Die Bilder vom Flammeninferno in Lac-Mégantic vor fünfeinhalb Jahren haben sich ins Gedächtnis der Kanadier und Amerikaner eingebrannt. Kurz nach Mitternacht am 6. Juli 2013 entgleist in der Kleinstadt südlich von Québec ein führerloser Güterzug, voll beladen mit Rohöl. Mehrere Kesselwagen explodieren. Eine Feuerwalze frisst sich durch die Stadt und radiert das Stadtzentrum praktisch aus. 47 Menschen sterben.
"Nordamerikas Ölindustrie ist außer Kontrolle", klagt ein Aktivist der US-Bürgerinitiative Oil Change International ein Jahr später bei einer Gedenkfeier. Industrieprofite hätten Vorrang, Sicherheit sei zweitrangig. Die Öltransporte nennt er "Bombenzüge".
Scheinbar wird der Ruf der Bürger danach erhört. Die Öl-Transporte nehmen auf der Schiene ab. Auch die Sicherheitsbestimmungen werden verschärft. Gänzlich zum Erliegen kommt der Schienentransport für Öl jedoch nicht. Nun dreht sich der Trend wieder um. Und die Angst vor einem tödlichen Desaster wie 2013 fährt wieder mit.
Schuld am boomenden Güterverkehr hat der Facking-Boom. Die USA produzieren so viel Röhöl wie nie zuvor. Im August werden es in Nordamerika mehr als 15,6 Millionen Barrel täglich, das ist laut der US-Energiebehörde noch mal 17 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Weil das Pipeline-Netz praktisch aus allen Nähten platzt, bleibt den Öltransporteuren nichts anderes übrig, als wieder verstärkt auf die Schiene auszuweichen.
Vergangenen Oktober durchquerten so rund 718.000 Barrel Rohöl Tag für Tag das Land. Das ist nicht nur annähernd doppelt so viel wie im Jahr zuvor, sondern auch ein dramatischer Sprung Richtung altem Rekord: Zu den Hochzeiten wurde 2014 gut eine Million Tonnen Rohöl per Schiene transportiert, zitiert das "Wall Street Journal" Daten der US-Energiebehörde EIA. Umgerechnet entsprach das damals 130 Zügen mit je 100 Waggons.
Vor allem die Kanadier seien zuletzt gezwungen gewesen auf Ölzüge umzuschwenken, schreibt das Blatt weiter. Wegen Umweltstreitigkeiten seien Projekte zur Erweiterung es heimischen Pipelinenetzes ins Stocken geraten. Die USA tragen zu dieser Renaissance zusätzlich bei. Denn auch die Öltransporte aus North Dakota, wo das Öl als besonders explosiv gilt, Texas und Neu Mexiko sind deutlich gestiegen.
Nach dem tödlichen Inferno von Québec hatten sich die Gemüter vor allem daran entzündet, dass von den 94.000 Tankwaggons, die damals im Einsatz waren, lediglich 15 Prozent die geltenden Sicherheitsvorschriften erfüllten. Wie sicher die Züge heute sind, darüber gibt es keine Angaben.
Solange die Bohrer das Öl schneller ans Tageslicht befördern als neue Röhren verlegt werden, dürften die rollenden Zeitbomben nicht aus dem Landschaftsbild verschwinden. Obwohl dieser Transportweg einen hohen Preis hat: Laut Experten kostet der Weg von Kanada an die Golfküste per Schiene 20 Dollar je Barrel, gut sieben Dollar mehr als beim Transport durch eine Pipeline.
Genau das ist der Grund, warum sich Eisenbahnunternehmen mit Investments in die Sicherheit zurückhalten. Die Nachfrage nach Öltransporten auf der Schiene könnte schnell wieder nachlassen, zitiert das "WSJ" den Chef der Union Pacific Corporation, Lance Fritz. Pipelines werden so dauerhaft attraktiver bleiben. Am Ende werde immer der Preis entscheiden, sagt ein Analyst von RBN Energy der Zeitung.
Große Unglücke gab es in jüngerer Zeit nicht mehr. Im Juni vergangenen Jahres entgleisten aber 14 von 32 Tankwagen eines Zuges im US-Bundesstaat Iowa, rund 870.000 Liter Rohöl ergossen sich dabei in einen Fluss. Vermutlich hatte ein Hochwasser den Boden unter den Schienen weggespült. Der vorerst letzte Ölzug verunglückte Ende September auf einer Flussquerung ebenfalls in Iowa. Verletzt wurde zum Glück niemand.
n-tv
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