Als ob die Sozialdemokraten nicht schon genug Probleme hätten. Nach jüngsten Prognosen werden sie bei der Europawahl im Mai mehr als ein Viertel ihrer Sitze im EU-Parlament verlieren, ihr Spitzenkandidat Frans Timmermans gilt im Rennen um den Posten des EU-Kommissionschefs als nahezu chancenlos. Und jetzt auch noch das: Rumäniens sozialliberale Regierung legt die Axt an den Rechtsstaat - und das inzwischen dermaßen dreist, dass die Sozialdemokraten im Wahlkampf in arge Erklärungsnöte zu geraten drohen.
Der neue Ärger entzündet sich an Ermittlungen gegen Laura Kövesi, die als aussichtsreichste Kandidatin für den Chefposten bei der geplanten EU-Staatsanwaltschaft gilt. Eine Spezialeinheit der rumänischen Staatsanwaltschaft hat Kövesi der Korruption beschuldigt und lud sie am vergangenen Freitag vor - ausgerechnet an jenem Tag, an dem Kövesi in Brüssel für den Posten bei der EU-Staatsanwaltschaft angehört werden sollte.
Am Dienstag legte Ministerpräsidentin Viorica Dancila nach und erließ eine Eilverordnung. Sie verbietet es Generalstaatsanwalt Augustin Lazar, die Beschlüsse der Spezialeinheit außer Kraft zu setzen. Lazar hat Kövesi bisher unterstützt - und das ist der Regierung offenbar ein Dorn im Auge. Denn Kövesi war zuvor Chefin der Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft (DNA).
Gerade in diesem Bereich aber hat Rumäniens Regierung eine unrühmliche Geschichte. Besonders umstritten ist eine Änderung des Strafrechts, laut der Amtsmissbrauch nur noch eingeschränkt strafbar ist. Nur zwei Wochen zuvor war Liviu Dragnea, Chef der sozialdemokratischen PSD und starker Mann Rumäniens, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden - wegen Amtsmissbrauchs.
Schon das hatte zu scharfer Kritik der EU-Kommission und des Europaparlaments geführt. Erst im November hatte die Kommission Rumänien schwere Rechtsstaats- und Demokratiemängel attestiert (LINK). Entsprechend aufmerksam wurde nun in Brüssel die Eilverordnung gegen den Generalstaatsanwalt registriert. Man beobachte die neuesten Entwicklungen "mit großer Sorge", sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Die Eilverordnung stehe offenbar "in direktem Widerspruch zu Empfehlungen der Kommission". Rumänien müsse "den Reformprozess dringend wieder auf den Weg bringen".
Drei Monate vor der Europawahl droht Rumänien damit zur Belastung für Europas Sozialdemokraten zu werden. Die hatten bisher gehofft, im Wahlkampf punkten zu können, indem sie den Christdemokraten das autoritäre Treiben von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán vorhalten. Dessen Fidesz-Partei ist Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), gemeinsam mit der deutschen CDU und der CSU, die mit Manfred Weber den EVP-Spitzenkandidaten stellt.
Noch am Mittwoch sprach Udo Bullmann, Chef der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament, anlässlich von Orbáns jüngster Anti-EU-Kampagne von der "Orbánisierung der EVP". Er warte auf eine Stellungnahme von Weber, sagte der SPD-Politiker.
"Wo ist der Timmermans der EVP?"
Die Entwicklungen in Rumänien spielt Bullmann derweil herunter. "Machen Sie sich darüber keine Sorgen", sagte er mit Blick auf das Treiben der rumänischen Regierung. Es bestehe keine Gefahr, dass die S&D nach rechts abdrifte. Man habe sich klar zum Vorgehen Bukarests geäußert, er selbst habe eine Rumänien-kritische Resolution des Parlaments unterstützt. Man werde die Entwicklungen beobachten. "Falls kritische Bemerkungen und Schlussfolgerungen angebracht sind, werden sie kommen."
Derartige Warnungen und Appelle hat freilich auch die EVP-Führung schon diverse Male an Orbán gerichtet, hatte damit aber ähnlich viel Erfolg wie die Sozialdemokraten im Fall Dragnea - gar keinen. Dass die Sozialdemokraten dennoch weiterhin vehement von der EVP den Rauswurf der Fidesz-Partei fordern, bringt ihnen nicht nur aus der EVP den Vorwurf der Scheinheiligkeit ein. "Die S&D fordert von der EVP Konsequenzen, die sie selbst nicht zu ziehen bereit ist", meint etwa der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. Das sei "klassisches Messen mit zweierlei Maß".
SPD-Politiker Bullmann sieht das anders. Im Falle der EVP werde "eine ganze Parteienfamilie von der radikalen Rechten verwandelt", was bei den Sozialdemokraten nicht der Fall sei. Und solange die EVP-Führung nicht ernsthaft etwas dagegen unternehme, werde er sie weiter kritisieren.
So hofft Bullmann, doch noch im Wahlkampf punkten zu können. Denn S&D-Spitzenkandidat Timmermans ist als EU-Kommissionsvizepräsident für die Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen zuständig und hat sich als scharfer Kritiker von Orbán und Polens starkem Mann Jaroslaw Kaczynski einen Namen gemacht. "Wo", fragt Bullmann, "ist der Timmermans der EVP?"
spiegel
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