Triumph trotz Trump

  28 Oktober 2019    Gelesen: 1179
  Triumph trotz Trump

IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ist tot - und Donald Trump bejubelt den Erfolg. Dabei wirft der Einsatz Fragen auf: Welche Rolle etwa spielte Russland? Und warum verrät der US-Präsident heikle Details des Zugriffs?

Der Tod von Abu Bakr al-Baghdadi reißt bei Marsha Mueller alte Wunden auf. Ihre Tochter, die US-Entwicklungshelferin Kayla Mueller, war 2013 von Baghdadis Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) entführt worden. Nach 18 Monaten Geiselhaft starb sie unter ungeklärten Umständen, ihre Leiche wurde bis heute nicht gefunden.

"Wo ist Kayla?", fragte Marsha Mueller, die mit ihrem Mann Carl in Arizona lebt, in der Lokalzeitung "Arizona Republic" am Sonntag, nachdem Baghdadi bei einem US-Einsatz in Nordsyrien umgekommen war. "Ich hoffe, dass wir nun endlich die Antworten bekommen, die wir immer suchten."

Einen schwachen, symbolischen Trost hatten die Muellers: Das US-Spezialkommando gab seiner dramatischen Nachtaktion den Decknamen "Operation Kayla Mueller".

Nicht nur Marsha und Carl Mueller suchen Antworten. Zwar ist Baghdadis Ende zweifellos ein Riesenerfolg für US-Präsident Donald Trump, der grünes Licht für den Einsatz gegeben hatte - Baghdadi war der meistgesuchte Terrorist der Welt. Doch je mehr über die US-Aktion bekannt wird, desto mehr Fragen wirft sie auf.

Ist der IS nun tatsächlich besiegt? Wer wusste vorab von dem Einsatz? Welche Rolle spielten die von Trump geschmähten syrischen Kurden? Wie war Russland involviert? Und: Was ereignete sich im Dorf Barischa in der syrischen Provinz Idlib wirklich?

Wie schon bei der Tötung von Qaida-Chef Osama bin Laden unter Trumps Vorgänger Barack Obama vor achteinhalb Jahren wird die offizielle Version wohl auch diesmal kaum bestehen - zumal Trump bekannt ist für fantasievolle Verzerrungen.

Schon nach wenigen Stunden erschien die Realität komplexer als der erste Eindruck. "Baghdadis Tod", berichtete die "New York Times" unter Berufung auf US-Geheimdienstquellen, "kam weitgehend trotz der Aktionen Trumps zustande". Trotz - nicht dank.

Das IS-Kalifat sei "zu 100 Prozent ausradiert", vermeldete Trump. "Eine großartige Nacht für die USA und für die Welt." Viele Experten lobten die Militäraktion denn auch als "bedeutsamen Schlag" gegen den IS", so der frühere IS-Beauftragte Brett McGurk im "New Yorker". "Ein enormer Erfolg für die Trump-Regierung", twitterte auch der geopolitische Experte Ian Bremmer, sonst ein Kritiker.

Andere warnten, dass der IS schon viele Rückschläge überwunden habe und noch lange nicht besiegt sei - zumal die USA ihre Präsenz in der Region dramatisch reduziere. "Wir sind noch nicht fertig mit dem IS", sagte der frühere Nato-Oberkommandeur James Stavridis im Sender ABC. "Sie werden leider zurückkehren."Trotzdem propagierte Trump den Vollzug wie eine Realityshow. "Etwas sehr Großes ist gerade passiert!", twitterte er schon am Samstagabend - und schwieg danach, als sei es ein TV-Cliffhanger. Erst zwölf Stunden später trat er im Weißen Haus vor die Kameras. "Ich konnte bei vielem zusehen", sagte er stolz. "Es war wie im Film."

