„Grundsätzlich gibt es beim Blick auf die DDR eines, was viele Westdeutsche so schwer verstehen: dass es auch in einer Diktatur gelungenes Leben geben konnte. Dass wir also Freunde und Familien hatten, mit denen wir trotz des Staates Geburtstage und Weihnachten feierten oder Traurigkeit teilten, natürlich immer in einer gewissen Wachsamkeit vor dem Staat“, sagte die Kanzlerin.
„Aber dass wir nicht nach Amerika reisen konnten, sondern nur nach Ungarn und Bulgarien, hat nicht jeden Tag bestimmt. Weil diese Seite unseres persönlichen Lebens in der DDR von vielen Westdeutschen nicht wahrgenommen oder sogar ignoriert wird, entsteht in der Reaktion mancher Ostdeutsche heute darauf mitunter eine Art Romantisierung, nach dem Motto: Unser Leben in der DDR kann uns niemand nehmen.“
Glücksmoment der deutschen Geschichte
Für sie sei und bleibe der 9. November 1989 ein Glücksmoment in der deutschen Geschichte, fuhr die Kanzlerin fort. So viele Menschen in der DDR hätten zwischen 1949 und 1989 von der Freiheit geträumt - und plötzlich habe das Volk öffentlich darüber sprechen können. „Wir konnten unsere Stimme erheben. Und auch heute kann jeder seine Stimme erheben.“
Sie sei sich darüber im Klaren, dass für Ostdeutsche einer bestimmten Generation das Leben mit der friedlichen Revolution zwar frei, aber nicht immer einfacher geworden sei. Sie wisse auch, dass es neben den erfolgreichen Regionen auch solche gebe, in denen die Dörfer sich leerten, weil die Kinder und Enkel weggezogen seien. Dennoch müsste man heute, 30 Jahre später, auch klar sagen: Auch wenn man mit dem öffentlichen Nahverkehr, der ärztlichen Versorgung, dem staatlichen Handeln insgesamt oder dem eigenen Leben nicht zufrieden sei, folge daraus kein Recht auf Hass und Verachtung für andere Menschen oder gar Gewalt. „Gegenüber solchem Verhalten kann es keine Toleranz geben“, betonte Merkel.
Leben in Freiheit
Auf das Erstarken der AfD gerade in Ostdeutschland angesprochen, sagte die Kanzlerin, dass „wir in Freiheit leben, die Menschen können sich entsprechend äußern und wählen. Ich war ja zu Beginn meiner politischen Karriere gleich vierfach Minderheit in der CDU: jung, weiblich, protestantisch und ostdeutsch. Inzwischen bin ich seit 14 Jahren die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und habe damit allen Menschen in Deutschland zu dienen. Die Annahme, ich sollte mich vornehmlich um die Anliegen der Ostdeutschen kümmern, ist also falsch - aber wenn man ihr folgt, führt sie natürlich zu Enttäuschungen. Was jedoch auch ich vermisse, ist ein besseres innerdeutsches Gespräch“, betonte Merkel.
Friedliche Revolution
Die friedliche Revolution und der 9. November 1989 seien das Werk der DDR-Bürger gewesen.
„Davon geben wir gerne was ab, auch die Freude, aber geschafft haben das die DDR-Bürger mit einer ganzen Menge Mut. Und da ich weiß, dass in Westdeutschland damals nicht nur Mutbolzen lebten - ich erinnere mich, wie es manchen schon zu viel wurde, wenn sie mal für uns ein Buch über die Grenze schmuggeln sollten - könnte man das sicher mehr würdigen.“
Ferner wies die Kanzlerin darauf hin, dass nach ihren bisherigen Erkenntnissen keine deutsche Universität von einem oder einer Ostdeutschen geleitet werde. Das sei nicht nur seltsam, das sei ein wirkliches Defizit. „Wir haben da noch viel Arbeit vor uns. Der Grund mag darin liegen, dass viele 1989/90 schon zu alt waren, mit meinen 35 hätte ich es damals in der Wirtschaft auch schwer gehabt, die Karriereleiter noch ganz nach oben zu klettern. Wer damals ein Kind war, der kann natürlich noch in Spitzenpositionen ankommen. Man muss halt schon klar und deutlich und manchmal ein bisschen laut sein, um Karriere zu machen - da kann ich uns Ostdeutsche nur ermuntern. Aber noch einmal: Das ist kein guter Zustand“, betonte Merkel.
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