Rückenwind für Kurz

  27 Mai 2019    Gelesen: 1199
 Rückenwind für Kurz

Trotz Regierungskrise geht Sebastian Kurz gestärkt aus der EU-Wahl hervor, bei der FPÖ halten sich die Verluste nach der Ibiza-Affäre in Grenzen. Übersteht Österreichs Kanzler die Misstrauensabstimmung heute?

Es waren harte Tage für Sebastian Kurz. Die Koalition des österreichischen Regierungschefs war vor einer Woche auseinandergebrochen. Im Ibiza-Video hatte der frühere FPÖ-Chef und Kurz' Vizekanzler Heinz-Christian Strache bereitwillig einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte Staatsaufträge im Gegenzug für millionenschwere Wahlkampfhilfe in Aussicht gestellt.

Und jetzt das: ein fulminanter Sieg für die ÖVP. 34,5 Prozent erreicht die bürgerlich-konservative Partei, deren Chef Kurz ist. Inmitten dieser noch nicht ausgestandenen Regierungskrise ist das geradezu ein Triumph - entsprechend gutgelaunt tritt Kurz am Sonntagabend in Wien vor seinen Anhängern auf. Entspannt und mit einem Grinsen im Gesicht bahnt er sich seinen Weg durch die Menge auf die Bühne, schüttelt Parteifreunden die Hände, hält an der anderen Hand seine Freundin Susanne Thier.

Und dann stellt er sich auf die Bühne, sagt mehrmals: "Vielen, vielen Dank!" - und spricht das Unerwartete aus: "Wir haben heute das historisch beste Wahlergebnis erzielt, das jemals bei einer EU-Wahl in Österreich erzielt worden ist." Der Abstand zum Zweitplatzierten, der SPÖ mit 23,5 Prozent, sei so groß wie noch nie.

"Fast sprachlos" sei er, sagt Kurz. Er hat durchaus recht, wenn er dies auch als seinen Sieg feiert. Denn in den vergangenen sieben Tagen ging es in Österreich nicht mehr um die EU, sondern nur noch um ihn, den Noch-Kanzler, und seine Zukunft.

Am heutigen Montag tritt das österreichische Parlament, der Nationalrat, zu einer Sondersitzung zusammen und stimmt über ein Misstrauensvotum gegen Kurz ab. Heinz-Christian Strache ist als Vizekanzler und FPÖ-Chef nach dem Ibiza-Video zurückgetreten. Kurz hat zudem die Entlassung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl durchgesetzt, mit dem er sich schon seit dem Beginn der Koalition im Dezember 2017 nicht gut verstand. Daraufhin traten aus Solidarität mit Kickl sämtliche Minister der FPÖ zurück - mit Ausnahme der Außenministerin Karin Kneissl, die formal parteilos ist und sich als "Unabhängige" versteht.

Am Wochenende spekulierte Wien noch darüber, ob Kurz' bisheriger Koalitionspartner FPÖ und die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische SPÖ, sich zusammentun und dem Misstrauensvotum gegen Kurz zustimmen - die einen aus Rache, die anderen, weil sie Kurz im bevorstehenden Wahlkampf keinen Amtsbonus, keine Bühne als Kanzler zugestehen wollen. Kurz selbst rechnete noch am Wochenende mit seinem Sturz - um dann, nach den Neuwahlen voraussichtlich im September, wieder zum Kanzler gewählt zu werden.

Bei der SPÖ, so hörte man zuletzt, schien man entschlossen, das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in der Geschichte Österreichs durchzusetzen. Doch nach dem Ergebnis bei der EU-Wahl könnten sich Zweifel in der Partei breitmachen, ob es wirklich klug ist, jemanden, der in der Bevölkerung zu populär ist, zu stürzen. Wie um diesen Zweifel auszuräumen, beschloss das SPÖ-Parteipräsidium noch am Sonntagabend, man wolle der "gesamten derzeitigen Bundesregierung" das Misstrauen aussprechen.

Die FPÖ will sich erst am Montag vor der Abstimmung endgültig festlegen. Die Rechtspopulisten dürften nach der Europawahl jedenfalls Zuversicht geschöpft haben. Sie kamen auf 17,5 Prozent und verloren damit nur 2,2 Punkte im Vergleich zur vorherigen Europawahl. Im Vergleich zur Parlamentswahl 2017, bei der die FPÖ auf fast 26 Prozent kam, ist das Ergebnis zwar schlecht. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass ihr Ex-Chef Strache sowie ihr Fraktionschef Johann Gudenus, der ebenfalls prominent im Ibiza-Video zu sehen ist, die derzeitige Krise zu verantworten haben, ist das Resultat doch ganz gut. Ein Absinken, aber kein Absturz.

Es scheint, als sei den Österreichern der Skandal um die Eskapaden auf Ibiza egal. Den FPÖ-Wahlspruch "Jetzt erst recht!" haben die Wähler jedenfalls umgesetzt. Mehr gelitten unter Straches Peinlichkeiten hat offensichtlich in Deutschland die AfD. "Strache hat uns mehr geschadet als der FPÖ in Österreich", sagte Parteichef Alexander Gauland am Sonntagabend.

Für ihre Verhältnisse stark schnitten in Österreich die Grünen ab. Sie haben mit 13,5 Prozent zwar einen Punkt verloren und wurden nur viertstärkste Kraft. Doch für eine Partei, die 2017 wegen interner Streitigkeiten und einer Abspaltung den Einzug ins Parlament verpasste, ist das ein Erfolg.

Etwa acht Prozent erzielen die Neos, eine liberale, wirtschaftsnahe Partei, ähnlich der FDP in Deutschland. Die Neos, darauf deutet vieles in Wien hin, hoffen darauf, nach den Neuwahlen im Herbst eine Koalition mit Kurz und seiner ÖVP bilden zu können. Umfragen lassen jedoch Zweifel daran aufkommen, ob es dafür reichen wird.

In einer Sache hat die Europawahl Sebastian Kurz jedenfalls bestärkt: dass er nach wie vor beliebt ist, trotz der Regierungskrise. Und dass er, auch wenn er am Montag das Misstrauensvotum nicht überstehen sollte und damit in die österreichische Geschichte eingehen würde, dennoch gute Chancen hat, nach den Neuwahlen wieder Kanzler zu werden. Mit welchem Juniorpartner auch immer.

spiegel


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