Die Stimme eines Menschen in Angst

  03 Oktober 2019    Gelesen: 650
Die Stimme eines Menschen in Angst

Ein Jahr nach dem bestialischen Mord an Jamal Khashoggi ist noch immer nicht klar, ob seine Mörder bestraft werden. Der mutmaßliche Strippenzieher ist untergetaucht, der Kronprinz beteuert weiterhin, nichts gewusst zu haben. Die Tonbandaufnahmen von der Bluttat legen andere Schlüsse nah.

Er wollte Unterlagen für seine bevorstehende Heirat abholen, doch irgendwann hat Jamal Khashoggi gespürt, dass er sterben sollte, an jenem 2. Oktober vor einem Jahr im Konsulat seines Heimatlandes in Istanbul. "Es gibt einen Moment, wo Sie hören können, wie Khashoggi sich verändert, von einem souveränen Menschen hin zu einem Gefühl von Angst und Beklemmung." So beschreibt die britische Anwältin Helena Kennedy in einer Dokumentation der BBC, was sie auf den Tonbandaufnahmen aus dem saudischen Konsulat in Istanbul gehört hat. "Er weiß dann, dass es tödlich für ihn ausgehen wird."

Weil das Konsulat in Istanbul offenbar vom türkischen Geheimdienst verwanzt worden war, gibt es eine Aufnahme des bestialischen Mordes an Jamal Khashoggi. Die türkische Regierung hat sie einem UN-Expertenteam zur Verfügung gestellt. 45 Minuten Mitschnitt, von Überlegungen der Mörder vor der Tat, "ob sein Körper und die Hüften wohl auf diese Weise in eine Tasche passen würden", bis hin zu Khashoggis angsterfüllter Stimme. "Er fragt: Tut Ihr mir das an? Gebt Ihr mir eine Spritze? Werde ich entführt? Wie kann das passieren in einer Botschaft?"

Ein Hauptverdächtiger ist untergetaucht

Auf diese letzte Frage ist die saudische Regierung bis heute eine Antwort schuldig geblieben. Zunächst hatte sie den Mord komplett geleugnet, bis die Beweise zu eindeutig waren. Jamal Khashoggi wurde im saudischen Konsulat betäubt und dann erstickt. Die Geräusche auf dem Mitschnitt lassen darauf schließen, dass seine Mörder ihm eine Plastiktüte über den Kopf zogen. "Man hört eine Stimme: 'Lass ihn schneiden'", hat sich Kennedy notiert, als sie den Aufnahmen lauschte. Sie selbst habe die Operationssäge zunächst nicht erkannt, aber ein Geheimdienstmann habe sie auf ein sehr leises Geräusch aufmerksam gemacht, es war ein Surren.

Zwar stehen seit Januar elf Menschen in Saudi-Arabien vor Gericht, doch einer der Hauptverdächtigen fehlt bei dem Geheimprozess: Saud al-Kahtani, ein enger Vertrauter von Kronprinz Mohammed bin Salman. Er soll der Kopf des Mordkommandos gewesen sein. Der türkische Geheimdienst hat Telefonate aufgezeichnet, aus denen hervorgeht, dass die Kommunikationsabteilung des saudischen Königshauses einbezogen war. "Jemand aus der Kommunikationsabteilung hat die Mission authorisiert", berichtet das UN-Expertenteam, das eine Verbindung zum mächtigen Chef der Abteilung sieht: Kahtani wurde kurz nach dem Mord zusammen mit Vize-Geheimdienstchef Ahemd al-Assiri seines Postens enthoben und ist seitdem abgetaucht.

Im Königreich war Kahtani berüchtigt als "Trollmeister", der in Online-Netzwerken eine Armee von Trollen lenkte, die Kritiker des Kronprinzen attackierten. Manche Gerüchte besagen, er stehe weiter heimlich an der Seite des Prinzen, andere halten ihn für tot. Unter den elf Angeklagten im Prozess ist er zumindest nicht. Die Verhandlung findet hinter verschlossenen Türen statt, Diplomaten der fünf UN-Vetomächte und der Türkei können die Verhandlungen als Beobachter verfolgen. Sie dürfen zu den Sitzungen, die auf Arabisch stattfinden, jedoch keine Übersetzer mitbringen.

