Christian Prokop hatte nicht zu viel versprochen: "Ich spüre, dass ich die Mannschaft nur noch loslassen muss", hatte der Trainer der deutschen Handballer kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft verkündet. Und tatsächlich gebärdeten sich seine Spieler beim Auftaktmatch gegen Korea wie junge Rennpferde, die in dem Moment entgegenfiebern, an dem sie endlich von der Box auf das Geläuf entlassen werden. Das Adrenalin, das jeder einzelne Athlet versprühte, war bis unter das Dach der mit 13.500 Besuchern ausverkauften Arena am Berliner Ostbahnhof zu spüren, es knisterte förmlich. Als Steffen Fäth seinen ersten Schlagwurf aus dem Rückraum im Tor versenkte, brüllte er seinen Triumph heraus und setzte zu einem Jubellauf an, als habe er soeben den entscheidenden Treffer in der Verlängerung des Finales ins Ziel gebracht.
Dabei waren doch erst wenigen Minuten im Auftaktmatch absolviert. Nicht gegen einen Giganten des Welt-Handballs, sondern gegen den Zwerg aus Korea. Nichts Besonderes also, sondern lediglich der erste von vielen Schritten auf dem Weg zum Gipfel einer hoffentlich glorreichen Heim-WM. Im Verlauf der Begegnung kochten die Emotionen noch einige Male hoch, zum Beispiel, als Kapitän Uwe Gensheimer seinem Gegenspieler Syoung Jung am Kragen packte und nur mit physischer Überzeugungskraft davon abgehalten werden konnte, nicht wirklich körperlich übergriffig zu werden.
Ganz klar, es geht um viel bei diesen Titelkämpfen vor heimischem Publikum, aber so heiß zu laufen gegen einen international allenfalls zweitklassigen Gegner wie Korea, das verblüffte dann schon. Am Ende gab es einen standesgemäßen 30:19 (17:10)-Erfolg, der zu keinem Zeitpunkt infrage stand.
Druck macht nervös
Der Druck ist ganz offensichtlich enorm hoch beim Schaulaufen vor heimischen Publikum, das nicht nur die Spieler und der ganze Verband als einmalige Chance betrachten. Die einen, um der Karriere die Krone aufzusetzen, die anderen, um eine ganze Sportart auf ein neues Level zu hieven. "Wir waren schon ein bisschen nervös", verriet Linksaußen Matthias Musche nach dem Abpfiff in der Pressekonferenz: "Schließlich ist es der Traum jedes Spielers, bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Land antreten zu dürfen."
Der Anfang ist gemacht, doch große Rückschlüsse auf die wahre Leistungsfähigkeit der deutschen Mannschaft ließen die 60 Minuten nicht zu. Dafür leistete der Gegner aus Asien viel zu wenig Gegenwehr. Stellvertretend für das gesamte Team gab Rückraumspieler Steffen Weinhold zu Protokoll, es sei schön, "dass es jetzt losgegangen ist. Aber wo wir wirklich stehen, wissen wir erst später." Kapitän Uwe Gensheimer stimmte dem zu, indem er betonte, es sei "optimal, zum Auftakt gegen einen Gegner wie Korea spielen zu können". Der starke Torhüter Andreas Wolf betonte, er freue sich darauf, "wenn das Turnier am Samstag gegen Brasilien richtig losgeht".
Reichmann macht Spontanurlaub
Ein echter Prüfstein war die Partie gegen hoffnungsvoll überforderte Koreaner wahrlich nicht. Aber zumindest schon mal ein lockerer Auftakt vor stimmungsvoller Kulisse, wobei im Team Deutschland nicht alles ganz reibungslos läuft. So verabschiedete sich der überraschend aus dem WM-Kader ausgebootete Tobias Reichmann, der beim Gewinn des EM-Titels 2016 in Polen noch bester deutscher Torschütze war, nach seiner Nichtberücksichtigung mit einem spitzen Kommentar zu einem Kurztrip in die USA. "Ich bin dann mal weg. Wieso, weiß ich gar nicht genau... Ahhh, doch... Spontanurlaub", schrieb der 30 Jahre alte Rechtsaußen vom Bundesligisten MT Melsungen auf Instagram und postete dazu ein Bild von sich am Flughafen.
Hanning und die Mode
Reichmanns Statement bedeutet – wenn überhaupt – nur ein kleines Störfeuer, das deutsche Team befindet sich auch ohne den zwangsurlaubenden Kollegen längst im WM-Modus. Da sollten auch Auftritte wie die des DHB-Vizepräsidenten Bob Hanning, der kurz vor WM-Beginn bei einer Pressekonferenz einen äußerst auffälligen Pullover mit goldenen Raubkatzen trug, nur für eine Randnotiz taugen. De facto sorgt das Foto im Netz für ein großes Hallo und hat sich ruckzuck zum Selbstläufer entwickelt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass dieses edle Kleidungsstück von Versace sein soll und dem Vernehmen nach knapp 2000 Euro kostet. Das alles vor dem Hintergrund des Statements von Hanning, der betonte, Handball wolle sich als "bodenständige und nicht abgehobene Alternative zu Fußball" inszenieren. Um dieses Bekenntnis zu visualisieren, wäre ein graues Sweatshirt vom Grabbeltisch mit Sicherheit zielführender gewesen.
Nun forderten Witzbolde bereits, das extravagante Shirt als Dienstkleidung für alle DHB-Offiziellen einzuführen. Auch andere Beobachter fühlen sich zu Spott inspiriert. Wie zum Beispiel der Erstligist TBV Lemgo, der auf Facebook ein Foto seines neuen Trikots postete, das verblüffende Ähnlichkeit mit Hannings Outfit aufwies. Dazu schrieb der Klub: "Heute ist Trikottag! Seit Wochen grübeln wir, wie unser Trikot 19/20 aussehen soll, seit gestern haben wir die Lösung. Oder doch nicht?" Wie schön, dass am Samstag wieder Handball gespielt wird. Gegen Brasilien, die haben auch schöne Leibchen.
Quelle: n-tv.de
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