DFB-Elf wackelt volley ins Glück

  10 September 2019    Gelesen: 878
DFB-Elf wackelt volley ins Glück

Ein Weltklassespieler steht bei der deutschen Fußball-Nationalelf im Tor, der andere sitzt auf der Bank. Der Rest müht sich in Nordirland redlich und letztlich erfolgreich. Das mit der EM 2020 sollte klappen. Bleibt die Frage: Was macht eigentlich Will Grigg?

Die deutsche Fußball-Nationalelf hat die Niederlage gegen die Niederlande offenbar einigermaßen verdaut. Zumindest hat sie ihr EM-Qualifikationsspiel in Belfast am Montagabend mit 2:0 (0:0) gegen ein über die Maßen engagiertes Team aus Nordirland gewonnen. Das kostete die DFB-Elf vor 18.104 Zuschauern im Windsor Park viel Mühe. Es war eine wacklige Angelegenheit. Nachdem sie aber die erste Halbzeit überlebt hatte, war der Sieg am Ende verdient. Marcel Halstenberg in der 48. und Serge Gnabry in der zweiten Minute der Nachspielzeit erzielten die Tore. Als Belohnung steht jetzt Platz eins in der Gruppe C zu Buche, punktgleich mit den Nordiren. Die Niederländer, gegen die die Deutschen so deutlich verlor, haben drei Punkte weniger, aber auch einmal weniger gespielt.

Das sollte also klappen mit der Spielberechtigung für die Europameisterschaft, die vom 12. Juni bis zum 12. Juli in zwölf Städten stattfindet. Der Bundestrainer war erleichtert. "Wir mussten einige Schwierigkeiten überwinden in diesem Spiel. Aber das gehört auch dazu", sagte Joachim Löw. "Am Ende zählen jetzt drei Punkte in der Quali. Das haben wir erreicht, damit können wir zufrieden sein."

Weiter geht's am 9. Oktober mit einem Testspiel in Dortmund gegen Argentinien, dann stehen die letzten drei Qualifikationspartien an: am 13. Oktober in Tallinn gegen Estland, am 16. November in Mönchengladbach gegen Weißrussland und am 19. November in Frankfurt gegen Nordirland - falls der DFB die Partie nicht doch nach Sinsheim delegiert. Jetzt aber erst einmal die deutschen Spieler in der Einzelkritik:

Manuel Neuer: Weil alles nicht so begann, wie die deutsche Mannschaft sich das vorgestellt hatte, musste der 33 Jahre alte Torhüter des FC Bayern in seinem 90. Länderspiel sehr früh zeigen, dass er immer noch zu den Besten seines Fachs gehört. Die Nordiren waren so "on fire", dass Toni Kroos in der siebten Minute tatsächlich einen Fehlpass spielte und Angreifer Conor Washington frei vor Neuer auftauchte. Der aber parierte. Apropos souverän, das war auch sein Umgang mit den zahlreichen und bisweilen riskanten Rückpässen. Da war er wieder, Manu der Libero. "Er ist ein großer Rückhalt", sagte sein Trainer. Nur einmal hielt der Keeper den Ball nicht fest, kurz vor der Pause eine flache Flanke von Stuart Dallas. Washington schoss aus drei Metern, Jonathan Tah ging dazwischen und schließlich warf Neuer sich auf den Ball. Im Grunde ist der Kapitän der Einzige mit Weltklasseformat im Kader - bis auf Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona. Sein Pech ist, dass auch er Torhüter ist.

