Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will vorerst keine neue Verwaltungsgerichtsbarkeit einführen. "Die Regierung schlägt dem Parlament vor, die Einführung des Systems der Verwaltungsgerichte auf unbestimmte Zeit zu verschieben", sagte Orbáns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás auf einer Pressekonferenz. Die Verwaltungsgerichte würden "im Sperrfeuer internationaler Debatten" stehen, was "die richterliche Unabhängigkeit – wenn auch grundlos – in Zweifel zieht".
Die Gerichte hätten von 2020 an funktionieren sollen. Den entsprechenden Gesetzesentwurf hatte die Regierung im vergangenen November im Parlament eingereicht. Bei der Bestellung der führenden Richter hätte die Regierung das entscheidende Wort gehabt. Kritik daran kam insbesondere von der Venedig-Kommission, einer Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät.
Die neuen Gerichte hätten in politisch heiklen Fällen geurteilt. Etwa bei Wahlanfechtungen und Konflikten um die Informationspflichten von Regierungsstellen oder um Entscheidungen der regierungstreuen Medienaufsichtsbehörde.
Beobachterinnen und Beobachter in Budapest brachten Orbáns Umkehr mit dem Ausgang der Europawahl in Zusammenhang. Der Regierungschef hätte mit einem deutlicheren Erstarken der rechtspopulistischen Parteien gerechnet. Nun suche er wieder die Nähe zur Europäischen Volkspartei. Die (EVP) hatte Orbáns Fidesz-Partei nach einer Anti-EU-Plakatkampagne der ungarischen Regierung suspendiert, aber nicht vollständig ausgeschlossen. Orbán will in der EVP bleiben, fordert aber, dass diese auch mit Antieinwanderungsparteien zusammenarbeitet.
Auf die Frage, warum die Entscheidung so kurz nach der Europawahl gefallen sei, sagte Kanzleramtsminister Gulyás laut dem Portal index.hu, einwanderungskritische Länder müssten sich ständig mit Bedenken hinsichtlich ihrer Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen, während mit der Rechtsstaatlichkeit von Ländern, die Einwanderung befürworten, alles in Ordnung sei. Die Regierung habe nicht riskieren wollen, dass die EU gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren wie gegen Polen einleitet.
zeit.de
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