In Österreich wird derzeit das neue Staatsschutzgesetz durch die parlamentarischen Entscheidungsdistanzen getragen. Die Aufregung von Datenschutzaktivisten und auch der Rechtsanwaltskammer und einschlägig aktiver NGO’s ist groß. Die vielfach kritisierte Befugniserweiterung bezieht sich in erster Linie auf die Aufklärung im Vorfeld einer Straftat und greift dort zu kurz wo sofort und unmittelbar robuste Maßnahmen zur Terrorabwehr erforderlich sind.
Seit mehr als zwei Jahren wurde an einem Gesetzesentwurf gearbeitet, der dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) weitreichende Befugnisse einräumt, und wie Kritiker sagen, mit unzureichenden Kontrollmöglichkeiten ausgestattet wird. Der Gesetzesentwurf wurde am 19. 01. 2016 im Innenausschuss des Parlamentes abgesegnet. Es wird erwartet, dass das Gesetz noch im Jänner 2016 verabschiedet und im Juli 2016 in Kraft treten wird.
Kritiker argumentieren, dass die neue Behörde zwar als Polizei etikettiert ist, tatsächlich aber ein veritabler Nachrichtendienst entsteht. Kernelement ist die sogenannte Erweiterte Gefahrenerforschung. Darunter versteht man die Anwendung robuster Befugnisse, die bereits weit im Vorfeld eines strafbaren Tatbestandes zur Anwendung kommen. Für solche Ermittlungen reicht als Begründung die Beurteilung „einer Wahrscheinlichkeit“ eines verfassungsgefährdenden Angriffs. Diese Beurteilung wird durch die ermittelnde Behörde selbst abgegeben, jedoch von einem Rechtsschutzbeauftragten und nicht durch einen Richter abgesegnet. Mehr als 100 solcher Straftaten werden als „verfassungsgefährdender Angriff“ gelistet, 40 davon, wie die Arbeitsgemeinschaft AK-Vorrat auflistet, wenn diese aus „religiösen oder ideologischen Motiven“ begangen werden.
Die Österreichische Rechtsanwaltskammer sieht nicht zuletzt aufgrund dieser Tendenz das Land auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat und hat Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof angekündigt. Kritisiert wird vor allem, dass schon alleine der begründete Verdacht genügt, um solche Ermittlungen einzuleiten.
Das Gesetz ist eines der weitreichendsten Sicherheitsgesetze in Europa und schafft in Österreich eine spezielle bundesweit agierende, mit speziellen Befugnissen ausgestattete „Polizei“ für insbesondere folgende Kriminalitätsdelikte: Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen, Schutz von Vertretern ausländischer Staaten, internationalen Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte, bei religiös motivierter Kriminalität, Gefährdung durch Spionage, durch nachrichtendienstliche Tätigkeit und durch Proliferation. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen im Umfeld von terrorismusverdächtigen Ermittlungen wurde das Instrument der Erweiterten Gefahrenerforschung vom Sicherheitspolizeigesetz in das neue Staatsschutzgesetz transferiert.
Künftig wird nur mehr das BVT und die neuen Organisationseinheiten in den Ländern über diese Befugnisse im Rahmen der Erweiterten Gefahrenerforschung verfügen und sich exklusiv und somit weit deutlicher als bisher im Vorfeld von vermuteten Straftaten bewegen können. Genau das aber ist ein wesentliches Merkmal von Nachrichtendiensten.
Die damit einhergehenden Befugnisse reichen von Observation, verdeckte Ermittlung bis hin zur Auskunftspflicht öffentlicher Dienststellen, das Einholen von Zahlungsinformationen, Telekommunikationsinformationen; faktisch alle Formen personenbezogener Daten, seien sie öffentlich verfügbar oder im Wege der Auskunftspflicht abrufbar. Die so zur Information verpflichtete öffentliche Dienststelle hat kein Recht, den Grund für die Auskunftsbegehrlichkeit verlangen zu können. Die Erweiterte Gefahrenerforschung bezieht sich nicht nur auf Gruppierungen sondern auch auf Einzelpersonen und schließt Begleitpersonen von Verdächtigen mit ein. Genau dagegen laufen NGO’s und auch die Österreichische Rechtsanwaltskammer Sturm.
