Maaßen liebt das Westfernsehen, aber das hasst ihn – Alberner Tweet löst alberne Empörung aus

  12 Juli 2019    Gelesen: 791
  Maaßen liebt das Westfernsehen, aber das hasst ihn – Alberner Tweet löst alberne Empörung aus

Der frühere Bundesverfassungsschutzpräsident, Hans-Georg Maaßen, hat mit einem Tweet für Empörung gesorgt, in dem er einen Artikel der Schweizer „NZZ“ lobte, der den Bevölkerungsanteil von Ausländern in deutschen Städten thematisierte. Die NZZ sei für ihn „so etwas wie Westfernsehen“. Die Aufregung darüber empfindet unser Autor als etwas unehrlich.

Hans-Georg Maaßen ist der Typ Mensch, der nicht um Zuneigung bettelt. Maaßen leidet auch nicht an ausufernden Selbstzweifeln. Maaßen hat im Gegenteil öffentlich gemacht, dass er an einer ausgewachsenen Paranoia leidet, von linksradikalen Kräften gestalkt zu werden. Seine diesbezüglichen Verdächtigungen, die er am 18. Oktober 2018 gegenüber der SPD äußerte, nachdem er schon seinen Posten als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz verloren hatte, waren der letzte Sargnagel, mit dem die Karriere des Hans-Georg Maaßen als politischer Beamter beerdigt wurde.

Mitleid braucht Hans-Georg Maaßen nicht. Es darf sogar bezweifelt werden, dass er es erwartet. Gegenstand dieser kommentierenden Betrachtung ist auch nicht eine Art Mitgefühl mit seiner Person, sondern ein gerüttelt Maß an Ekel wegen der verlogenen Reaktionen auf eine Wortmeldung von Maaßen, die ein windschiefes Gleichnis ist, aber einen Kern enthält, der ein echtes Problem anspricht, was wiederum die hysterischen Reaktionen erklärt.

Original-Artikel der NZZ war von zweifelhafter Güte

Dass dabei in den Hintergrund gerückt ist, von welch zweifelhafter Güte der Original-Artikel der „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) war, der Maaßen zu seiner Lobhudelei animierte, sei nur am Rande erwähnt. Dankenswerter Weise hat sich der Blog „Übermedien“ der Sache angenommen und in einem Artikel vom 10. Juli 2019aufgelistet, mit welchen Begrifflichkeiten der in Frankfurt am Main stationierte Wirtschaftskorrespondent der NZZ ursprünglich in seinem Artikel hantierte. Die waren der führenden Schweizer Tageszeitung offenbar so unangenehm, dass sie eine geänderte Version online stellte, mit einer redaktionellen Anmerkung, wonach der Ursprungsartikel „zunächst versehentlich in unredigierter Fassung publiziert“ worden war.

Auch die geänderte Version verweist in der Überschrift „In deutschen Städten sieht die Mehrheitsgesellschaft ihrem Ende entgegen“ auf das Unbehagen, das offenbar nicht nur Hans-Georg Maaßen umtreibt. Der Artikel belegt, dass vor allem westdeutsche Städte, aber auch westeuropäische Metropolen wie Amsterdam oder Brüssel bereits eine Bevölkerungsstruktur aufweisen, in der Menschen ohne Migrationshintergrund nicht mehr die Mehrheit stellen, und dass dies ein Trend sei, der in den kommenden Jahren noch deutlichere Ausprägung erfahren wird, weil der Anteil der Kinder mit Migrationserfahrung in einigen Kommunen deutlich höher ist als der ohne.

Hans-Georg Maaßen hatte offenbar den Eindruck, dass diese Tatsachen in bundesdeutschen Medien nicht, nicht ausreichend oder in einer ihm nicht angemessen erscheinenden Deutlichkeit thematisiert werden, weshalb er auf seinem Twitter-Kontoam 09. Juli 2019 den NZZ-Artikel mit der Bemerkung verlinkte: „Für mich ist die NZZ so etwas wie . (hgm)“.

Die üblichen Belehrungen über die DDR, von Leuten, die die DDR vielleicht nie erlebt haben

Die Reaktionen darauf ließen nicht lange auf sich warten und führten erneut weg vom NZZ-Artikel. Maaßen wurde umgehend beschuldigt, er würde die Medien der Bundesrepublik mit denen der DDR vergleichen. Er wurde beschimpft, er unterstelle, dass die Medien der Bundesrepublik einer Zensur unterliegen würden. Ihm wurde vorgeworfen, er suggeriere, den Nutzern bundesdeutscher Medien würden wichtige Informationen vorenthalten. Er wurde kritisiert, er betreibe rassistische Hetze usw.

