Davutoğlu-Besuch in Mekka war kein „Gang nach Canossa“

  09 Februar 2016    Gelesen: 1683
Davutoğlu-Besuch in Mekka war kein „Gang nach Canossa“
In der Geschichte haben es die Seldschuken und Osmanen vorgemacht, wie ein Gleichgewicht zwischen Staat und Religion aussehen könnte. Wie ist die Lage heute in der Türkei?
Im Jahre 1076 bibberte der deutsche König Heinrich IV. in der Eiseskälte des Winters vor der Burg Canossa in Norditalien im dünnen Büßergewand und bat Papst Gregor VII. um Vergebung. Drei Tage lang soll er so ausgeharrt haben, bis der oberste Bischof sich seiner annahm und so ihn von dem auferlegten Bann löste und Heinrich in die Gemeinschaft der Gläubigen wiederaufgenommen wurde. Mit diesem Schachzug hatte sich Heinrich nicht nur von dem Bann befreit, sondern auch seine Krone gerettet und damit auch die Macht erhalten.

Was nicht zu der Legendenbildung, sondern zu den Fakten gehört, ist, dass der Streit zwischen den beiden Autoritäten von weltlicher und geistlicher Macht durch die sog. Laieninvestitur, also der Einsetzung Geistlicher in ihre Ämter durch den König entfacht worden war. Der Papst, Anhänger von Reformgedanken und von der Idee überzeugt, die Kirche wieder ihren ursprünglichen Idealen nahe zu bringen, hatte den deutschen König exkommuniziert. Der König wiederum hatte den obersten Bischof seines Amtes enthoben. Aus dem Machtkampf ging kurzfristig der Papst als Sieger hervor. 1084 vertrieb Heinrich Papst Gregor VII. und ließ sich von einem ihm ergebenen Papst in Rom zum Kaiser krönen. Gregor starb später einsam im Exil. Der Investiturstreit wurde erst 1122 mit dem Wormser Konkordat beigelegt. Mit Versprechungen und Zusicherungen beiderseits geregelt, wurde es zu einer Kompromisslösung. Die Einheit zwischen weltlicher und geistlicher Macht, wie sie durch das ottonische Reichskirchensystem geschaffen worden war, zerbrach ein für alle Mal.

Der Gang nach Canossa und der Investiturstreit stehen auch für das dynamische Wechselverhältnis von Religion und Politik, wie es das europäische Mittelalter in seinen Anfängen durchgemacht hat. Spätestens seit Bismarck und dem Kulturkampf hat sich der „Gang nach Canossa“ Heinrichs zu einem geflügelten Wort entwickelt, das die Erniedrigung der weltlichen Autorität vor der geistlichen Macht bezeichnete und bis heute erhalten geblieben ist.

Politik macht keinen Halt vor heiligen Stätten

Von einem Spannungsverhältnis von geistlichen und weltlichen Einflusssphären ist gerade in der Türkei wenig zu spüren. Die türkische Religionsbehörde Diyanet, mit Mehmet Görmez an der Spitze, zeigt sich seit langem in vielen Bereichen regierungskonform.

Für den türkischen Premier Davutoğlu war die letzte kleine Pilgerreise nach Mekka keinesfalls ein „Gang nach Canossa“. Ganz im Gegenteil. Genauso wie Heinrich war zwar auch er in einem weißen, wenn man so will Büßergewand, zu sehen, doch bei seiner Ankunft ließ er sich erst einmal von hunderten Anhängern regelrecht feiern. Von einer Empore winkte er den jubelnden und applaudierenden türkischen Pilgern zu. Es war zugegebenermaßen keine einfache Situation für ihn. Eine demütige Haltung an der größten und heiligsten Stätte der islamischen Welt? Fehlanzeige. Ein bis dato ungesehenes „historisches“ Ereignis, dass sich ein Staatsmann im Hof der Kaaba feiern lässt.

Moscheevereine mutieren zu Interessenslagern

Auch in Deutschland, wo fast 1000 Moscheevereine zur Ditib, dem Ableger der Diyanet, gehören, spielen die Interessen der Regierungspartei AKP eine größere Rolle als je zuvor. So wurden z.B. Imame zu Vorsitzenden der Urnenkommission bei der Wahl in den türkischen Konsulaten im letzten Wahldurchgang 2015. Die UETD, eine „Lobbyorganisation“ der AKP in Europa, stellte nach dem Wahlkampf sogar Urkunden für die Vorsitzenden und Imame der lokalen Moscheen als Dankeschön für die erfolgreiche „Partei- und Wahlkampfarbeit“ aus. Wieder war es die UETD, die vor den Moscheen Fahrten mit „Wahlbussen“ zu den Wahllokalen in den türkischen Botschaften organisiert und Parteibroschüren zum Wahlkampf verteilte. Kritik über die neue Haltung der Moscheevereine wurde bereits in der Vergangenheit laut, als die neue Satzung der Ditib verabschiedet werden sollte, die den Weg zur Politisierung der Moscheen ebnete.

Gleichgewicht zwischen Religion und Staat

Im Islam gab und gibt es keine geistliche Institution wie sie die christliche Welt mit der Kirche kennt und auch keinen Klerus mit einem Oberhaupt wie den Papst. Seit Beginn der islamischen Geschichtsschreibung gab es dennoch immer wieder, wenn auch kurzweilig, gelungene Versuche der weltlichen Macht, die Religion sich hörig zu machen. Haddschādsch oder Yazīd ibn Muʿāwiya sind herausstechende Namen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die islamische Welt war sich dieser Wahrheit für lange Zeit bewusst geworden und hatte, etwa unter den Seldschuken oder Osmanen, ein relatives Gleichgewicht zwischen Religion und Staat schaffen können.

Diese Praxis und diese Erfahrung ist der islamischen Welt spätestens seit dem Ende des Weltkrieges abhandengekommen und muss jetzt nach und nach wieder eingeübt werden. Es steht außer Frage, dass die Türkei und die islamische Welt Kräfte entwickeln muss, damit ein gesundes und gerechtes Gleichgewicht zwischen Religion und Staat wie einst in der Geschichte gewährleistet werden kann. Damit eine Instrumentalisierung von religiösen Institutionen und die Ausnutzung der Religiosität des Volkes nicht zum selbstverständlichen Habitus der Politik werden.

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