Ich bin aus Syrien, im September 2014 kam ich in Berlin an. In Syrien trug ich ein Kopftuch. In jenem September legte ich es am Flughafen Frankfurt erstmals ab. Ich war schockiert und nervös. Seit ich 13 war, hatte ich es immer getragen. Ich hatte Angst, mich plötzlich entblößt zu fühlen.
Aber ich habe es nie bereut. Es war genau die richtige Zeit. Viele meiner Freunde redeten nicht mehr mit mir, beendeten die Facebook-Freundschaft. Andere beglückwünschten mich für meine mutige Entscheidung. Ich wartete und versuchte, mein neues Ich zu entdecken. Einige Leute sagten, ich habe das Kopftuch nur abgenommen, um mich mehr in die christlich-europäische Gesellschaft zu integrieren, und dass ich meine muslimischen Werte missachte. Das stimmte in gewisser Weise – ich wollte mich leichter integrieren, aber nicht weniger muslimisch sein. Aber das war nicht der einzige Grund.
Ich möchte nicht die islamische Pflicht für Frauen diskutieren, einen Hidschab zu tragen, oder was ich dachte, als ich ihn abnahm. Dass ich bei meiner Entscheidung blieb, hatte genau einen Grund: Ich spürte, dass ich ihn nicht mehr tragen brauche. Niemand schaut, wie gut oder verlockend dein Haar ist. Es kümmert niemanden. Deswegen gibt es auch gar keinen Grund mehr, das Kopftuch zu tragen. Nicht in Berlin.
Ich war glücklich, dass mein langes Haar, das so lange bedeckt war, endlich frei sein konnte. Und ich war überzeugt, dass ich mich sicher attraktiver fühlen würde. Doch ich war überrascht. Als ich in den ersten zwei Wochen in Mitte über die Straßen lief oder die Metro nahm, beobachtete ich die Leute – und stellte fest: Die Deutschen schauen nicht. Ich erzählte das meiner Freundin Alaa, die Deutschland zuvor besucht hatte. Sie sagte dazu: „Sie schauen schon, aber nicht in einer schlechten oder rüden Art. Das, was wir aus Syrien gewohnt sind, wird hier als sexuelle Belästigung wahrgenommen.“
Früher war ich manchmal stolz, wenn mir ein junger Mann in Damaskus sagte, dass ich wunderschön aussehe. Heute bin ich stolz, dass ich nicht mehr drangsaliert werde. Dass ich als Frau respektiert werde.
Aber es ist nicht immer so.
Am ersten Tag, als meine beste Freundin über Griechenland in Berlin ankam, gab ich an, wie sicher diese Stadt sei. Ich sagte sogar: „Und das hier gilt als die unsicherste Stadt in Deutschland.“
Es war acht Uhr an einem Sommerabend. Wir waren mit zwei weiteren syrischen Freundinnen auf dem Alexanderplatz unterwegs. Wir wurden von einer Gruppe junger Männer belästigt, und hier muss ich sagen, dass es junge afrikanische Männer waren. Sie versuchten, das Handy meiner Freundin zu klauen. Als sie davonrannte, begann einer der Männer, ihr nachzulaufen. Sie schrie – drei Minuten lang, mitten auf dem Platz – „Nein, nein“ – während wir anderen drei ihnen folgten und die Diebe anschrien. Die Männer waren betrunken. Irgendwann ließen sie von uns ab.
Alaa und ich waren schockiert. Auf einem öffentlichen Platz kam keiner, um uns zu helfen oder dazwischenzugehen. Alle schauten zu, aber niemand wagte es, uns beizustehen. Wir waren junge Frauen, mitten in Berlin, und ganz alleine.
Das war das erste und einzige Mal, dass ich mich als Frau in Deutschland unsicher fühlte. Aber es war der erste Eindruck meiner Freundin Alaa.
Was an Silvester in Köln geschehen ist, ist abscheulich. Es kann durch nichts gerechtfertigt werden. Viele Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr gekommen, um bessere wirtschaftliche oder politische Verhältnisse zu finden. Aber vor allem suchten sie Sicherheit. Die darf unter keinen Umständen gefährdet werden.
Am meisten habe ich Angst vor den langfristigen Folgen. Flüchtlinge sind erst einmal Fremde; und Menschen tendieren dazu, vor Unbekannten eingeschüchtert zu sein. Es ist einfach, jetzt allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein Vorurteil ist schnell da, aber es wieder zu korrigieren, ist sehr viel schwerer.
Der „Islamische Staat“ hat die Welt erfolgreich davon überzeugt, den Islam mit Terrorismus zu verbinden, und seit dem 11. September 2001 haben Muslime versucht, ein Bild zu korrigieren, das eine kleine Gruppe von Schurken erschaffen hat. Es macht mich traurig, dass diejenigen, die die Mädchen am Kölner Bahnhof attackierten, nicht begriffen haben, dass sie nicht nur den Opfern und sich selbst geschadet haben. Sie schaden den Tausenden, die ihre Heimat wegen genau solcher Verbrecher verlassen haben.
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