IS-Verdächtige bleiben in Deutschland vorerst frei

  14 November 2019    Gelesen: 664
IS-Verdächtige bleiben in Deutschland vorerst frei

Aus der Türkei zurückkehrende mutmaßliche IS-Anhänger machen den Behörden Sorgen. Nach SPIEGEL-Informationen liegt gegen keinen der Abschiebekandidaten ein Haftbefehl vor. Heikel sind die Fälle zweier Ehefrauen von IS-Kämpfern.

Die Rückkehr mehrerer mutmaßlicher Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" nach Deutschland stellt die Behörden vor große Probleme. Wie der SPIEGEL aus Sicherheitskreisen erfuhr, liegen weder gegen eine siebenköpfige Familie aus Niedersachsen noch gegen zwei Ehefrauen von IS-Kämpfern Haftbefehle vor. Folglich werden alle neun Personen am Donnerstag oder Freitag zunächst unbehelligt einreisen - und in Deutschland nicht inhaftiert, wie es in Berlin hieß.

Die Türkei hatte der Bundesregierung am Montag überraschend mitgeteilt, dass sie noch diese Woche neun mutmaßliche IS-Anhänger nach Deutschland abschieben will. Am Donnerstag wird nun zunächst die siebenköpfige Familie des Deutschirakers Kanan B. erwartet. Die Türkei vermutet, dass der in Deutschland als radikaler Salafist bekannte B. im Frühjahr 2019 von der Türkei aus nach Syrien reisen wollte. B. und seine Familie sitzen deswegen seit März in Izmir in Abschiebehaft. Aus Sicht der deutschen Behörden gibt es jedoch weder gegen den Vater noch seine Familie Hinweise, dass er dem IS angehört.

Am Freitag dann sollen zwei Frauen nach Deutschland abgeschoben werden, die in einem syrischen Gefangenenlager für IS-Anhänger gesessen hatten, von dort geflohen waren und dann von türkischen Soldaten festgenommen wurden. Eine von ihnen, die 26-jährige Heida R. aus Niedersachsen, war nach eigenen Angaben mit einem IS-Kämpfer aus Deutschland 2014 nach Syrien gegangen. Ihr Mann Kareem wurde demnach später bei Kämpfen getötet. Heida R. sagte in einem TV-Interview, sie rechne in Deutschland mit einer Gefängnisstrafe.

Ermittler haben für einen Haftbefehl nicht genug in der Hand

Zunächst aber bleibt Heida R. genauso wie die andere IS-Anhängerin hierzulande frei. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen gibt es gegen die 26-Jährige zwar ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Auch gegen Nasim A. aus Hessen, die ebenfalls am Freitag abgeschoben werden soll, führt der Generalbundesanwalt schon länger ein sogenanntes Prüfverfahren. Für einen Haftbefehl aber haben die Ermittler in beiden Fällen nicht genug in der Hand.

Durch die vertrackte Lage tritt gleich bei den ersten Abschiebungen eine Befürchtung der deutschen Behörden ein. Faktisch wissen die Fahnder zwar nicht, ob die beiden Frauen eine reale Terrorgefahr darstellen und wie tief sie durch ihre Ehemänner in die Struktur der Milizen eingebunden waren. Gleichwohl ist die Vorstellung, dass sie in Deutschland völlig unbehelligt einreisen, sowohl für Polizisten als auch die Beamten der Bundesregierung ein Graus.

Außer den beiden Frauen hat die Türkei noch zwei weitere mutmaßliche IS-Anhängerinnen aus Deutschland in Haft, auch sie sollen bald abgeschoben werden. Nach SPIEGEL-Informationen handelt es sich dabei um Elina F. aus Hamburg und Lisa R. aus Rheinland-Pfalz. Auch gegen die beiden läuft beim Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren - aber auch gegen sie konnten die Fahnder bisher keine Haftbefehle erwirken. Folglich könnten auch sie nach der Rückkehr in Freiheit bleiben.

Observation wird nicht lange durchzuhalten sein

Sowohl die Union als auch die Opposition warnen vor einem Sicherheitsrisiko wegen der Rückkehrer. "Wir wollen jeden Gefährder in Haft sehen", sagte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster am Dienstag in der ARD. Dies sei aber nicht einfach. Unter den noch in Syrien inhaftierten Deutschen sind laut Schuster rund ein Drittel in Deutschland als Gefährder klassifizierte Personen. Auf sie müsse man besonders achten.

Die Opposition warf der Bundesregierung vor, sich nicht auf die anstehenden Abschiebungen vorbereitet zu haben. "Man hat das Thema vor sich hergeschoben", sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae im Deutschlandfunk. Es sei zwar besser, Straftäter oder Terroristen in deutschen Gefängnissen zu haben als irgendwo im Nahen Osten unkontrolliert auf der Flucht. Andere Länder wie Frankreich aber hätten sich auf das Problem besser eingestellt als Deutschland.

Wie die Behörden mit den beiden mutmaßlichen IS-Anhängerinnen umgehen, die am Freitag nach Deutschland zurückkehren, wollte vor der Abschiebung niemand genau sagen. Vermutlich werden sie nach ihrer Ankunft befragt und gegebenenfalls überwacht, allerdings sind solche Maßnahmen sehr aufwendig. Trotzdem werden die Fahnder wissen wollen, ob sie in Deutschland Kontakt zu radikalen Kreisen aufnehmen. Zudem werden die beiden Frauen bereits jetzt von speziellen Vereinen betreut, die sie bei der Deradikalisierung unterstützen sollen.

Bundesregierung und die Bundesländer bereiten sich derweil auf weitere Fälle von IS-Rückkehrern vor. In sechs Ländern - Bayern, Berlin, Hessen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - sollen sich "Rückkehr-Koordinierende" um die IS-Anhängerinnen und ihre Kinder kümmern. Sie sollen als Schnittstelle zwischen Sicherheitsbehörden und anderen Stellen wie Jugendämtern oder Beratungseinrichtungen dafür sorgen, dass Maßnahmen zur Deradikalisierung eingeleitet werden. Zum Job der Koordinatoren soll es auch gehören, mit Kitas und Schulen zu reden und sie darauf vorzubereiten, wenn Kinder aus dem ehemaligen IS-Gebiet zu ihnen kommen sollten.

spiegel


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