Rosmarin statt Dieselduft

  22 Januar 2016    Gelesen: 1116
Rosmarin statt Dieselduft
Die Tankstellenkette Jet wird zur Feinkostboutique. Doch wollen Hipster wirklich dort kaufen?
Jetzt also Schleich-Tiere und Rosmarin-Chips. Während Feierabendignorierer früher heilfroh waren, wenn am Sonntag die Tankstelle um die Ecke noch einen Liter H-Milch hatte und im Notfall auch eine Packung o.b., wollen Tankstellenketten heute viel mehr sein als ein Notnagel, sie wollen Wellness-Beauftragte, Apotheken-Ersatz und Bio-Reserve in Shopunion sein. Tanken? Nebensache.

Den Markt dafür gibt es längst. Fast 60 Prozent aller Deutschen nutzen Tankstellen nicht nur zum Treibstoffzapfen. Doppelt so oft wie Frauen greifen Männer nach dem Tanken zu Zeitungen, Kaffee oder Gutscheinkarten. Am häufigsten suchen die Verbraucher nachmittags (Rushhour) und abends (nach Ladenschluss) eine Tankstelle auf, spät nachts sind es vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. Autobahn-Tankstellen haben ein anderes Sortiment als Tankstellen auf dem Land oder in der Stadt. An der Autobahn gibt es beispielsweise mehr Bücher, um die Reise zu verkürzen, auf dem Land verkaufen sich Plüschtiere vergleichsweise gut. Kleine Teddybären, die ein rotes Herz in den Pfoten tragen, auf dem "Ich liebe Dich" steht. Doch der Tankstellenbetreiber Jet will viel mehr.

Jet stellt sich die Tankstelle der Zukunft nicht mehr als Ort vor, an dem sich der "Intensivverwender" (Original-Ton Jet-Marketing) noch schnell für die nächste Party mit viel Fusel eindeckt, sondern als eine Oase, in die man lässig hineinwippt, flugs einen Edelrotwein für 17,90 Euro kauft, einen Verzeih-mir-Schlumpf dranhängt und sich für die Fahrt zur Party auch schnell noch ein Nasenspray mitnimmt. Jet, die Marke, die mit Werner Brösel Sympathiepunkte sammelt ("Die Jet Teuerwehr"), will klassische Brösel-Kunden nicht mehr haben. Zumindest nicht mehr ausschließlich.

An einem kalten, trockenen Dezemberabend steht Jörg Biermann, Geschäftsführer Tankstellen der Jet Tankstellen Deutschland GmbH, an der Hamburger Test-Tankstelle an der Steilshooper Allee und zählt die Kunden, die ihrem Auto die Frontscheibe waschen. "Das ist ein Zufriedenheitsindikator", erklärt er, "würde man sich an diesem Platz nicht wohlfühlen, würde man das Scheibenwischen verschieben, oder es käme einem gar nicht erst in den Sinn."

Im Schnitt fährt ein Kunde alle zehn Tage die Tankstelle an und bezahlt rund 50 Euro. 42 Euro für Benzin, acht Euro für Schokoriegel, Müslistange oder ein belegtes Baguette-Brötchen, es kann aber auch ein Duftbäumchen sein. 6 : 1, das ist das Umsatzverhältnis Kraftstoff zu "Folgemarkt". Beim Gewinn sieht es genau andersherum aus. Mit Tankerträgen kann heute keine Tankstelle mehr überleben, so wie in einem Restaurant nicht mit Speisen, sondern mit Getränken verdient wird, sind es bei einer Tankstelle die schnellen buy and go-Konsumgüter.

Jörg Biermann windet sich, als er Details zum Gewinnverhältnis nennen soll. Zahlen gebe das Unternehmen grundsätzlich nicht heraus, nein, ausgeschlossen, aber man könne sich vielleicht auf einen Vergleich einigen. Er holt aus dem Regal eine Schleich-Kuh und einen Schleich-Elefanten. "Für den Tankstellenbesitzer ist das Benzin die Kuh und der Elefant der Folgemarkt", sagt er nach vielem inneren Ringen und Überlegen.

Kuh und Elefant? Eine durchschnittliche Kuh wiegt 700 Kilogramm, ein Elefant 4.500 Kilogramm.

Etwas offener ist der Mitbewerber Aral. Einer Studie zufolge verdient ein Aral-Tankstellenpächter nur noch zwölf Prozent der Erträge mit dem Verkauf von Sprit, aber 62 Prozent mit dem Geschäft im Aralshop. Vom Verkauf eines Liters Benzin verbleiben laut dem Bundesverband freier Tankstellen nur zehn Cent beim Tankstellenpächter, der Rest sind Steuern, Abgaben und Einkaufskosten. Benzin und Diesel wird zum Schmierstoff – "für das Folgegeschäft mit dem Kunden", wie es in einer Studie des Verbandes heißt.

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