So viele Schlagzeilen wie diese Woche hat Easyjet lange nicht mehr gemacht. Ob "New York Times", CNN, "Gulf News" aus Dubai, der SPIEGEL oder Dutzende andere Medien rund um den Globus - alle haben über den britischen Billigflieger berichtet. Die Nachricht aus Luton bei London war ja auch spektakulär: "Von heute an wird Easyjet die erste große Airline sein, die die CO2-Emissionen aus Treibstoff für alle ihre Flüge für alle ihre Kunden ausgleicht", kündigte Easyjet in einem Kommuniqué an.
Das klingt wunderbar zukunftsweisend. Und überstrahlt die Gegenwart: die Erklärungsnot der Luftfahrtindustrie beim Thema Klimakrise. Denn die Emissionen der Airlines schießen hoch - allein bei Flügen innerhalb der EU um mehr als 20 Prozent in drei Jahren.
Greta Thunberg und ihre Anhänger haben "Flugscham" zum geflügelten und in der Branche verhassten Wort gemacht. Schlimmer noch für Easyjet und Co.: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans, das deutsche Umweltbundesamt, das niederländische Parlament, internationale Wissenschaftler und Naturschützer fordern eine Kerosinsteuer - die gerade Billigflüge spürbar verteuern würde.
Viele Flugreisende wollen ihr Gewissen beruhigen - die Zahl der Passagiere, die Kompensationsanbietern Geld überweist, hat sich in den vergangenen Monaten vervielfacht. Die Zahlungen gehen an Umweltprojekte, die anderswo in der Welt jene Treibhausgas-Mengen einsparen sollen, die die Jets in die Atmosphäre blasen. Diese Ausgleichszahlungen sind umstritten. Aber auch besser, als gar nichts zu tun.
Easyjet-Flüge sind noch lange nicht klimaneutral
Da kommt das Gelübde von Easyjet gerade recht. Die Fluglinie will nun selbst kompensieren - in ganz großem Stil. "Es ist ein gutes Geschäft für die Kunden", wirbt Vorstandschef Johan Lundgren, "wir übernehmen die Kosten." Hierfür werde sein Unternehmen im laufenden Geschäftsjahr 25 Millionen Pfund (rund 29 Millionen Euro) bereitstellen.
Allerdings erwähnen weder Lundgren noch das Easyjet-Kommuniqué ein wesentliches Detail: Durch diese Ausgleichszahlungen sind die Easyjet-Flüge noch lange nicht klimaneutral.
29 Millionen Euro, das sind pro verkauftem Easyjet-Flugticket umgerechnet 30 Cent. Ein Schnäppchen. Allein die Bundesregierung gibt schon jetzt rund 2 Millionen Euro pro Jahr aus, um Dienstreisen klimaneutral zu stellen. Easyjet indes ist eine der größten Fluglinien Europas. Und wer selbst kompensiert, muss dafür ein Vielfaches von 30 Cent zahlen. Beim Anbieter myclimate beispielsweise kostet die Kurzstrecke von Berlin nach Wien 4 Euro - oder die nach Mallorca 7 Euro.
Wie kommt dieser gewaltige Unterschied zustande? Ein entscheidender Faktor ist der Umfang der Kompensation. Denn Easyjet will fast ausschließlich die Kohlendioxid-Emissionen seiner Flüge ausgleichen: Rund 8,5 Millionen Tonnen sollen es in diesem Geschäftsjahr sein. Obendrauf kommen maximal 130.000 Tonnen für andere Gase.
Experten sehen darin eine Mogelpackung. "Die Klimawirkung des Luftverkehrs geht weit über die CO2-Emissionen hinaus", sagt Martin Schmied, Abteilungsleiter Verkehr, Lärm und räumliche Entwicklung beim Umweltbundesamt. "Wasserdampf, Stickoxide und andere Abgase haben bedeutende Auswirkungen auf das Klima" - besonders in großen Flughöhen. Denn hier gefriert Wasser an diesen Abgaspartikeln zu langlebigen Eiswolken. Diese reflektieren die vom Boden aufsteigende Wärme zurück zur Erde und verstärken so die globale Erwärmung. "Verschiedene Studien aus jüngster Zeit zeigen, dass die Gesamtklimawirkung des Luftverkehrs in etwa dreimal so hoch ist wie der reine CO2-Effekt", sagt Schmied.