Lukas Klostermann: Gegen die Niederlande hatte der 23 Jahre alte Rechtsverteidiger aus Leipzig die sehr große Chance zum 1:0 vergeben und Glück, dass Gnabry das im Nachschuss erledigte. Nun hatte er zwei Minuten nach der Pause und einer Flanke seines Klubkollegen Marcel Halstenberg eine sehr große Chance zum 1:0, schoss aber wieder nur den Torhüter an, der dieses Mal nicht Jasper Cillessen, sondern Bailey Peacock-Farrell hieß. Sein Pech war, dass Gnabry nicht einsprang; sein Glück, dass er eine Minute später den Ball auf Halstenberg flankte und der die Führung erzielte. Ansonsten machte er seine Sache in seinem vierten Länderspiel ordentlich: Kurz vor der Pause flankte er schön auf Timo Werner. Bleibt die Frage, ob Klostermann auf der rechten Abwehrseite eine berufliche Zukunft in der DFB-Elf hat. Hat er? Solange Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld spielt, auf jeden Fall.

Matthias Ginter: Der 25 Jahre alte Abwehrspieler von Borussia Mönchengladbach verrichtete seine Arbeit in der Innenverteidigung  in seinem 28. Länderspiel solide, allerdings brachte er einige Pässe nicht an den Mann und wirkte bisweilen unsicher. Wie das gesamte Team hatte er viel damit zu tun, die stürmischen Nordiren irgendwie aufzuhalten. Nach 38 Minuten war Schluss, er musste verletzt raus, Rippenprellung nach einem Zweikampf mit Washington. Wie lange er ausfällt, ist unklar. Für ihn kam in der 40. Minute der Eigentorschütze von Hamburg, Jonathan Tah, der auch sonst gegen Oranje einen gebrauchten Abend erwischt hatte. Da Löw sein System von 3-4-3 auf 4-3-3 umgestellt hatte, saß der 23 Jahre alte Leverkusener als Innenverteidiger Nummer drei auf Bank, rückte dann aber in seinem achten Länderspiel an die Seite von Niklas Süle. Und stellte fest, dass es dort jede Menge zu tun gibt. Kurz vor der Pause rette er seiner Mannschaft im Windsor Park mit einer Grätsche das 0:0, was irgendwie sinnbildlich war. Insgesamt war sein Auftritt souverän.

Niklas Süle: Chef oder Chefchen? Im Grunde ist die Frage gemein. Immerhin hatte der 23 Jahre alte Münchner vor der Niederlage gegen die Niederlande selbst gesagt, dass er noch einiges lernen muss. In seinem 22. Länderspiel wirkte der wuchtige Innenverteidiger anfangs etwas überrascht, dass die Nordiren und allen voran der bereits mehrmals erwähnte, nicht minder wuchtige Washington vom schottischen Erstligisten Heart of Midlothian ihn und seine Abwehr vor so große Probleme stellten. Aber Süle war zur Stelle, wenn es brannte. Er war aber auch derjenige, der sehr häufig nicht immer risikolos den Ball zu Neuer zurückspielte. Aber am Ende ist es ja noch einmal gutgegangen. Fast hätte er nach 27 Minuten das Führungstor erzielt, nach einer von Toni Kroos geschossenen Ecke stand er, also Süle, frei am Fünfmeterraum - war aber zu überrascht. Irgendwann aber schießt bestimmt wieder ein Innenverteidiger ein Tor für die DFB-Elf. Hat hier jemand Mats Hummels gesagt?

Marcel Halstenberg: Das trifft sich natürlich gut, dass der 27 Jahre alte Linksverteidiger von RB Leipzig die DFB-Elf nach der "VOLLEY!"-Choreografie des Fanklubs der Nationalelf in Hamburg nun in seinem vierten Länderspiel mit einem wunderschönen Direktschuss in den Winkel kurz nach der Pause in Führung brachte. Es war sein erstes Tor in der DFB-Elf. Und zuvor hatte er ja schon den Kollegen Klostermann bedient. Kurz nach dem Spiel war er ganz aufgeregt: "Ich habe noch eine ganze Menge Adrenalin. Ich habe den Ball einfach überragend getroffen, er fliegt perfekt rein - das hat so ein bisschen die Dose geöffnet." Dabei war er nur für den verletzten Dortmunder Nico Schulz in die Startelf gerutscht und hatte den Vorzug vor dem Kölner Jonas Hector bekommen, der jahrelang das Abonnement auf den Job am linken Ende der Viererkette hatte. Wie die meisten seiner Kollegen leistete sich Halstenberg vor der Pause einige Fehlpässe, die zweite Hälfte aber war die seine.

