Die Zeit der großen Entdeckungen sind vorbei - so hört man es häufig von Archäologen. Eine Grabkammer, wie die von Tutanchamun, völlig unberührte Maya-Städte im Regenwald von Mittelamerika oder riesige Grabhügel aus der Bronzezeit, die bisher übersehen wurden? All das finden Archäologen für gewöhnlich höchstens noch in ihren Träumen.
Selbst wenn die großen weißen Flecken von der archäologischen Landkarte verschwunden sind, gibt es noch viel zu entdecken. Auch aufgrund des Fortschritts in den Naturwissenschaften. In den vergangenen Jahren haben Neubewertungen älterer Funde manchmal völlig neue Einblicke in die Vergangenheit ermöglicht. Neue Datierungstechniken reichen weiter zurück als die C14-Methode, Genanalysen führen Forscher zu völlig anderen Bewertungen als ihre Kollegen in früheren Zeiten.
Das waren die spektakulärsten Entdeckungen des Jahres:
Roopkund-See, Indien
Station eins unseres Rückblicks ist ein Tümpel im Himalaya. Er trägt den Spitznamen "Skeleton Lake", Skelettsee. Das nur 40 Meter breite Gewässer liegt im indischen Bundesstaat Uttarakhand auf 5029 Meter Höhe und gibt Wissenschaftlern schon länger Rätsel auf. In dem See wurden vor Jahren Hunderte menschliche Skelette gefunden. Woher die Personen kamen und warum sie hier starben, weiß niemand. Ehemalige Krieger waren die Toten wohl nicht, denn es wurden keine Waffen entdeckt, zudem stammten viele Knochen von Frauen und Kindern. Möglicherweise waren manche von ihnen Pilger, die bei einem schweren Hagelsturm umkamen.
Neue Untersuchungen ergaben nun: Die Menschen starben zu unterschiedlichen Zeiten, die teils weit auseinander lagen. Die Mehrheit der untersuchten Individuen kam etwa 800 nach Christus um. Einige starben gut tausend Jahre später. Die größte Überraschung brachte aber eine Auswertung der in den Knochen noch vorhandenen DNA-Reste der Toten. Ein Teil der Opfer ist genetisch mit den Menschen in Indien verwandt, kommt also vermutlich aus der Region. Aber einige um das Jahr 1800 Verstorbene stammten vom östlichen Mittelmeer, sie sind genetisch mit den heutigen Bewohnern Griechenlands verwandt. Wie kamen sie hierher? Nun stehen die Forscher vor einem neuen Rätsel, das wohl erst in den kommenden Jahren gelöst werden kann - wenn überhaupt.
Auch die nächste Entdeckung gelang durch eine DNA-Analyse und auch diese führte Wissenschaftler ins Hochgebirge: In einer Höhle in China auf dem tibetischen Hochplateau fand ein Mönch in den Achtzigerjahren einen Kieferknochen zusammen mit Steinwerkzeugen und bearbeiteten Tierknochen. Ein Forscherteam, darunter Genexperten vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, untersuchte einen Backenzahn, der noch im Kiefer stecke.
Die Analyse von Proteinen offenbarte Erstaunliches: Der Zahn gehörte einst einer Person, die eng mit dem Denisova-Menschen verwandt war. Dieser Frühmensch könnte bis vor etwa 40.000 Jahren Seite an Seite mit dem Neandertaler in weiten Teilen Eurasiens gelebt haben. Das Problem ist: Die einzigen Knochen und Zähne von Denisova-Menschen, dessen Äußeres Forscher dieses Jahr in einer weiteren Studie rekonstruiert hatten, wurden bisher in einer gleichnamigen Höhle in Russland entdeckt. Der etwa 160.000 Jahre alte Fund in China ist der erste außerhalb der sibirischen Höhle - eine kleine Sensation.
Bisher war bekannt, dass der Denisova-Mensch heutigen Sherpas, Tibetern und Bewohnern des Himalaya-Gebirges ein Gen vererbt hat, das dem Körper eine bessere Anpassung an das Leben in großer Höhe ermöglicht. Nur wie war es den Denisovanern möglich, diese Fähigkeit zu entwickeln? Der bisher einzige Nachweis ihrer Existenz - die Denisova-Höhle im Altaigebirge - liegt mit 700 Metern relativ niedrig. Die Frage nach der vererbten Höhenanpassung beantwortet nun der neue Fund. Denn die chinesische Höhle, in der der Kieferknochen einst entdeckt wurde, liegt auf 3280 Metern. Möglicherweise stiegen die Denisova-Menschen zumindest ab und zu hoch hinaus.
