Es geht auch mal ohne AfD

  01 Februar 2016    Gelesen: 499
Es geht auch mal ohne AfD
Die Erkenntnis des Abends bei Anne Will: Man kann auch kontrovers über Flüchtlinge diskutieren, wenn keiner der Talkshow-Gäste den Schießbefehl fordert.
Eine TV-Diskussion ohne die AfD, das ist man gar nicht mehr gewohnt. Zuletzt schien es so, als wollten die Sender beweisen, dass man durchaus mit Vertretern dieser Partei sprechen kann. Am Sonntagabend bei Anne Will allerdings ist CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn der am weitesten "rechts" stehende Gast.

Und siehe da: Krawall gibt es nicht, kontrovers wird es dennoch. Schnell zeigt sich, was man fast schon vergessen hatte: Dass es auch Unterschiede zwischen Menschen gibt, die in grundlegenden Fragen übereinstimmen.

Für die Kontroverse sorgen an diesem Abend Ex-Piraten-Politikerin Anke Domscheit-Berg und Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler. Domscheit-Berg sagt, in Deutschland würden jährlich rund 8000 Vergewaltigungen angezeigt, aber es gebe nur 1000 Verurteilungen. Sie ärgert sich darüber, dass in der Debatte um die Flüchtlinge so getan werde, als habe Deutschland die Gleichberechtigung längst erreicht - um ihr Argument zu untermauern, zeigt sie zwei sexistische Werbemotive, eins davon von der Jungen Union (wobei Anne Will darauf hinweist, dass dieses Motiv zwölf Jahre alt ist).

Daimagüler, der im NSU-Prozess zwei Opferfamilien vertritt und ein Buch über "das Märchen von der gescheiterten Integration" geschrieben hat, wehrt sich vor allem gegen Pauschalisierungen. Er will, dass diese Gesellschaft das Gerede von "den Türken" und "den Arabern" nicht länger akzeptiert. Dabei setzt Daimagüler sich vor allem mit Jens Spahn auseinander, dem er genau diese Art von Pauschalisierung vorwirft.

Dahinter scheint auch ein Stück Enttäuschung mit seinem Duz-Freund zu stecken. Gleich zu Beginn der Sendung sagt Daimagüler, Spahn habe ihn gebeten, in der Talkshow beim "Sie" zu bleiben. Das geht schief. In seinen Disputen mit dem Finanz-Staatsekretär wechselt der Anwalt zwischen "Sie" und "Du" - worauf Spahn anmerkt, dies sei "ein lustiger Abend". Später sagt er zu Daimagüler: "Jetzt sag doch einfach Du und dann ist gut."

"Haltung bewahren"

So richtig gut ist es aber nicht. Daimagüler zählt auf, Migranten würden häufiger wegen einer Straftat angezeigt, sie würden häufiger verurteilt und sie säßen häufiger im Gefängnis als Deutsche ohne Migrationshintergrund. "Das weißt du nicht, aber du hast trotzdem eine Meinung." Aufgabe der Politik sei es nicht, die Staatskrise herbeizuschreiben, "sondern Haltung zu bewahren" - es ist Spahn, von dem das Wort "Staatskrise" kommt. An diesem Abend benutzt er es nicht.

Für den CDU-Mann ist die von Daimagüler kritisierte Pauschalisierung nur ein Stück Ehrlichkeit. Die marokkanische oder die afghanische Gesellschaft habe nun einmal einen anderen Umgang mit Antisemitismus, Homophobie, Andersgläubigen und Gewalt. "Wir sollten jedem die Chance geben, hier anzukommen. Aber wir sollten uns ehrlich machen in der Größe der Aufgabe."

Unterstützung bekommt Spahn von einem Grünen, dem Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon. Nach Berichten über Übergriffe von Flüchtlingen auf Frauen in einer Freiburger Disco hatte Salomon junge Männer aus den Maghreb-Staaten als Problem benannt. Als Pauschalisierung will er das nicht verstanden wissen. Er habe mit diesem Satz auch darauf hinweisen wollen, dass es mit den syrischen Familien keine Probleme gebe. Eine andere Bemerkung von ihm geht ein bisschen unter: Salomon spricht von den 99 Prozent der Flüchtlinge, die sich an die Regeln hielten und "die unserer Hilfe bedürfen, wie übrigens das eine Prozent auch".

"Akzeptanz braucht Begrenzung"

Alle vier sind sich einig, dass Gesetze und Regeln durchgesetzt werden müssen. Das eigentliche Problem, sagt Spahn, seien die alleinreisenden jungen Männer. Junge Männer ohne Aufgabe seien meist schwierig, egal ob deutsch, syrisch oder albanisch.

Diese Tatsache bestreitet auch Domscheit-Berg nicht. Falsch findet sie deshalb, den Familiennachzug zu begrenzen. "Das sollten wir uns dringend überlegen, wo hier die Prioritäten sind."

Die Priorität der Bundesregierung ist klar: Akzeptanz brauche Begrenzung, zitiert Spahn Bundespräsident Joachim Gauck. Die Begrenzung des Familiennachzugs sei keine Lösung, "die irgend jemandem Freude macht". Aber sie könne nun einmal die Zahl der Flüchtlinge begrenzen.

Fazit: Es gibt einige Punkte, bei denen die Diskussionsteilnehmer keine Übereinstimmung finden. Daimagüler stört sich an Spahns Pauschalisierungen, Spahn stört sich an Domscheit-Bergs Relativierung der sexuellen Übergriffe. Daimagülers Satz, er sei "glücklich und froh, dass diese Menschen hier sind", würden Spahn und vermutlich auch Salomon wohl nicht unterschreiben. Doch in einem stimmen sie überein. "Integration ist kein Multikulti-Straßenfest, sondern harte Arbeit", wie Daimagüler es formuliert. Spätestens, wenn in der nächsten Talkshow diskutiert wird, ob wir an der Grenze auf Kinder, Frauen oder doch nur auf Männer schießen wollen, wird man sich nach solchen Sätzen sehnen.

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