Extremisten-Chats, Fotos, viele Fragen

  21 Dezember 2018    Gelesen: 581
  Extremisten-Chats, Fotos, viele Fragen

Was steckt hinter den mutmaßlichen Ausspäh-Aktionen am Stuttgarter Flughafen? Nach SPIEGEL-Informationen überlagerten sich zeitweilig zwei Vorfälle, die nun doch nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.

Als Mitte der Woche schwerbewaffnete Polizisten der Bundespolizei-Eliteeinheit BFE+ im Flughafen Stuttgart aufzogen, war klar, dass es sich nicht um reine Routine handelte. Schnell kam die Rede auf Ausspähversuche, von einem verdächtigen Gefährder und möglichen Helfern wollten Medien erfahren haben, von einem Terror-Quartett, entschlossen und zu allem bereit.

Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen vier Personen ein Ermittlungsverfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat eingeleitet. Am Freitagmorgen ließ sie deren Wohnungen durchsuchen, in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Doch was steckt dahinter? Wie kam es zu dem Aufsehen erregenden Einsatz am Flughafen?

Nach SPIEGEL-Informationen stand am Anfang ein Hinweis des marokkanischen Geheimdienstes, der Deutschland am 3. Dezember erreichte. Das geht aus vertraulichen Dokumenten der Sicherheitsbehörden hervor. Die Agenten aus Rabat hatten aufgefangen, dass ein Mann, der sich Nabil Abu O. nannte und sich als ein in Frankfurt lebender Syrer ausgab, mit einer in Nordafrika lebenden 21-Jährigen vertrauliche Botschaften austauschte - via Facebook.

Doch die Nachrichten glitten schon bald ins Extremistische ab.

Er plane, so schrieb der vermeintliche Abu O., gemeinsam mit anderen einen Anschlag auf ein prominentes Ziel, etwa auf einen Flughafen an der deutsch-französischen Grenze. Und das Ganze in der Weihnachtszeit, weil die für die "Bewohner des Westens" so wichtig sei. Die Behörden waren alarmiert.

Zehn Tage später stellten Sicherheitskräfte in Paris fest, dass zwei Männer an einem Donnerstagabend Bilder vom Flughafen "Charles de Gaulle" machten. Als Beamte sie ansprechen wollten, fuhr das Duo in einem weißen Mercedes-Sprinter davon. Der Wagen, zugelassen im nordrhein-westfälischen Aachen, führte zu Abdellah A., 48, den die nordrhein-westfälischen Behörden der salafistischen Szene zuordnen. Er ist jedoch nicht als Gefährder eingestuft. Die Beamten gehen davon aus, dass unter anderem sein 21-jähriger Sohn Ilias, ebenfalls wohl Salafist, jedoch kein Gefährder, die Erkundungsfahrt nach Paris unternommen haben könnte.

War er vielleicht ein Komplize von Abu O., fragten sich die Ermittler?

Und dann kam auch noch heraus, dass einen Tag vor der merkwürdigen Begebenheit in Paris zwei Männer sich ganz ähnlich am Flughafen Stuttgart verhalten hatten. Auch dort machte am Abend des 12. Dezember ein Duo Bilder - vor allem in den Terminals zwei und drei. Staatsschützer aus Nordrhein-Westfalen meinten auf den Aufnahmen der Flughafen-Überwachungskameras Ilias A. zu erkennen sowie den ebenfalls aus Aachen stammenden Salafisten Faras A.-S., 23. Gegen sie wird nun ermittelt - wie auch gegen den Vater Abdellah A.

Fotos an Flughäfen zu machen, ist womöglich verdächtig, aber kaum strafbar

In einer internen Analyse kam das Stuttgarter Landeskriminalamt zu dem Ergebnis, ein "gefährdendes Ereignis" sei als wahrscheinlich anzusehen: "Stufe 3". Die Polizei nutzt eine Skala, mit der sie bewertet, ob ein Risiko sich tatsächlich realisieren könnte - sie reicht von eins ("Mit einem gefährdenden Ereignis ist zu rechnen") bis acht (keine Gefahr).

Die Ausspähungen, das merkwürdige Verhalten an den beiden Flughäfen, hat es nach Einschätzung der Staatsschützer gegeben, mutmaßlich steckten eben Salafisten dahinter. Doch welchem Zweck es diente, ist noch unklar. Fotos an Flughäfen zu machen, ist womöglich verdächtig, aber kaum strafbar. Es wird daher viel daran hängen, was die Beamten bei den Durchsuchungen finden können. Sie suchen vor allem nach Aufzeichnungen, aus denen sich etwaige Pläne der Verdächtigen ergeben könnten.

Und die Nachrichten aus Marokko? Die Ankündigungen von Abu O.? Es scheint sich eher um das Prahlen eines kriminellen Gernegroß zu handeln.

Die Ermittlungen führten jedenfalls nicht zu einem 27-jährigen Syrer in Frankfurt, als der sich Abu O. seiner Chatpartnerin gegenüber ausgegeben hatte, sondern zu dem aus dem Libanon stammenden zweifachen Vater M., der in einem Kaff in Baden-Württemberg lebt.

M. ist 28 Jahre alt und wegen Schleusungskriminalität bekannt, jedoch nicht als Islamist. Bis zum Sommer lebte er noch im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen, dann zog er in den Süden der Republik. Derzeit wird auch gegen ihn ermittelt. Bislang gebe es allerdings keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen den Ausspähungen und den Nachrichten des Abu O., heißt es in Sicherheitskreisen.

Überhaupt fehlen den Experten von Bund und Land jegliche Hinweise, dass M. alias Abu O. tatsächlich Anschläge plante. Es sei jedenfalls "äußerst ungewöhnlich", heißt es in einer internen Analyse der Polizei, dass Dschihadisten Attentatsvorhaben Personen gegenüber offenbarten, die ihnen vollkommen fremd seien - wie es Abu O. via Facebook eben getan hatte.

Es sei daher in Betracht zu ziehen, so formulierte es ein Kriminalist, dass M. sich vor seiner jungen Chatpartnerin nur habe aufspielen wollen. Zumal die Frau womöglich nach Deutschland zu reisen beabsichtigt.

spiegel


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