Die Vereinigten Staaten sind zweifellos stark. Aber die Militärmacht eines Landes erkennt man nicht an den Rüstungsausgaben. Das schreibt Justin Lynch, Mitglied der Nationalgardetruppen der US-Armee, in seiner Analyse „Der Mythos von Amerikas Militärdominanz“, auf die sich der russische Fachjournalist bezieht. Die Überzeugung von der stetigen Militärmacht der Vereinigten Staaten entbehrt demnach „nahezu völlig“ einer Grundlage.
Denkfehler und Fehlurteile
Die Legenden vom Triumph der Vereinigten Staaten in den beiden zurückliegenden Weltkriegen, der beeindruckende Erfolg der US-Armee im Ersten Golfkrieg und bei den Blitzinvasionen in Irak und Afghanistan – das alles nährt laut dem Experten den Glauben der Amerikaner, die USA seien geradezu dazu bestimmt, aus jedem Krieg und Konflikt zwangsläufig als Sieger hervorzugehen.
Einen klaren Beleg dafür gibt die Geschichte jedoch nicht her. Ja, die Vereinigten Staaten waren maßgeblich am Ersten und Zweiten Weltkrieg beteiligt, keine Frage. Aber eben nicht als die führende Kraft, sondern als Teil von Großallianzen, denen auch andere Mächte angehörten, schreibt der Experte.
Im Ersten Weltkrieg verschob Amerika zwar den Kräftestand zum Nachteil Deutschlands, aber zu einer Dominanzstellung an der Westfront fehlte es den Vereinigten Staaten an militärischer und wirtschaftlicher Kraft. Die Armeen Frankreichs, Englands und Russlands trugen damals schon die Hauptlast des Krieges.
Das Narrativ von Amerikas Kräfteanstrengung in den Weltkriegen lässt den Beitrag anderer Völker unerwähnt. Im Zweiten Weltkrieg waren die USA in Nordafrika, in Italien, Frankreich und im Pazifik zweifellos wichtig. Aber wer zerschlug den Großteil der Wehrmacht und das stärkste Heereskontingent des Kaiserlichen Japans, die Kwantung-Armee?
Die 1950-70er Jahre werden in den USA selten als eine Zeit epochaler Kriegserfolge gefeiert. Der Koreakrieg wird nahezu gar nicht erwähnt, der Vietnamkrieg als schmerzhaftes, aber lehrreiches Kapitel der US-Geschichte erzählt.
Statt den wahren Kriegsverlauf in Vietnam zu schildern, wird von Herausforderungen und Rückschlägen im Kampf gegen einen „unkonventionellen“ Gegner gesprochen. Die Vereinigten Staaten hätten ihre Lektion im Vietnamkrieg gelernt, die Streitkräfte seien im Bezug auf Technik, Einsatztaktik und Kampfgeist gestärkt aus den Erfahrungen hervorgegangen, lautet die offizielle Erzählung. Es sei eine Streitmacht entstanden, die im Ersten Golfkrieg gewinnen musste.
Der Erfolg der US-Armee in den Kämpfen in Kuweit und Irak hat in der Tat alle Erwartungen übertroffen. Mit geringsten Verlusten zerschlugen die USA die Armee Saddam Husseins. George Bush sen. erklärte das „Vietnam-Syndrom“ der amerikanischen Streitkräfte für erledigt.
Nur: Als Indikator taugt der Erste Golfkrieg laut dem Experten wenig. Die USA führten in dem Krieg eine Großkoalition von starken Streitmächten in den Kampf gegen eine deutlich kleinere Armee, die zudem durch den zermürbenden Krieg mit dem Iran geschwächt war. Die Iraker mussten auf freier Fläche kämpfen, wo die USA ihre Kriegstechnik naturgemäß wirkungsvoller einsetzen konnten als in dichtbebauten Städten oder im undurchdringlichen Dschungel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigen Staaten viele Länder bekriegt: Nordkorea, Nordvietnam, Panama, Libyen, Iran, Irak, Jugoslawien, Afghanistan. Gegen Aufständische und Terroristen haben die Amerikaner auch gekämpft. Gegen eine gut ausgebildete, modern ausgerüstete, ebenbürtige Armee – nicht.
Und: „Gute Ergebnisse“ zeigte die US-Armee nicht in jedem der genannten Kriege. Dies bei den enormen Summen, die Amerika für Rüstung ausgibt. 2016 gaben die Vereinigten Staaten 596 Mrd. Dollar für Militärzwecke aus – 19 Mrd. mehr als sieben andere Industrieländer zusammen.
Allerdings behauptet auch niemand, dass Abermilliarden für Rüstung den militärischen Erfolg garantieren. Auch der renommierte US-Experte Stephen Biddle betont laut dem Autor, Strategie, operatives Können und taktisches Geschick seien viel entscheidender als Rüstungsausgaben – und durch Rüstungsausgaben allein nicht zu erwerben.
Die US-Streitkräfte setzen deshalb auf Training. „Die Realitätsnähe und die Intensität der Ausbildung in den Ausbildungszentren hat die Soldaten offensichtlich gut auf reale Kampfhandlungen vorbereitet“, hieß es laut dem Autor in einer Studie, die die US-Regierung nach dem Ersten Golfkrieg in Auftrag gegeben hatte.
Ein Erfolgsgarant ist aber auch die beste Kampfausbildung nicht, schreibt indes Justin Lynch über den „Mythos von Amerikas Militärdominanz“. Der Wert einer Ausbildung werde letztlich am Kampfwert der Soldaten gemessen. Ob die heutige Ausbildung in künftigen Konflikten wertvoll sein werde, vermöge niemand vorherzusagen.
Um nicht missverstanden zu werden: Dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten schwach sind, kann man nicht behaupten, schreibt der Experte. Die US Army, Navy und Air Force sind in der Lage, ihre Schlagkraft global zu projizieren. Nur wenige Länder wagen es, sich auf eine militärische Rivalität mit den USA einzulassen. Der Punkt ist immer noch der, dass die Geschichte Amerikas keinen Beleg für Amerikas Militärdominanz liefert.
„Wenn die USA in den Kriegen des 20. Jahrhunderts auch siegten, dann weniger wegen innovativer Strategien oder gewiefter Taktiken. Die Armeen von Hussein oder Gaddafi zu verprügeln, ist wirklich keine Großtat“, sagt Generalleutnant Waleri Saparenko, ehemaliger Vize-Chef der Hauptabteilung Operatives beim russischen Generalstab im Zeitungsgespräch.
„Es gibt heute nur zwei Länder, deren Streitkräfte es an Rang und Schlagkraft mit der amerikanischen Armee aufnehmen können. Diese Länder sind Russland und China. In 15 bis 20 Jahren wird Chinas Armee für sich die globale Vormachtstellung beanspruchen.“ Daran müssten die USA sich messen, so der General.
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