Jeder, der die DDR erlebt hat, jeder, der die Jubelberichterstattung der Hauptnachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ erlebt hat, jeder, der das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ und die 15 SED-Zentralorgane der Bezirksleitungen noch kennt, weiß besser als künstlich Dauerempörte, von denen manche die DDR nie kennengelernt haben, dass ein Vergleich von DDR-Medien mit heutigen bundesdeutschen albern, absurd und eine ernsthafte Debatte darüber reine Zeitverschwendung ist.

Jeder, der DDR-Fernsehen noch aus eigenem Erleben kennt, weiß jedoch auch, dass auch die beiden Fernsehprogramme der DDR so wie die öffentlich-rechtlichen und vor allem die privatrechtlich organisierten Programme heute natürlich nicht von politischen Sendungen dominiert wurden, sondern schwer unterhaltungslastig waren. Auch die DDR kannte das System von Brot und Spielen. DDR-Bürger haben Westfernsehen natürlich auch gesehen, um in „Tagesschau“ und „Heute“ einen anderen Blick, andere Informationen über die DDR und über die Weltlage zu erhalten. Aber Westfernsehen war für DDR-Bürger vor allem auch Unterhaltung. Für viele die eindeutig bessere Unterhaltung.

Wenn ein gelernter DDR-Bürger den Satz liest „Für mich ist die NZZ so etwas wie Westfernsehen“, dann denkt er eben nicht umgehend, oha, die heutigen deutschen Medien unterliegen einer Zensur wie in der DDR, sondern sie bringen diesen Satz mit ihren Erfahrungen und ihrem Benutzerverhalten von Westfernsehen in Verbindung. Mit Horizonterweiterung, einer anderen Sprache, anderen Prioritätensetzungen, anderen Blickwinkeln, anderen Argumenten, ergänzenden Informationen. Denn, noch einmal, ehemalige DDR-Bürger müssen nicht über den grundlegenden Unterschied zwischen Medien in der DDR und im heutigen Deutschland belehrt werden.

Ausländische Medien erfüllen heute für viele Menschen den Zweck des früheren „Westfernsehens“

Aber offenbar haben viele Menschen heute das Gefühl, dass andere Medien, außerhalb Deutschlands, einen anderen Blick, andere Argumente, ergänzende Informationen haben. Also eine Rolle, die früher die Westmedien für DDR-Bürger spielten. Unter den Twitter-Kommentaren bei Hans-Georg Maaßen ragt einer deshalb auch insofern hervor, als er einen wichtigen Hinweis liefert, wie man den inkriminierten Tweet von Maaßen eventuell auch lesen kann. Der Leiter des Parlamentsbüros des Springer-Boulevard-Blattes „Bild“, Ralf Schuler, erinnerte nämlich in seiner Erwiderung staubtrocken:

„Der Vergleich ist seit langem recht verbreitet und keine Erfindung von @HGMaassen . Die @NZZ hat wegen des beträchtlichen Zuspruchs eigens die Berliner Redaktion ausgebaut und bietet ein spezielles Deutschland-Abo an.“

Sprich, es muss einen gewichtigen Grund dafür geben, warum die Schweizer NZZ diesen journalistischen und betriebswirtschaftlichen Aufwand für Deutschland betreibt und damit erfolgreich ist, während das Experiment einer österreichischen NZZ-Ausgabe schnell wieder eingestellt wurde. Berichten österreichische Medien etwa anders als bundesdeutsche und wird die NZZ in Österreich deshalb auch nicht im gleichen Maße wie in Deutschland als alternative Informationsquelle angesehen? Und springen deshalb bundesdeutsche Medienvertreter und Politiker im Kreis?

Wie glaubwürdig die Distanzierung der NZZ-Redaktion von Maaßen ist, muss jeder für sich entscheiden, aber es ist deutlich zielführender, wieder zum eigentlichen Ursprung der bizarren Auseinandersetzung zurückzukehren, dem NZZ-Artikel vom 9. Juli 2019. Darin wird sehr ausführlich Bezug genommen auf den Migrationsforscher Jens Schneider von der Uni Osnabrück. Und auf eine 2017 verfasste Stellungnahme, die Schneider zusammen mit seinem Institutsleiter, Andreas Pott, für den Rat für Migration geschrieben hatte. Es wird auch daran erinnert, dass Schneider mit der „Taz“ und dem „Spiegel“ über die im NZZ-Artikel thematisierte Bevölkerungsentwicklung gesprochen hat.