Fincha Habera, Äthiopien
Auf eine Höhle von besonderer geschichtlicher Relevanz, stießen Forscher in Äthiopien. Dort entdeckten Archäologen die älteste Hochgebirgssiedlung der Menschheit. In Fincha Habera lebten nach Einschätzung von Experten schon vor 47.000 Jahren Jäger und Sammler. Der Fundort im Bale-Gebirge liegt auf etwa 3500 Meter Höhe. Verschiedene Alltagsfunde zeigen, dass der Ort über viele Jahrtausende hinweg dauerhaft genutzt wurde. Dort wurde gelebt, gekocht und Werkzeuge hergestellt, erklärt Götz Ossendorf von der Universität Köln.
Auf dem Speiseplan stand wohl besonders häufig die leicht zu jagende Riesenmaulwurfsratte. Das vorkommende Vulkanglas Obsidian könnte die Menschen in die Höhe getrieben haben, spekulieren die Forscher. Aus dem Material lassen sich sehr scharfe Klingen herstellen. Einen Grund, aus niedriger gelegenen Gegenden zu flüchten, hatten der Homo sapiens damals jedenfalls nicht. Denn in den eiszeitlichen Tallagen gab es damals genug zu essen und zu trinken.
Tongrube Hammerschmiede, Bayern
Eine weitere spektakuläre Entdeckung veröffentlichten Forscher erst vor wenigen Wochen: In einer Tongrube im Allgäu fanden sie 37 Knochen von mehreren Exemplaren einer bisher unbekannten Primatenart: Die Wissenschaftler tauften das Wesen Danuvius guggenmosi - nach dem Hobbyarchäologen Sigulf Guggenmos. Datierungen ergaben, dass der Menschenaffe vor 11,6 Millionen Jahren lebte. Interessanter sind aber die Ergebnisse der Skelettanalyse, insbesondere der Gelenke: Guggenmosi könnte der erste bekannte Affe gewesen sein, der auf zwei Beinen lief. Die bislang ältesten Belege für den aufrechten Gang sind rund sechs Millionen Jahre alt und stammen von der Insel Kreta und aus Kenia. Laut den Forschern könnte sich der Entwicklungsprozess des aufrechten Gangs in Europa vollzogen haben - und nicht wie bisher angenommen in Afrika.
Guggenmosi ist ohne Zweifel ein faszinierender Fund. Ein entscheidendes Bindeglied zwischen Affe und Mensch war der Frühaufsteher aber eher nicht. Immerhin hat Guggenmosi schon einen prominenten Spitznamen, wie es sich für ein Star-Fossil gehört: Die Forscher nannten das mit 21 Fragmenten am besten erhaltene Skelett Udo - nach Udo Lindenberg. Der Unterkiefer des Primaten wurde am 70. Geburtstag des Musikers gefunden.
Zwar graben Forscher seit Jahren in dem malerischen Tal, durch das ein Flüsschen mäandert. Aber wer sich hier die Köpfe einschlug, wusste niemand. Nun haben Wissenschaftler Hinweise auf die Herkunft der Menschen erhalten. Ein Teil kam aus der Region, das hatten DNA- und Isotopenanalysen bereits gezeigt. Doch die Auswertung von Bronzefunden ergab nun, dass einige Krieger aus dem südlichen Mitteleuropa stammen könnten und möglicherweise mehrere Hundert Kilometer bis ins Tollensetal zurückgelegt hatten, ehe sie hier der Tod ereilte. Dafür hatten die Forscher Bronzestücke aus dem persönlichen Besitz eines Kriegers untersucht, die wohl als Zahlungsmittel gedient haben könnten. Vergleichbare Funde sind aus Süddeutschland und Nordfrankreich bekannt. Die Archäologen hoffen auf weitere Erkenntnisse aus dem Tal, denn die Grabungen gehen vorerst weiter.
Wer aufrecht gehen kann, der hat die Hände frei für Werkzeuge, ein entscheidender Vorteil in der Evolution. Allerdings brachte das der Menschheit auch Leid ein. Archäologen gehen davon aus, dass der Krieg vor etwas mehr als 3250 Jahren nach Europa kam. So jedenfalls deuten Archäologen die Spuren, die sie im Tollensetal fanden. An dem Fundplatz in Mecklenburg-Vorpommern aus der Bronzezeit lagen Dutzende Skelette verstreut - meist von jungen Männern. Sie starben durch Pfeile, viele durch Keulen, einige durch Messerklingen.
spiegel
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