Die bis dato existierenden Landesämter für Verfassungsschutz standen schon in der Vergangen in keiner direkten Zugehörigkeit zum Bundesamt, sondern unterstanden den Landespolizeidirektionen im jeweiligen Bundesland, was mitunter zu erheblichen Qualitätsunterschieden und einem doppelten Standard im Staatsschutz führte.
Das neue Gesetz löst die Landesämter für Verfassungsschutz auf und gliedert sie als für Verfassungsschutz zuständige Organisationseinheiten den jeweiligen Landespolizeidirektionen an. Dem BVT obliegt weiterhin die Fachaufsicht in der Aufgabe Staatsschutz. Anstatt die Landesämter für Verfassungsschutz direkt dem BVT zu unterstellen, wird die Zementierung unterschiedlicher Standards in Kauf genommen. Das zentrale und um umfassende Befugnisse erweiterte BVT tritt künftig gegenüber den polizeilichen Landesstellen (ehemals Landesämter) als Auftraggeber auf. Die für Staatschutz in den Ländern zuständigen Organisationseinheiten behalten aber ihre Selbständigkeit, mit Ausnahme zentral organisierter Aufgaben, wie z.B. die internationale nachrichtendienstliche Arbeit. De facto hat man es in Österreich künftig mit 10 Dienststellen zu tun, die mehr oder weniger selbständig Staatsschutzaufgaben wahrnahmen werden.
Die weitreichende Selbständigkeit der Landesstellen und die lose Anbindung an das BVT/BMI fördert die Schaffung von Doppelgleisigkeiten und Informationsverlusten in einem äußerst sicherheitskritischen Umfeld. Hier scheint es, als ob sich Föderalismus dort durchgesetzt hätte, wo konsequenterweise die Zentralisierung von Strukturen und Verfahren das Gebot der Stunde wäre. Sichergestellt ist jedenfalls, dass sämtliche Staatschutzeinheiten des BMI und auch der Organisationseinheiten in den Ländern auf eine gemeinsame Datenbank zum Zwecke der Datenverarbeitung zugreifen können.
Im Hinblick auf die Befugnisse sind die neuen Dienststellen in den Ländern dem BVT (mit wenigen Ausnahmen) gleichgestellt. Die internationale Presse hat gar über neun zusätzliche Geheimdienste in den Ländern gemutmaßt und dies als mächtige Aufrüstung der österreichischen Terrorismusbekämpfungsbehörden bezeichnet. Anders als in Deutschland ist Polizei in ganz Österreich Bundessache. Zwar sind die künftigen Organisationseinheiten für Verfassungsschutz in den Ländern ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, dort jedoch der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, wo auch das BVT als Organisationseinheit angesiedelt ist. Damit sind die neuen Dienststellen in den Ländern nicht direkt dem BVT zugeordnet, jedoch in Verfassungsschutzangelegenheiten diesem fachlich unterstellt. Die bisherigen Erfahrungen sprechen klar dafür, Ressourcen im Staatschutzbereich zu konzentrieren und nicht aufzusplittern.
Aufgrund massiver Kritik hatte die Regierung noch im November vergangenen Jahres eine abgespeckte Version des Gesetzes auf den Weg gebracht. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Erweiterung der Befugnisse und deren Anwendung bereits im Vorfeld einer strafbaren Handlung im Rahmen der Erweiterten Gefahrenerforschung bei gleichzeitiger Umgehung richterlicher Genehmigungsverfahren. Stattdessen wurde diese Rolle einem Kollegium von Rechtschutzbeauftragten überantwortet. Dieses Gremium ist gegenüber dem zuständigen parlamentarischen Unterausschuss berichtspflichtig und ist administrativ im Innenministerium aufgehängt.
Obwohl lange vorbereitet, erhält das Gesetz durch die aktuelle latente terroristische Gefährdungslage Rückenwind. Durch dieses Staatschutzgesetz wird die Sicherheitslandschaft in Österreich langfristig und nachhaltig in Richtung eines Dienstes mit polizeilichen Befugnissen positioniert.
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