Maaßen wird diese Stellungnahme also vor die Nase gehalten, als beweise sie, was für ein schlechter Mensch er sei, wo doch damit bewiesen sei, dass die deutschen Medien sehr wohl berichtet und nichts verschwiegen haben. Was Maaßens Kritiker aber dabei vergessen ist, dass Schneider und Pott in ihrem Vortext zur Stellungnahme auf der Internetseite des Rates für Migration nüchtern feststellen:

„Die öffentliche Wahrnehmung und Debatte hängt dieser Entwicklung jedoch hinterher.“

Die Kritiker von Maaßen und seinen Sympathisanten ignorieren, dass nicht mehr nur mehr oder weniger sympathische Wertekonservative wie der frühere Verfassungsschutzpräsident beklagen, dass deutsche Medien bei bestimmten Themen den Eindruck von Uniformität erwecken, sei es die Migrationsfrage, private Seenotrettung, die Flüchtlingskrise 2015, die Russlandberichterstattung, die Berichterstattung über den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 oder anderes. Kein Geringerer als der populistischen Umtrieben sicherlich unverdächtige frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen konstatierte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ am 11. Juli 2019, also zwei Tage nach dem Maaßen-Tweet:

„In vielen wichtigen Fragen beobachte ich eine homogene Berichterstattung. Alle marschieren in eine Richtung, nicht selten im Einklang mit der vorherrschenden Meinung in der Politik.“

In den Niederlanden ist längst Wirklichkeit, was hierzulande immer als übertrieben verlacht wurde

Der NZZ-Artikel, der Hans-Georg Maaßen so sehr gefiel, dass er mal wieder öffentlich seinem Affen Zucker gegeben hat, weil er es offenbar genießt, wenn sich Menschen über ihn und seiner Äußerungen empören, enthielt noch ganz am Schluss einen interessanten Aspekt. Der Autor erinnert an ein Interview, das die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) 2018 mit dem niederländischen Integrationsforscher Maurice Crul geführt hat. Darin spult Crul kurz und offenbar schmerzlos Fakten der Realität unserer niederländischen Nachbarn auf, die all das zu bestätigen scheinen, wovor in Deutschland seit Jahren und Jahrzehnten Parteien wie die Republikaner, die DVU, die NPD oder aktuell die AfD warnten und polemisierten. Dass das Land schleichend in seiner Bevölkerungsstruktur verändert werde und Menschen ohne Migrationshintergrund sich irgendwann als Fremde im eigenen Land fühlen könnten. Diese Ängste und der Protest gegen diese Entwicklung wurden und werden bis heute als irrational, als ausländerfeindlich oder als Klagen von alten, weißen Männern abgeschmettert.

Wer das seinerzeitige Interview heute liest, der hat das Gefühl, also haben sie doch Recht gehabt, und diejenigen, die immer behauptet haben, man übertreibe, die zucken heute nur noch mit den Schultern und sagen, so ist es jetzt, findet euch damit ab. Denn Maurice Crul beispielsweise erklärt, in den Niederlanden werde überhaupt nicht mehr, wie noch in Deutschland, über Integration diskutiert, sondern dort hat die Verschiebung in der Bevölkerungsstruktur längst Fakten geschaffen:

„Integration im klassischen Sinne gibt es in Großstädten nicht mehr. Es ist eher so, dass man gemeinsam aushandelt, wie man miteinander lebt. Und damit ist die entscheidende Änderung verbunden. Das ist nicht immer einfach. Die größte Integrationsleistung müssen im Moment die Niederländer leisten, die lange in der Selbstverständlichkeit der Mehrheitsgesellschaft gelebt haben.“

Es ist nicht bekannt, ob Maaßen das Crul-Interview kennt. Aber der Verweis auf das Interview als Anklage gegen Maaßen, deutsche Medien würden doch auch kontrovers über das Migrationsthema berichten, geht in diesem Fall ins Leere. Denn das Interview befindet sich nach wie vor hinter einer Bezahlschranke. Insofern könnte man auch formulieren: „Hinter der Bezahlschranke der FAZ ist es für mich ein wenig wie Westfernsehen.“ Aber die Kernaussage ist die gleiche. Der Autor dieses Artikels wartet auf die empörten Wortmeldungen von Ruprecht Polenz und Volker Beck.

sputniknews


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