Die arabischen Medien stellten genau diese Frage. Russlands offizielle Antwort war: „Wir können weder bestätigen noch bestreiten, dass wir eine frühzeitigere Warnung von Israel bezüglich dieser Aktivitäten erhalten haben.“ Etwa zehn Tage vor diesem Vorfall stattete Putins Gesandter Alexander Lavrentiev Israel einen geheimen Besuch ab, um nach offiziellen Angaben „diplomatische Bestreben zur Beendigung des Bürgerkrieges“ zu besprechen.
Das neue Kapitel in der russisch-israelischen Geschichte ist dennoch keine Liebesgeschichte – eher eine Erzählung von gemeinsamen Interessen, die nicht ganz durschaubar sind. „Aufgrund einer tief verwurzelten Ignoranz sehen die Leute Russland noch immer als eine Verlängerung der UdSSR,“ sagt Yakov Kedmi, einst besser bekannt unter seinem russischen Namen Yasha Kazakov. Kedmi diente 14 Jahre lang als einflussreicher Leiter des ‚Verbindungsbüros’, ehemals ein Geheimdienst im Büro des israelischen Premiers, welcher während des Kalten Krieges mit ansässigen Juden arbeitete. In den vergangenen 14 Jahren wurde ihm die Einreise nach Russland verwehrt. Der Mann, der über zu viele Dinge zu gut Bescheid wusste, wurde gerade benachrichtigt, dass das Einreiseverbot von Putin persönlich aufgehoben wurde und er nun eingeladen ist, Russland zu besuchen.
Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten erklärt Kedmi, dass die Abstimmung zwischen Russland und Israel gut funktioniert, trotz der Tatsache, dass „die Präsenz von Russlands integriertem Luftabwehrsystems in Syrien ungünstig für Israel ist. Israel hat seine exklusive Kontrolle über den Luftraum im Libanon und Syrien verloren – doch Russland hat klar gemacht, dass das Luftabwehrsystem vollständig unter seiner und nicht Syriens Kontrolle steht.“
Wenn Israels größtes Bedenken bezüglich Russlands Präsenz in Syrien bislang die Wahrscheinlichkeit widersprüchlicher Interessen war, so ist nun ein neues hervorgetreten: ein hochrangiger Offizier der israelischen Verteidigungsstreitkräfte hat tiefe Besorgnis über die „ gute Lektion“ in Kampftaktiken geäußert, die die Hisbollah durch die Kooperation mit den russischen Streitkräften in Syrien bekommen hat. Diese unausgesprochene Sorge wurde nun offen in einem Artikel geäußert, der kürzlich von zwei israelischen Militärexperten am Washington Institute für Nahost Studien geschrieben wurde.
Es ist das erste Mal, dass die Sorge um die Expertise, die die Hisbollah aus der russischen Präsenz in Syrien zieht, offen diskutiert wird. Bis jetzt hatte Israel entschieden das Thema nicht aufzubringen, um unnötige Spannungen mit Russland zu vermeiden. Bis jetzt war gab es mehr Gespräche über stillschweigende Koordination.
Tatsächlich vermindert die Anwesenheit Russlands in Syrien allerdings vor allem den Einfluss des Iran. Der Iran hatte beabsichtigt, syrische Milizen aufzustellen – ein Teil davon Schiiten. Russland hingegen bemüht sich, das syrische Militär wieder aufzubauen. Anders als Milizen kann die Armee kontrolliert werden und würde in den Anstrengungen, Syriens Säkularität zu bewahren, mithelfen. Das ist nicht unbedingt im Interesse des Irans.“
Das ist zutreffend und im Interesse Israels. Die untragbare Präsenz des Iran an der israelischen Grenze wurde von Netanjahu und Putin zu mehreren Anlässen diskutiert – genau wie die Möglichkeit, dass russische Waffen in den Händen der Hisbollah enden. „Die Abmachung ist aus Sicht der Israelis recht eindeutig,“ sagt Kedmi. „Wenn ihr – die Russen – nicht in der Lage seid, dafür zu sorgen, dass eure Waffen nicht in die falschen Hände geraten, werden wir – Israel – dafür sorgen. Israel hingegen versteht auch, dass sowohl ein stärkerer russischer Einfluss in Syrien, als auch ein effektiveres zentrales Regime im Interesse Israels sind. Demnach besteht hier, trotz möglicher Reibungspunkte, kein tatsächlicher Interessenkonflikt zwischen Israel und Russland.“
Entgegen einiger Bedenken in Israel hat die Präsenz des neuen Mitspielers Russland in der Region keine Konsequenzen für die israelisch-amerikanischen ‚Special Relations’. „Die Amerikaner würden es natürlich begrüßen, wenn Israel sich der amerikanischen Anti-Russland-Politik anschlösse, aber sie verstehen auch, dass diese Politik dem Interesse Israels widerspricht,“ erklärt ein israelischer Vertreter. Bezüglich des anderen Partners in diesem Dreieck, sagte Kedmi, er hätte von Putin persönlich gehört, dass „Russland die ‚Special Relations’ zwischen Israel und den USA anerkennt.“
Trotz der Tatsache, dass Russland dazu tendiert, alles, was gerade in der Ukraine geschieht, als amerikanische Provokation anzusehen und die NATO von den Russen als vornehmlich anti-russisches Hilfsmittel wahrgenommen wird. Kedmi: „Um Bismarck zu zitieren: Die Zukunft Deutschlands liegt in der Zusammenarbeit mit Russland. Auch Putin denkt so. Aber bislang macht Deutschland genau das Gegenteil und zieht mit der amerikanischen Politik mit. Anders als die USA zeigt Russland kein Bestreben, andere Regimes zu ändern oder Ländern ihre Ideologien aufzuzwingen. Diese Sowjet-Zeiten sind vorbei. Putin hat ein neues Russland geformt – basierend auf korrekten und freundschaftlichen Beziehungen mit Israel.“
Und mittendrin liegt die Sache mit der Türkei. Gerade als Putin sämtliche Verbindungen zur Türkei nach dem Abschuss des russischen Kampfjets gekappt hat, arbeiten die Türkei und Israel an einer neuen Annäherung. „Das wird keine Konsequenzen für die israelisch-russischen Beziehungen haben,“ beharrt Kedmi. „Russlands Außenpolitik beinhaltet keine Sanktionen oder die erzwungene Isolation anderer Staaten. Das ist die amerikanische Art. Und wenn die Türkei beschließt, Gas von Israel anstelle von Russland zu erkaufen, dann kann Russland damit leben.“
In der Zwischenzeit scheint es zu funktionieren. In dem schmerzhaften und oftmals blutigen Stuhltanz im Nahen Osten, bleibt kein Stuhl unbesetzt. Vor etwa zwei Wochen bezeichnete die russische Zeitung Pravda Israel als einen engen geopolitischen Verbündeten und einen unmittelbaren Ersatz für die Türkei, vor allem in der Agrar- und Tourismusbranche.
Alles, was die Türkei vor der Krise war, kann das nachbarschaftliche Israel nun für den russischen Konsumenten werden. Ein Wendepunkt in dieser Geschichte – und sicherlich nicht der letzte.
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