"Die Operation wurde von Staatsbeamten geleitet"


Vor dem Jahrestag des Mordes sagte Kronprinz bin Salman im US-Fernsehsender CBS News, er übernehme "als Staatsführer in Saudi-Arabien volle Verantwortung". Doch bestritt er erneut, die Tat angeordnet zu haben. Journalisten stellten für sein Land keine Beddrohung dar, sagte Salman. "Das war ein abscheuliches Verbrechen", doch er habe von den Mordanschlagsplänen nichts gewusst. Für die saudische Regierung arbeiteten laut dem Prinzen täglich drei Millionen Menschen. "Es ist unmöglich, dass sie alle täglich der politischen Führung über ihre Arbeit berichten."

Die UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard, ebenfalls Mitglied in der UN-Expertenkommission, den die Tonaufnahmen vorgespielt wurden, ist jedoch der Ansicht, dass der Kronprinz auch persönlich verantwortlich ist für die Bluttat. "Die Operation wurde von Staatsbeamten geleitet. Sie kamen auf Staatskosten in einem privaten Jet in die Türkei. Sie haben in ihrer offiziellen Funktion agiert, zwei von ihnen hatten einen Diplomatenpass." Auch der US-Geheimdienst CIA kam laut Medienberichten zu dem Schluss, dass der Prinz die Geheimdienstaktion anordnete.

UN-Berichterstatterin Callamard fordert internationale Sanktionen gegen den Kronprinzen. Doch mehr als ein offizieller Stopp der Waffenlieferungen von Deutschland, den USA und einigen anderen europäischen Ländern ist bislang nicht passiert. Eine gewisse Reserviertheit ist spürbar. Frühere Verbündete im Westen, die Salman einst als mutigen Reformer gefeiert hatten, der Kinovorführungen und Konzerte erlaubte und Frauen das Autofahren, gehen auf Distanz zum Herrscher des ultrakonservativen Königreichs.

Saudi-Arabien will Touristen ins Land holen


Das kommt den Saudis ungelegen, sollte doch der internationale Tourismus eine neue tragende Säule der saudischen Wirtschaft werden. Salmans Bemühungen, die Wirtschaft unabhängiger vom Öl aufzustellen und die Gesellschaft zu öffnen, scheinen seit dem Mord an Khashoggi ihren Schwung verloren zu haben. In der vergangenen Woche, kurz vor dem ersten Jahrestag des Mordes, lancierte das Königshaus nun eine breit angelegte PR-Kampagne für das Wüstenreich als Reiseziel. Die bisher strengen Einreisebestimmungen wurden für viele europäische Länder gelockert, das Visum gibt es nun wie etwa in Jordanien direkt bei der Einreise am Flughafen.

Die strenge Kleiderordnung soll für Touristen gelockert gelten, weder ein langes Gewand noch das Kopftuch für Frauen soll vorgeschrieben werden. In den sozialen Medien kursieren Image-Videos, in denen sich Saudi-Arabien als Reiseziel präsentiert. "Unser Planet steckt voller Überraschungen. Das Beste wartet darauf entdeckt zu werden. Wo in aller Welt könnte das sein? Saudi-Arabien. Willkommen in Arabien." So heißt es in der deutschen Fassung des Videos, während beeindruckende Naturaufnahmen und Frauen mit offenen Haaren zu sehen sind.

Saudi-Arabien-Experte Quentin de Pimodan sieht das Land ein Jahr nach dem Mord an Khashoggi "in gewisser Weise in der Welt isoliert". Saudi-Arabien habe westliche Influencer angeheuert, "um in den sozialen Medien für das Königreich zu werben und nach dem Khashoggi-Mord sein Ansehen zu verbessern", sagt er. "Doch der Fleck des Mordes wird nur schwer abzuwaschen sein."


Quelle: n-tv.de


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