Rentner soll seine Wohnung für Flüchtlinge räumen – „Das ist doch Kokolores“

  15 Februar 2019    Gelesen: 1191
Rentner soll seine Wohnung für Flüchtlinge räumen – „Das ist doch Kokolores“

In Neckartailfingen (Baden-Württemberg) soll ein 74-jähriger Mann seine Wohnung räumen. Die Gemeinde möchte in der 150 Quadratmeter großen Wohnung Flüchtlinge unterbringen. Der Fall sorgt für Empörung. Sputnik hat mit Peter Keck, dem Pressesprecher des Landkreises Esslingen, gesprochen.

Es klingt dramatisch: Ein Rentner muss seine Wohnung, in der er 24 Jahre gewohnt hat räumen, weil die Gemeinde keinen anderen Raum hat, bis zu zehn Flüchtlinge unterzubringen. Mehrere Zeitungen haben darüber berichtet, die Empörung ist erwartungsgemäß groß. Wo ist das Land nur hingekommen, wenn Deutsche ihre Wohnungen für Flüchtlinge räumen müssen? Man kennt das.  

Wir haben versucht, sowohl den Rentner als auch die Gemeinde Neckartailfingen zu erreichen – bis jetzt vergebens. Wen wir aber erreicht haben, ist der Landkreis Esslingen. Das ist die übergeordnete Kommune, die ihrer Gemeinde – also Neckartailfingen – zusätzlich Flüchtlinge aufs Auge drückt und somit mitverantwortlich ist, dass der 74-jährige Rentner vor die Tür gesetzt wird. Das denkt man zumindest.

Landkreis: Gemeinde wusste frühzeitig Bescheid

Peter Keck, der Pressesprecher des Landkreises Esslingen, stellt den Fall etwas anders dar. Er sagt, die Landkreise in Baden-Württemberg verteilen die Geflüchteten aus den Erstaufnahmestellen nach der Größe der Kommunen. Sie hielten sich dabei an die rechtlichen Vorgaben und die kommunale Solidarität. So gibt es laut Keck eine 4.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis, die in der Spitzenzeit 250 Flüchtlinge aufgenommen und damit andere entlasstet hat.

Außerdem, betonte der Sprecher, werden Städte und Gemeinden frühzeitig über die Anzahl der Menschen, die sie unterbringen müssen, informiert. „Die Gemeinde Neckartailfingen weiß wahrscheinlich schon über ein Jahr, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen muss.“

Wohnungen sind knapp, aber Flüchtlingszahlen sinken

Angesprochen auf den konkreten Fall des Rentners, der nach 24 Jahren seine Wohnung räumen muss, sagte Keck: „Diese Entscheidung hat der Gemeinderat gefällt.“ Die Gemeinde hätte allerdings genug Zeit gehabt, eine Unterkunft für die Geflüchteten zu finden. Allerdings betonte er auch, dass Wohnraum knapp ist: „Jede Gemeinde in unserem Landkreis könnte Wohnungsnot geltend machen.“

Wenig Verständnis hat Keck für den Aufschrei der Empörung über die angeblich unhaltbaren Zustände in Deutschland, die mit diesem Fall laut werden. „Das ist doch Kokolores.“ Er verweist auf die Entwicklung der Flüchtlingszahlen im Landkreis Esslingen:

„2018 haben wir insgesamt 2.300 Geflüchtete aufgenommen. 2019 werden es 800 Menschen sein und für 2020 gehen wir derzeit von 500 Flüchtlingen aus, die wir unterbringen müssen.“

Der Anteil von Neckartailfingen an den Aufnahmen ist laut Keck sehr gering. Im laufenden Jahr ist die Gemeinde dazu verpflichtet, 0,2 Prozent der Bevölkerung aufzunehmen. Bei 4.000 Einwohnern bedeutet das acht Geflüchtete. 2020 wird die Zahl voraussichtlich bei 0,1 Prozent der Bevölkerung liegen. Das wären dann vier Geflüchtete. Zum Vergleich: Im Landkreis leben derzeit etwa 530.000 Menschen. Jährlich wächst die Kommune um ein Prozent. Das normale Bevölkerungswachstum liegt nach Angaben des Landkreises bei etwa einem Prozent im Jahr. 

Härtefälle auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise

Wie die Sache für den Rentner aus Neckartailfingen ausgehen wird, ist offen. In der Vergangenheit gab es eine Reihe unterschiedlicher Meldungen über Menschen, die ihre Wohnungen für Geflüchtete räumen mussten. Viele davon waren falsch. Über Facebook verbreitete sich im Herbst 2015 auf dem Höhepunkt der Einwanderung die Meldung, dass die Bewohner eines Altenheims auf die Straße gesetzt werden, weil in dem Gebäude Flüchtlinge untergebracht werden müssen. Die Wahrheit war, dass die Schließung des Heims schon vorher feststand und einfach Stimmung gemacht wurde.

Allerdings gab es auch echte Fälle, in denen Städte ihren Mietern die Wohnungen kündigten, um Flüchtlinge aufnehmen zu können, so etwa im Jahr 2016 in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, als die Kommune unter dem Druck der Flüchtlingskrise und der geringen Zeit keine andere Unterbringung finden konnte.

Quelle : sputnik.de


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