„Brand, Rauch, Tod und keine Aufklärung“: Fünf Jahre nach dem Massaker in Odessa

  03 Mai 2019    Gelesen: 836
  „Brand, Rauch, Tod und keine Aufklärung“: Fünf Jahre nach dem Massaker in Odessa

In Odessa wurde am Donnerstag mit Kundgebung, Blumen und Schweigeminuten an die Opfer des Brandmassakers im Gewerkschaftshaus gedacht. Überlebende, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen beklagen fehlende Aufklärung der Vorfälle vom 2. Mai 2014 und erheben schwere Vorwürfe gegenüber der ukrainischen Regierung.

Am fünften Jahrestag des Brandanschlags auf das Gewerkschaftshaus in der ukrainischen Hafenstadt Odessa haben nach Angaben der Veranstalter Tausende Menschen der 48 Toten mit Schweigeminuten und Blumen gedacht. Rund 2.500 Polizisten sicherten die Veranstaltungen ab, wie die Behörden am Donnerstag mitteilten. Darunter seien 650 paramilitärische Nationalgardisten gewesen.

Am 2. Mai 2014 waren nach dem prowestlichen Regierungssturz vom Februar bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern des Umsturzes im Zentrum der Millionenstadt sechs Menschen erschossen worden. Im Rückzugsort der Gegner des Umsturzes, in einem Gewerkschaftshaus, kamen weitere 42 Menschen durch ein Feuer ums Leben. Das Gebäude soll durch einen ultranationalistischen Mob mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt worden sein. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt.

Auch in Berlin fand am Donnerstag vor dem Brandenburger Tor eine Solidaritätskundgebung statt, um an das Massaker von Odessa zu erinnern. Die ukrainische Botschaft in Deutschland regierte nicht auf Presse-Anfragen der Sputnik-Redaktion. Weder auf der offiziellen Internet- noch auf der Facebook-Seite der Landesvertretung sucht man vergebens nach einer Erwähnung der tragischen Vorfälle in Odessa.

Wie durch ein Wunder überlebte der Aktivist und politische Flüchtling Oleg Muzyka. Sein Bruder ist seither schwer behindert. Im Sputnik-Interview erinnert er sich: „Ich sehe das alles immer noch gut vor meinen Augen. Die verstorbenen Kollegen, dieser Brand, der Rauch, der Tod.“ Diese Ereignisse, die den Aktivisten nicht losließen, brachte er als Ko-Autor aufs Papier - in dem Buch „2. Mai Odessa - Fünf Jahre danach“.

In diesen fünf Jahren habe Muzyka kaum Veränderungen feststellen können: „Nur das Datum hat sich geändert. Die Untersuchung ist nach wie vor nicht beendet. Es gibt immer noch Überlebende des Anschlags, die sich ohne Anklage in Haft befinden. Ihre Verwandten und Freunde werden weiterhin verfolgt und müssen Gewalt und Beleidigungen über sich ergehen lassen.

“In den fünf Jahren sei in der Ukraine eine neue Generation von jungen Leuten herangewaschen, „die angefangen haben, noch mehr an den ukrainischen Nationalismus zu glauben. Sie meinen, das ist Patriotismus“, sagt Muzyka. Doch der größere Teil der Bevölkerung sei von den Versprechen des Maidan und dessen Anführern enttäuscht worden. Diese Menschen seien nun desillusioniert, erklärt der Politiker. „Das kann man an den Feiertagen sehen. Am 8. Mai, am so genannten ‚Tag der Befriedung‘, gehen in Odessa und in anderen Städten nur Hunderte Menschen auf die Straße. Am Tag des Sieges, am 9. Mai, sind es Tausende. Das zeugt davon, dass die Menschen in der Ukraine hoffen, die Situation im Land wird sich zum Besseren wenden“, so Muzyka.Eine ähnliche Situation konnte man am Donnerstag in der Millionenstadt beobachten. Das erklärt der deutsche Korrespondent Felix Jaitner gegenüber Sputnik, der an den Kundgebungen zum fünften Jahrestag der tragischen Vorfälle in Odessa teilnahm. Er besuchte sowohl die Veranstaltungen auf dem Kulikovo-Pole - dem Platz, wo die Antimaidan-Proteste stattfanden und das Unglück am 2. Mai 2014 seinen Lauf nahm - als auch die Kundgebungen der Nationalisten, die zum einen an die Toten vom Maidan und an die Toten in Odessa gedacht hätten. „Der Event der Nationalisten war deutlich kleiner. Da waren knapp hundert Leute. Und auf das Kulikovo-Pole strömen den ganzen Tag Leute hin und gehen wieder weg. Es ist viel, viel mehr los. Das fand ich schon sehr auffällig.“ Die Rechten in Odessa würden ihren Sieg feiern, weil es eben keinen Prozess gegeben habe und Leute nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien, glaubt der Journalist. „Die Tatsache, dass sie selbstständig ihre Erinnerungsfeiern veranstalten können, sagt vieles darüber aus, wie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse im Land sind. Die Stimmung in der Stadt ist sehr angespannt. Ich habe das Gefühl, es gibt ein extremes Bedürfnis vieler Menschen zu sprechen. Man hört, dass die Leute das nicht verstehen, dass es keine Aufklärung der Ereignisse vom 2. Mai gibt.“

Doch nicht nur der deutsche Journalist Jaitner und der Antimaidan-Aktivist Muzyka sprechen von schlechten beziehungsweise fehlenden Ermittlungen der Vorfälle. Auch die Leiterin der UNO-Menschenrechtsvertretung im Land, Fiona Frazer, erhebt schwere Vorwürfe gegen die ukrainischen Behörden. „Die Ermittlungen der Polizei bezüglich der Massenunruhen waren selektiv und voreingenommen“, sagte sie der DPA zufolge. Fünf der sechs Morde im Zentrum seien nicht aufgeklärt. Ebenso gebe es keine Ergebnisse zu den 42 Toten im Gewerkschaftshaus, unterstrich sie und bezog sich dabei auf eine UN-Studie zu den Ereignissen in Odessa. „Die ineffektiven Ermittlungen und die fehlende Verantwortung spiegeln die Unvollkommenheit der Rechtsprechung in der Ukraine wider.“

Ebenso kritisierte Russland, dass die Verantwortlichen für das „abscheuliche Verbrechen“ noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien. Trotz Forderungen internationaler Organisationen nach gründlicher Aufklärung würde Kiew Ermittlungen behindern, heißt es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Moskau. Dies lasse den Rückschluss zu, dass die ukrainische Führung daran beteiligt gewesen sein könnte. Auch Kiews westliche Protektoren würden sich an das Schweigegelübde halten, heißt es weiter im Text. „Es ist für sie offensichtlich unvorteilhaft einzuräumen, dass unter ihrer Schirmherrschaft Kräfte im Land ˏam Steuerˊ sind, deren Hände bis zum Ellbogen mit Blut befleckt sind.“

sputniknews


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