Nord Stream 2 russischer Spaltpilz für Europa? – Experte über angebliche Interessen

  04 Februar 2019    Gelesen: 1041
  Nord Stream 2 russischer Spaltpilz für Europa? – Experte über angebliche Interessen

Die Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 sorgt weiter für Diskussion. Seine Gegner, zumeist aus Osteuropa und aus den USA, versuchen, es mit verschiedenen Mitteln zu torpedieren. Sputnik hat darüber mit Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), gesprochen.

Dr. Meister, was ist das Problem bei der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die zum Zankapfel geworden ist? Wie schätzen Sie das Projekt ein?

Ich glaube, von deutscher Seite wurde unterschätzt, dass das Projekt in der EU enorme Spaltungen hervorruft, dass es Länder gibt, die eine ganz andere sicherheits- und energiepolitische Perspektive mit Blick auf Russland als Deutschland haben und dieses Projekt massiv kritisieren und versuchen, zu verhindern. Das wird vor allem Deutschland auch in anderen Bereichen in der EU bei Verhandlungen schwächen. Dazu gehört, dass man von US-Seite das Projekt nutzt, um einen Handels-Deal mit der EU auszuhandeln und Deutschland hier unter Druck zu setzen, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern.

Wie ist das Projekt an sich einzuschätzen? Erhöht es die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas oder ist es nur eine weitere Möglichkeit, den Gasmarkt zu erweitern, um den gestiegenen Energiebedarf in Europa zu decken?

Es ist davon auszugehen, dass es vor allem das Gas, das durch die Ukraine in die EU fließt, ersetzen wird, zusammen mit Turk Stream auch komplett ersetzen könnte. In der Hinsicht geht es hier gar nicht so sehr darum, größere Mengen an Gas nach Europa zu bringen. Das ist immer möglich, auch die Kapazität der ukrainischen Pipeline ist nicht ausgeschöpft.

Das hängt natürlich vom Preis ab. Wir sehen ja, dass der Verkauf russischen Gases in der Europäischen Union in den letzten zwei Jahren gestiegen ist. In der Hinsicht gibt es mit Nord Stream 2 dann mehr Pipelines, aber es sind nicht wirklich mehr Kapazitäten, wenn man bedenkt, dass dann die ukrainische Pipeline geschlossen wird.

Kritiker des Projektes gerade aus Osteuropa warnen vor der damit zusammenhängenden „russischen Gefahr“. Gibt es diese „russische Gefahr“ bei Nord Stream 2?

Ich halte diese Kritik für übertrieben, weil die Gasmärkte flexibler geworden sind, weil diese Länder inzwischen auch LNG (Flüssiggas) importieren, siehe Litauen und Polen. Durch diese Flexibilisierung gewinnt der Abnehmer mehr Verhandlungsmacht gegenüber dem Anbieter. Gleichzeitig haben wir Russland, das aggressiv in seiner Nachbarschaft agiert, Krieg wie in der Ukraine  führt, verunsichert das direkte Nachbarn wie die Baltischen Staaten. Wenn man mal übertragen denkt, stärkt der Bau der Pipeline das System Putin in Russland, was gegen europäische Interessen und gegen die europäische Sicherheitsordnung agiert. Nord Stream 2 spaltet die EU und die transatlantischen Beziehungen. In der Hinsicht hat es vielleicht nicht direkte sicherheitspolitische Effekte, aber es hat indirekte Auswirkungen.

Was sind aus Ihrer Sicht – Sie arbeiten in einem transatlantischen Beratungsinstitut –, die US-Interessen bei diesem Konflikt?

Ich arbeite nicht in einer transatlantischen Institution und ich bin auch kein Transatlantiker, sondern ich bin Russland-Experte. Ich glaube, dass die US-Politik dazu führen wird, dass sich die EU und Deutschland an Russland annähern werden. Diese nicht abgestimmte Sanktionspolitik und das Sanktionieren von Energieprojekten, was zunehmend auf US-Seite passiert, betrifft viel stärker deutsche und andere europäische Firmen. Deswegen muss man auch mit Russland sprechen und schauen, wie man die eigenen Wirtschaftsinteressen dagegen schützt.

Was würden Sie als Politikberater Berlin raten in dem weiteren Verfahren und was würden Sie auch Moskau raten? Wie sollten sich die beiden in dem Konflikt um das Projekt verhalten?

Berlin kann nicht mehr viel machen. Es hat sehr wenig Spielraum und ist im Prinzip in einer Sackgasse, was den Druck von Seiten der EU und der USA betrifft. In der Hinsicht kann man das eigentlich nur noch durchstehen. Die Kosten für einen Stopp wären jetzt zu hoch, auch die politischen Kosten wären zu hoch. Also muss man schauen, wie man die negativen Folgen für die Ukraine und auch die EU abfedert. Und das ist genau das, was die Bundesregierung tut.

Aus Moskauer Sicht wird das Projekt trotz möglicher Sanktionen gebaut. Putin will das Projekt. Ansonsten läuft alles nach Plan, auch, dass es ein Instrument ist, um die EU und die transatlantischen Beziehungen ein bisschen zu spalten. In der Hinsicht ist Moskau da eher in einer bequemeren Position als es im Moment Deutschland ist.

Eine Frage zum Vergleich mit der Situation im Kalten Krieg: Da gab es auch solche Pipeline-Projekte und großen Widerstand dagegen, siehe das Röhren-Embargo. Da gab es in der System-Auseinandersetzung ja viel größere Gefahren im Zusammenhang mit solchen Projekten. Warum wird das heute aber anscheinend viel heißer diskutiert?

Weil wir jetzt in einer ganz anderen Situation sind. Die Sowjetunion war ja viel stärker eine Status-Quo-Macht. Sie wollte Anerkennung haben. Sie wollte Wirtschaftsbeziehungen und nicht die Grenzen verschieben, sondern sie wollte die Grenzen in Europa genauso anerkannt haben, wie sie nach 1945 festgelegt worden sind. Das Russland, das wir jetzt unter Putin beobachten, ist eine revisionistische Macht. Es will seinen Einflussbereich behalten und ausbauen. Es führt auch dafür und weil es als Soft-Power nicht attraktiv genug ist Krieg in seiner Nachbarschaft. Russland unter Putin ist damit einfach ein viel größeres sicherheitspolitisches Risiko, muss man letztlich ab einem bestimmten Punkt feststellen, als die Sowjetunion das am Ende der 1980er Jahren war.

Die Welt ist natürlich auch komplexer und der Westen ist nicht mehr der Westen des Kalten Krieges. Die transatlantischen Beziehungen entwickeln sich eher auseinander. Damit haben wir hier auch in Europa andere sicherheitspolitische Kalkulationen als wir das damals hatten.

Dr. Stefan Meister ist seit Januar 2017 Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAP. Davor war er Programmleiter für Osteuropa, Russland und Zentralasien der DGAPsowie Senior Policy Fellow im Wider Europe Team des European Council on Foreign Relations (2013/14).

Zu seiner Bemerkung im Interview, er arbeite nicht in einer transatlantischen Institution, ist festzustellen, dass die DGAP Teil des Transatlantic Policy Network (TPN) ist. Dr. Meister gehört unter anderem zu den Autoren einer Publikation über die angeblichen „Trojanischen Pferde“ des Kremls in Europa, die vom Nato-nahen Atlantic Council 2016 herausgegeben wurde.

sputniknews


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