Joshua Kimmich: Dass die deutsche Mannschaft in der ersten Halbzeit vor allem darum kämpfte, in Belfast gegen den Außenseiter nicht in Rückstand zu geraten, lag auch ein wenig am dem 24 Jahre alten Spieler des FC Bayern. Auf der Doppelsechs neben dem Kollegen Kroos unterliefen ihm ungewohnt viele Fehlpässe, das tat dem Aufbauspiel, sofern überhaupt vorhanden, nicht gerade gut. Andererseits machte er sich in seinem 44. Länderspiel mit seiner Stärke in den Zweikämpfen gegen die nicht gerade zimperlichen Nordiren durchaus um die Defensive verdient, was ja auch nottat.

Toni Kroos: Auch für ihn, neben Neuer und Ginter der letzte verbliebene Weltmeister, begann die Partie nicht gut. Bereits nach sieben Minuten spielte er den Ball arg bedrängt an der Seitenlinie zum Gegner, sodass Washington fast das 1:0 erzielt hätte. Aber Kroos wäre nicht Kroos, hätte er sich davon aus der Bahn werfen lassen. Im Gegenteil: Der Mittelfeldspieler von Real Madrid arbeitete sich in sein 94. Länderspiel hinein und war sehr oft am Ball. Er verrichtete mit Leidenschaft und auffallend oft Aufgaben in der Defensive, als wolle er der Welt zeigen, dass er sich für nichts zu schade ist. Und als wolle er zeigen, dass er wandelbar und damit genau der Richtige ist, als einer der wenigen Altmeister den proklamierten Neuaufbau nach dem Debakel bei der WM in Russland gewinnbringend zu begleiten. Mitunter gelang es ihm, mit seinen diagonalen Pässen dem Spiel Struktur zu geben. Das klappte in der zweiten Halbzeit wesentlich besser. Ein wenig Glück hatte er, dass der italienische Schiedsrichter Daniele Orsato in der 62. Minute nicht auf Elfmeter entschied, nachdem er seinen Gegenspieler Paddy McNair im Zweikampf leicht am Fuß berührt hatte, auf dass der zu Boden sank.

Marco Reus: Zweites Spiel innerhalb von vier Tagen, zum zweiten Mal stand der 30 Jahre alte Dortmunder in der Startelf. Aber auch in seinem 43. Länderspiel lief es nicht richtig rund für ihn. Dabei durfte er hinter den jungen Wilden - Gnabry, Werner und Julian Brandt - als Zehner im offensiven Mittelfeld spielen, eine Position, die ihm eigentlich liegt. In der ersten Halbzeit aber trat er kaum in Erscheinung. Nach der Pause hatte er seine auffälligste Szene in der 56. Minute, als er einen Freistoß schön aufs Tor der Nordiren zirkelte, Peacock-Farrell aber ebenso schön parierte. Insgesamt legte er dreimal für einen Kollegen vor, dreimal schoss er selbst auf des Gegners Tor. Sagen wir es so: Das war nicht schlecht, aber er kann mehr. Sein Fazit: "In der ersten Halbzeit war es schwierig. Der Gegner hat uns extrem hoch angegriffen. Wir wussten, dass wir zu unseren Torchancen kommen würden, haben ja auch das 1:0 gemacht. Die zweite Halbzeit war deutlich besser als die erste. Die Niederlage gegen die Niederlande mussten wir erst einmal verarbeiten." Fünf Minuten vor dem Ende kam für ihn der 25 Jahre alte Emre Can von Juventus und so nach elf Monaten Pause zu seinem 22. Länderspiel.

