Mannschaftsbus ausreichend zu schützen.

Die Sicherheitsministerin hatte vor dem Spiel noch flapsig gesagt: "Wir haben hier den G20-Gipfel, da sollen wir nicht ein Spiel zwischen River und Boca in den Griff bekommen können?" Heute ist klar: Die Polizei konnte nicht einmal die Fußballer sicher zum Stadion geleiten. Das dürfte für den Besuch von Trump, Putin und Co. wenig Gutes verheißen.

spiegel


Tags:


Newsticker