Um die tatsächliche Klimawirkung der Flugzeuge wiederzugeben, haben Experten den so genannten RFI (Radiative Forcing Index) entwickelt. Der Weltklimarat riet schon vor 20 Jahren, den CO2-Ausstoß von längeren Flügen mit dem Faktor 2,7 zu multiplizieren. Das Umweltbundesamt empfiehlt den Faktor 3.
"Was Easyjet hier macht, ist besser als gar nichts"
Easyjet verwendet gar keinen RFI-Faktor. "Da kann man definitiv nicht von Klimaneutralität sprechen", sagt Schmied. Dies sieht auch Felix Creutzig so, Wissenschaftler des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC: "Was Easyjet hier macht, ist besser als gar nichts", sagt Creutzig. "Aber diese Flüge sind nicht klimaneutral. Sie sind nur zu einem Drittel bis allenfalls zur Hälfte kompensiert."
Umweltschützer greifen Easyjet an. "Das ist Augenwischerei, eine Greenwashing-Geschichte", sagt der Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. "Hier werden die Kunden hinters Licht geführt. Den Passagieren ist doch überhaupt nicht klar, wie sich die klimaschädliche Wirkung von Flugzeugen zusammensetzt."
Rund 2500 Worte lang ist das englischsprachige Kommuniqué von Easyjet. Nirgends erwähnt die Airline die Auswirkungen von Wasserdampf, Stickoxiden oder Kondensstreifen in Tausenden Metern Flughöhe auf die globale Erwärmung. Und nicht ein einziges Mal schreibt das Unternehmen, dass seine Flüge trotz der CO2-Kompensation nicht klimaneutral sein werden.
Von einer "Mogelpackung" spricht Christoph Bals, der Politische Geschäftsführer der Organisation Germanwatch. Der von Easyjet verwendete Begriff "Net Zero Carbon Flights" sei zwar formal richtig, aber irreführend, "da der Verbraucher dann erwartet, dass die Klimawirkung Null ist." Immerhin beginne sich Easyjet ernsthaft zu bewegen - im Gegensatz zu vielen anderen Airlines.
Eine Unternehmenssprecherin räumte auf Anfrage des SPIEGEL ein: "Es ist nicht das aktuelle Ziel, klimaneutral zu werden. Wir fokussieren uns auf die durch Treibstoff verursachten CO2-Emissionen." Die Ausgleichszahlungen seien eine "Übergangslösung" bis zur Entwicklung neuer Technologien wie Elektroflugzeugen.
Außergewöhnlich niedrig sind auch die Preise pro kompensierter Tonne CO2, die Easyjet angibt. Nur ungefähr 3,50 Euro will das Unternehmen für Zertifikate aus Klimaschutzprojekten zahlen. "Wenn man die Zertifikate aus dem europäischen Emissionshandel herauskaufen würde, würde eine Tonne deutlich mehr als 20 Euro kosten", sagt Experte Schmied vom Umweltbundesamt. Führende Kompensationsanbieter wie myclimate oder atmosfair verlangen 23 Euro pro Tonne.
"Easyjet will es richtig, aber nicht teuer machen"
Easyjet begründet seine extrem niedrigen Preise mit den großen Zertifikatsmengen, die man einkaufe: Es gehe um zehn Prozent des globalen Kompensationsmarkts. Alle Easyjet-Projekte seien konform mit höchsten Branchenstandards. Ein Sprecher von myclimate hält dagegen: "Sehr gute, zukunftsweisende Klimaschutzprojekte, die zusätzlich zur reinen Einsparung von CO2-Emissionen auch mehrere Uno-Nachhaltigkeitsziele erfüllen, lassen sich für 3,50 Euro pro Tonne nicht umsetzen."
spiegel
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