Serge Gnabry: Zehn Länderspiele, neun Tore - der Mann hat einen Lauf. Und der Bundestrainer durfte sich in seiner etwas vollmundigen Ankündigung vor der Niederlage gegen die Niederlande bestätigt fühlen, als er gesagt hatte, bei ihm spiele Gnabry immer. Der 24 Jahre alte Offensivkünstler des FC Bayern sorgte in Belfast mit einem Tor aus spitzem Winkel in der zweiten Minute der Nachspielzeit für das 2:0. Aber nicht nur deshalb war er der Beste der Dreier-Angriffsreihe. Sondern auch, weil er nicht nur schön spielen kann, sondern nach einer Viertelstunde sich als einer der Ersten in seinem Team gegen den körperlichen Einsatz der Nordiren mit körperlichem Einsatz stemmte. Sehr oft ließ er sich ins Mittelfeld zurückfallen, um sich dort den Ball zu holen. Löw lobte: "Er bewegt sich gut und schlau. Die letzten Spielen von ihm waren auf einem sehr, sehr guten Niveau."

Timo Werner: Im Grunde ist seine Geschichte schnell erzählt. In der Liga läuft's, in der DFB-Elf nicht ganz so. Ein kleines Rätsel. Fünf Tore hat der 23 Jahre alte Angreifer von RB Leipzig in den drei Spielen dieser Bundesliga-Saison erzielt. In seinem 27. Länderspiel ging er dagegen wieder leer aus. Dabei hätte er kurz vor der Pause für Ruhe sorgen können, wenn er den Ball nach einer volley gespielten Diagonalflanke des Kollegen Klostermann ins Tor geschossen hätte. Hat er aber nicht. Nicht nur in dieser Situation wirkte er zu überhastet. In der 68. Minute nahm Löw ihn raus und brauchte den Mann, der als das größte Versprechen des deutschen Fußballs gilt: Kai Havertz von Bayer 04 Leverkusen, 20 Jahre alt. Und der deutete in seinem fünften Länderspiel an, was er kann. Zum Beispiel, als er Gnabry vor dem 2:0 mit einem feinen Pass auf die Reise schickte. Und in der 69. Minute hätte er nach einer Flanke von Kimmich beinahe ein Kopfballtor erzielt. Hinterher bilanzierte er: "Solche Spiele bringen uns nach vorne, denn die meisten von uns haben noch nicht so viele Länderspiele auf dem Buckel. Wir kennen uns als Team noch nicht allzu lange. Es gibt das eine oder andere, was wir noch verbessern können."

Julian Brandt: Hatte zuletzt gefordert, dass der Bundestrainer ihn doch bitteschön nicht immer nur spät einwechseln möge, und prompt stand er in der Startelf. Den Kausalzusammenhang haben wir aber nur suggeriert, nichts Genaues weiß man nicht. Vielleicht lag's auch daran, dass Ilkay Gündogan verletzt nach Manchester abgereist ist. In seinem 27. Länderspiel zeigte sich Brandt beweglich, dynamisch und kombinationstauglich, allerdings schien ihm die harte Gangart nicht zu gefallen. Dennoch sollte er viel häufiger von Beginn an spielen. Sein Kommentar: "Beim letzten Pass hat die Finesse, die Durchschlagskraft gefehlt. Das haben wir nach der Pause besser gemacht. Es war ein vernünftiges Spiel mit guten Ansätzen von uns. Es gibt aber sicher noch einiges zu verbessern."

Will Grigg: Apropos "on fire" - was macht eigentlich Will Grigg? Der Angreifer hatte bei der EM 2016 in Frankreich auch außerhalb Nordirlands eine gewisse Bekanntheit erreicht, weil die Fans ihn mit einem eigenen Lied feierten. Sein bisher letztes Länderspiel liegt allerdings schon ein Jahr zurück, auch für das Spiel gegen Deutschland hatte Trainer Michael O'Neill ihn nicht eingeladen. Im Januar ist der 28 Jahre alte Grigg übrigens für 4,6 Millionen Euro zum AFC Sunderland gewechselt. So wurde er zum teuersten Spieler der dritten englischen Liga.

Quelle : n-tv.de


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