Die traditionellen Gewerbetreibenden, Nachbarn und Flaneure am Tempelhofer Hafen gewöhnen sich noch an solche Szenen. Aufgepumpte Männer eines einschlägig bekannten Clans halten Hof in einem gut gelegenen Lokal. Zuweilen fahren im Minutentakt aufgemotzte Luxusautos vor, für deren Preis auch zwei Kleinwagen zu haben wären.
Oft wirkt der folgende Auftritt der Männer wie eine geplante Inszenierung – Beamte jedenfalls erkannten die gern bärtigen Hünen oft schon im Vorbeifahren auf Anhieb. Vor einigen Monaten hatten sie diese Herren meist in Neukölln beim Protzen erlebt.
Während die Berliner Behörden härter gegen Clankriminelle vorgehen, ändern sich die im Milieu favorisierten Wohn- und Tatorte. Das hat sowohl mit der staatlichen Repression als auch mit territorialer Expansion zu tun. Jedenfalls zeigt das in Neukölln erprobte Vorgehen erste Wirkung. Die von Polizei, Zoll, Gewerbeaufsicht und Ordnungsamt durchgeführten Razzien verunsichern zumindest einige der einschlägig bekannten Männer.
Andererseits sind noch Hunderte von ihnen in kriminelle Strukturen verwickelt. Zudem suchen Heranwachsende bekannter Familien – also Söhne und Enkel der aus dem Libanon einst Eingewanderten – eigene Wohnungen und Betätigungsfelder.
Staatlicher Druck und milieuinterne Neuorientierung – beides trägt zur aktuellen Dynamik bei. Noch vor einigen Jahren waren die Familien ganz überwiegend in Nordneukölln aktiv. Seit einem Jahr finden dort fast wöchentlich Razzien statt. „Alle unsere Erfahrungen zeigen, dass das Neuköllner Modell funktioniert.
Wir stören mit unseren Verbundeinsätzen die illegalen Geschäfte, ahnden jede Kleinigkeit“, sagt Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) dem Tagesspiegel. „Im Ergebnis werden Treffpunkte aufgegeben, das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse unserer Einsätze.“
Nach Tagesspiegel-Recherchen treffen sich Angehörige und Zuarbeiter namhafter Familien oft nicht mehr in Neuköllner Shisha-Bars, sondern in Tempelhof und Charlottenburg. Immobilienpreise und Mieten sind dort nicht günstiger; allerdings lässt sich in bestimmten Vierteln an neuen Lokalen, Spielotheken und Autovermietungen verdienen – in Neukölln sind viele Straßen schon voll damit.
Zudem wollen die Großfamilien so den Dauereinsätzen von Polizei, Gewerbeaufsicht und Ordnungsamt in Neukölln entgehen.
„Ich würde es begrüßen, wenn unsere Verbundeinsätze mit den verschiedenen Behörden in Berlin Schule machen und die anderen Bezirke sich anschließen“, sagte Hikel. „Denn unser Ziel ist nicht, die Clankriminalität nur aus Neukölln zu vertreiben, sondern sie nachhaltig zu bekämpfen. Dafür brauchen wir einen langen Atem und entschlossenes Auftreten in der ganzen Stadt.“ In Spandau schätzen Ermittler inzwischen elf Objekte als Treffs mit „Clan-Bezug“ ein.
Erst vor einigen Tagen eskalierte ein Streit im Milieu, an dem Männer aus dem Umfeld der Familie A. und frühere Rocker beteiligt waren. Die Beteiligten arbeiten teilweise als Autovermieter, deren Wagen als sogenannte Kokaintaxis eingesetzt werden – ein lukratives Geschäft, wenn alle Beteiligten nach den regelmäßigen, aber oft nicht beweissicheren Festnahmen schweigen.
Neu an dem Streit ist, dass er in der Nähe des für derlei Taten bislang nicht bekannten Savignyplatzes stattfand – inklusive Schusswaffen. Reinhard Naumann, der Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, weiß um die Neuerungen in seinem Bezirk. Der SPD-Politiker trifft sich im August mit seinem Neuköllner Amtskollegen Hikel. Es wird darum gehen, welche Maßnahmen sich übertragen lassen.
„Hikel macht das tatsächlich sehr gut“, sagte Michael Kuhr, der als Chef eines Sicherheitsdienstes viele Clankriminelle kennt. Nun müsse die Politik dranbleiben. In Tempelhof dient das erwähnte Lokal als Treff der im Milieu bekannten Familie C.; kürzlich war es wegen baurechtlicher Bedenken vorübergehend geschlossen worden. Erwartet wird, dass Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) eine ämterübergreifende Einsatzpolitik wie in Neukölln favorisiert.
Wie im Milieu üblich stammt die Familie C. aus dem Libanon. Angehörige sind mit Raub und Drogenhandel aufgefallen – während Männer und Frauen eines anderen Familienzweigs regulären Jobs nachgehen. Angehörige der Großfamilie C. residieren inzwischen auch in Biesdorf – bislang mieden die Clans den Osten Berlins. Im Umfeld der Familie C. tauchte auch ein Mann auf, der zum Miri-Clan gerechnet wird.
Wie berichtet, war dessen Oberhaupt in einer geheimen Aktion via Nachtflug von Bremen über Berlin nach Beirut abgeschoben worden. Jahrelang weigerten sich die libanesischen Behörden, jene Männer aufzunehmen, die während des dortigen Bürgerkrieges geflohen waren. Oft waren die bekannten Clans zuvor aus arabischen Gemeinden im Süden der Türkei oder als palästinensische Flüchtlinge in den Libanon gekommen. Die Regierung in Beirut erkennt sie oft nicht als Staatsbürger an.
Dass der 46-jährige Ibrahim Miri nun doch mit Segen Beiruts abgeschoben wurde, hat einige im Milieu alarmiert. Haftstrafen in Berlin werden von vielen Clans in Kauf genommen. Weil arabische Häftlinge in den Gefängnissen zahlreicher werden und die Familien auch in den Anstalten einen Ruf haben, stören solche Strafen nur mäßig. Abschiebungen gelten als risikoreicher, weil die Familienoberhäupter in Beirut nicht zwangsläufig so gefürchtet sind wie in Berlin.
Viele Clan-Ältere sind keine deutschen Staatsbürger, aber nicht alle werden abgeschoben werden können, auch wenn Innensenator Andreas Geisel (SPD)im Mai in Beirut vorstellig wurde. Die Jüngeren sind ohnehin in Berlin geborene deutsche Staatsbürger.
Dies gilt auch für den Remmo-Clan: Ein 1999 geborener Angehöriger steht gerade wegen Mordverdachts vor dem Landgericht. Er soll einen Mann erschlagen haben, der den Remmos einst Geld lieh und nun zurückgeforderte. Diesen Mittwoch ergeht das Urteil. Die Remmos waren 2018 bekannt geworden: Die Justiz hatte 77 Immobilien, die der Familie gehören sollen, wegen Geldwäscheverdachtes vorläufig konfisziert.
tagesspiegel
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