Filmreif waren zumindest die Details, mit denen er die Aktion illustrierte. Baghdadi habe sich in einem Tunnel mit einer Sprengstoffweste in die Luft gejagt: "Er starb wie ein Hund, er starb wie ein Feigling", sagte Trump, als habe er es mit angesehen. "Er winselte, heulte und weinte."

Das kann Trump aber bestenfalls aus zweiter Hand wissen. Zwar verfolgte er den Einsatz nach offiziellen Angaben im Lagezentrum des Weißen Hauses über Live-Video mit - doch laut "New York Times" nur aus der Sicht einer Drohne und ohne Audio. Selbst US-Verteidigungsminister Mark Esper wollte Trumps cineastische Beschreibung nicht bestätigen: "Ich kenne diese Details nicht", sagte er im TV-Network ABC.

Zugleich offenbarte Trump die Zahl der eingesetzten Flugzeuge, ihre Flugrouten, ihre Technologie und andere geheime Einzelheiten. "Das sind operative Details", sagte Michael Leiter, der frühere US-Anti-Terror-Chef, der Newswebsite Vox. "Sie haben das Potenzial, unseren Feinden zu helfen."

Nach Recherchen der "New York Times" bekam die CIA im Sommer unter anderem von einer Ehefrau Baghdadis einen Hinweis auf dessen Aufenthaltsort. Die CIA habe das mit Hilfe kurdischer und irakischer Geheimdienstler verifiziert. Die Kurden hätten selbst dann noch kooperiert, als Trump den US-Abzug aus Nordsyrien befohlen habe.

Trumps "abrupte" Anzugsentscheidung, so hieß es, habe die penibel geplante Aktion trotzdem kompromittiert: Das Pentagon sei gezwungen gewesen, "eine riskante Nachtrazzia voranzutreiben", bevor der Schutz der Sondereinheit "verschwunden" sei.

Ermöglicht wurde das alles also von Akteuren, die Trump sonst lieber anfeindet - den Geheimdiensten und ausländischen Alliierten. Ob dieser Einsatz bei einem US-Totalabzug noch möglich gewesen wäre, wurde Pentagon-Chef Esper bei CNN gefragt. Er vermied eine Antwort: "Da müsste ich die Kommandeure konsultieren."

Es fiel auf, dass Trump zuallererst Russland dankte, weil es dem US-Kommando den Weg freigehalten habe, und dann der Türkei, Syrien, dem Irak, den Kurden ("für gewisse Unterstützung") und den Geheimdiensten. Und erst zum Schluss den US-Soldaten.

Auch da stimmte wohl einiges nicht. Moskau wies Trumps Dank zurück: Man habe keine Vorab-Informationen gehabt, erklärte das Verteidigungsministerium. Man habe "Zweifel" an der Wahrheit der Angaben und dem angeblichen Erfolg der Operation.

Heiß debattiert werden auch schon die innenpolitischen Konsequenzen. Trump will zwar Moskau konsultiert haben, die US-Demokraten ahnten nach Angaben Nancy Pelosis aber von nichts - eine außerordentliche Brüskierung. Er habe nicht gewollt, dass etwas durchsickere, sagte Trump und gab damit zu erkennen, wem er mehr vertraut.

Welche Folgen das alles auf das drohende Amtsenthebungsverfahren Trumps und den US-Wahlkampf haben wird, ist noch nicht abzusehen. Noch in der Nacht versandte Trumps Wahlkampfteam E-Mails: "Er hat den Terroristen Nr. 1 der Welt zur Strecke gebracht."

Doch kann Trump davon profitieren? Baghdadi hat bei vielen Amerikanern kaum die Bedeutung eines Osama bin Laden, der für die Terroranschläge des 11. September 2001 verantwortlich gewesen war, ein nationales Trauma bis heute.

Und selbst ein spontaner Schub, hieße langfristig wenig: Nach der Tötung bin Ladens 2011 stieg Barack Obamas Popularität von 46 auf 52 Prozent - nur um dann wieder auf 46 Prozent zu fallen.

spiegel


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