Der syrische Präsident Bashar al Assad hat am 14. September 2019 eine weitreichende Amnestie verkündet. Die Gesetzesverordnung Nr. 20/2019 erlässt oder verringert Strafen, die für Gesetzesverstöße oder Verbrechen verschiedener Art erlassen wurden. Das gilt für Vergehen, die vor dem 14. September 2019 begangen wurden. Ausgeschlossen von dem Straferlass sind die Beteiligung am bewaffneten Kampf gegen den syrischen Staat, der Handel mit Drogen, Steuerhinterziehung oder -schulden und Morde. Bei Mord kann eine Strafe nach syrischem Recht ohnehin nur dann verringert werden, wenn die Familie des Opfers zustimmt.
Vor dem Krieg seien allgemeine Amnestien des Präsidenten einmal im Jahr üblich gewesen, erinnert sich Nabil M., ein pensionierter Agraringenieur. Seit einigen Jahren habe es lediglich Amnestien für Armeedeserteure gegeben, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Im Rahmen der Versöhnungsinitiativen mit den bewaffneten Gruppen seien zudem Männer straffrei geblieben, wenn sie ihre Waffen niederlegten und schriftlich erklärten, nie wieder die Waffen gegen den syrischen Staat und seine Institutionen zu erheben. Die Strafen für die Gefangenen beispielsweise würden jetzt halbiert, damit könnten etliche Gefangene entlassen werden. Lebenslange Strafen würden auf 20 Jahre reduziert.
Auch sein Sohn Rami werde von der Amnestie profitieren, so der Pensionär. Er hätte sich im April beim Militär melden müssen, sei damals aber intensiv damit beschäftigt gewesen, seine Masterarbeit in einem internationalen Fachmagazin zu veröffentlichen, um sein Doktorstudium an der Universität fortsetzen zu können. Erst im Juni habe er dann den Militärdienst angetreten und prompt eine Strafe erhalten. „Drei Monate sollte er länger dienen, doch durch die Amnestie wird ihm diese Strafe jetzt erlassen.“
Kriegsfolgen und Hoffnungen
Der Apotheker Ammar S., ist sich nicht sicher, ob die Strafe, die kürzlich gegen ihn verhängt wurde, durch die Amnestie reduziert wird. Er hatte seine Apotheke in Douma schließen müssen, als die „Armee des Islam“ 2013 die Satellitenstadt in der östlichen Ghouta unsicher machte und schließlich dort die Kontrolle übernahm. Inzwischen leitet er als Angestellter eine Apotheke in Mezzeh, einem westlichen Stadtteil von Damaskus. Im Frühjahr 2019 konnte er mit finanzieller Unterstützung seiner Familie die Apotheke in Douma wieder öffnen. „Eine Mauer war eingefallen, Regale, alles was darin war wurde gestohlen“, erzählt der junge Mann. Er habe alles wieder hergerichtet, zwei Angestellte eingestellt, um seine derzeitige sichere Arbeit nicht aufgeben zu müssen.
„Man hat in der Apotheke in Douma Medikamente gefunden, die nicht in Syrien hergestellt sind“, erläutert er. „Ja, die Medikamente wurden aus dem Libanon eingeschmuggelt, weil wir sie ja wegen der Sanktionen nicht offiziell und legal einführen können. Wir machen das, weil sie Kunden danach fragen und wir sie ja früher auch im Sortiment hatten.“ Die Geldstrafe dafür werde er natürlich akzeptieren. Doch die Apotheke sei versiegelt und angeordnet worden, dass sie sechs Monate geschlossen bleiben müsse.
Die Strafe sei wirklich zu hart, sagt er aufgebracht: „Ich habe doch kein Heroin verkauft.“ Ein Gerichtstermin sei bereits anberaumt, doch er werde vorher zum Gesundheitsministerium gehen, das die Schließung der Apotheke angeordnet habe. „Ich will fragen, ob die Strafe nicht zumindest halbiert wird, der Präsident hat doch jetzt die Amnestie erlassen.“
Chancen für Rückkehrer
Alle Syrer und Syrerinnen können von der Amnestie profitieren, ob im In- oder Ausland. Damit richtet sich der Straferlass auch an die vielen Syrer im Ausland, die unsicher sind, ob sie bei ihrer Rückkehr mit einer Strafe zu rechnen haben oder nicht. Die Amnestie gelte für alle, die sich dem Militärdienst entzogen haben, erläutert ein Gesprächspartner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Für junge Männer im Inland gelte die Amnestie drei Monate, für junge Männer im Ausland sechs Monate.
„Sie müssen sich bei der Botschaft oder einem Konsulat melden, um zu erfahren, ob sie auf einer Liste stehen oder nicht“, so der Gesprächspartner. „Wenn sie zurückkehren wollen, wird ihnen durch die Amnestie die Strafe erlassen, die sie erwartet, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben. Den Militärdienst müssen sie aber dennoch antreten.“
Allerdings gelte das Amnestieangebot nur für diejenigen, die Syrien über einen offiziellen Grenzübergang verlassen hätten, mit einem Ausreisestempel im Pass. „Wenn sie sich illegal über eine Grenze haben schmuggeln lassen, sind sie von der Amnestie ausgeschlossen.“
Die Syrer, die zurückkehren wollten, seien natürlich willkommen. Er habe nicht gehört, dass Leute bei ihrer Rückkehr festgenommen würden, wie im Ausland verschiedentlich berichtet worden sei. „Ja, sie werden vom Geheimdienst befragt, können dann aber nach Hause gehen.“
Bei der Frage, ob sich die Amnestie vielleicht gezielt und besonders an die Syrer im Ausland richte, um sie zur Rückkehr zu bewegen, zögert der Gesprächspartner kurz mit der Antwort. „Wer zurückkehren will, weiß wo er erfährt, ob gegen ihn etwas vorliegt“, sagt er dann. Die meisten hätten Familie in Syrien, die Informationen über den Status ihrer Angehörigen einholen könnten.
In syrischen Botschaften und Konsulaten könnten die Leute sich informieren, es gäbe zudem die Möglichkeit eine Versöhnungserklärung zu unterzeichnen und damit straffrei zu bleiben. Vielleicht sei die Amnestie jetzt, kurz vor der UN-Vollversammlung, auch ein besonderes Signal an die Opposition und an das westliche Ausland, das die Oppositionellen unterstütze.
„Die Opposition hat ja eine lange Liste mit Forderungen an Syrien vorgelegt“, so der Gesprächspartner weiter. „Sie wollen, dass Gefangene freigelassen werden, das kann mit dieser Amnestie geschehen.“ Aber die Hauptforderungen der Opposition nach politischen Reformen der staatlichen Institutionen, die seien damit natürlich nicht erfüllt. „Die Opposition und die, die sie unterstützen, werden Syrien weiter unter Druck setzen.“
sputniknews
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