Nahezu unbemerkt gedeiht zwischen der Ukraine, Polen, Litauen und Russland eine Diktatur. In Weißrussland, auch Belarus genannt, ging es unter Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko wirtschaftlich deutlich bergauf. Einige halten dem 64-jährigen Autokraten zugute, dass es unter ihm in den 90ern weder Privatisierungsschock noch Oligarchisierung gab wie etwa in Russland oder der Ukraine.
Trotzdem und deshalb gelang es ihm in 25 Jahren Kommandowirtschaft, das Bruttoinlandsprodukt zu vervierfachen. Damit wuchs es ähnlich stark wie das demokratischer Nachbarn, etwa Polen oder Litauen. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) soll sich dieser Trend mit Wachstumsraten von zwei Prozent jährlich zunächst fortsetzen.
Zuletzt bewältigte das Land eine Rezession im Zuge des Ukraine-Krieges. Mit der russischen Wirtschaft waren die weißrussischen Exporte nach Russland eingebrochen. Nach Schrumpfungsraten von vier und 2,5 Prozent in den Jahren 2015 und 2016 konnte die weißrussische Wirtschaft jüngst um zwei bis drei Prozent jährlich zulegen.
Während Belarus jahrelang währungspolitisch ein Gruselkabinett war, hat sich die Inflation nun bei fünf bis sechs Prozent stabilisiert. Die Staatsverschuldung sank der Weltbank zufolge auf 48 Prozent, und das Budgetsaldo lässt Anhänger der schwarzen Null vor Neid erblassen: plus 2,3 Prozent – und das, obwohl Bildungs- und Gesundheitsausgaben im regionalen Vergleich hoch sind. Ferner konnte Belarus an den internationalen Finanzmarkt zurückkehren, Staatsanleihen ausgeben und 1,4 Milliarden Dollar einsammeln.
Selbst das Korruptionsproblem konnte, glaubt man Transparency International, eingehegt werden. Nur Birma kämpfte seit 2012 noch erfolgreicher gegen Schmiergeldwirtschaft.
Von den rund 9,5 Millionen Weißrussen sollen nach Angaben der Statistikbehörde Belstat nur 4,7 Prozent arbeitslos sein. Dieser niedrige Satz mag auch daher rühren, dass der ehemalige kommunistische Parteigänger und Sowchosen-Vorsteher Lukaschenko seinen Lenin gelesen hat: Wer nicht arbeitet, sei ein Schmarotzer, sagte er 2017. Seine Ankündigung, Strafzahlungen für unbeschäftigte Arbeiter, Studenten und Rentner einführen zu wollen, führte zu Protesten, die er blutig niederschlagen ließ.
Wirtschaftlich geht es Belarus aber vor allem deshalb gut, weil Lukaschenko sein Land in Ost und West verankert hat. Die Deutsche Botschaft in Minsk spricht von „allseitiger Offenheit“ in der Außenpolitik. In der Wirtschaftspolitik ist das nicht anders.
Das Paradox: Der sich seit 1994 mit Wahlfälschung, Milizgewalt und Unterdrückung der Opposition an der Regierung haltende Schnauzbartträger beschwört gleichzeitig eine westliche Verschwörung und Einkesselung durch die Nato. Lukaschenko vereint Festungsdenken und Offenheit.
Es gelingt ihm, beide Seiten – Russland und die Europäische Union – für seine Interessen einzuspannen. Sogenannte strategische Partnerschaften, unter anderem mit China, ergänzen diese Suche nach dem eigenen Vorteil.
Russland: Partner, Sponsor, Widersacher
Der stärkste Wirtschaftspartner ist Russland. Ökonomisch und militärisch gesehen sollte die Sowjetunion 1996 mit der „Union Russland-Belarus“ in die nächste Runde gehen. Lukaschenko und der damalige russische Präsident Boris Jelzin beschlossen freien Handel, gegenseitige militärische Unterstützung und Bewegungsfreiheit der Bürger. Jelzin sagte: „Die Grenze zwischen Russland und Belarus existiert nicht mehr.“ Mit dem Amtsantritt Wladimir Putins im Jahr 2000 kühlte sich die Integration ab.
Dennoch bewahren seitdem russische Kredite und günstige Öl- und Gaslieferungen Belarus vor der Pleite. Die Pipeline trägt, trotz regelmäßiger Streitereien, nicht umsonst den Namen „Freundschaft“. In einem Bericht des Center for Security Studies (CSS) der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich heißt es: „Moskau erkauft die Loyalität seines Verbündeten mit Darlehen und Energiepreisnachlässen im Wert von mehreren Milliarden Dollar im Jahr.“
Quelle : welt.de
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