Siemens-Chef Joe Kaeser hat Unverständnis über die Proteste von Klimaschützern gegen den Münchner Industriekonzern geäußert. Es mute „schon fast grotesk an, dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind“, sagte Kaeser am Mittwoch vor der Hauptversammlung in München. ZahlreicheUmweltgruppen haben rund um das Aktionärstreffen verschiedene Aktionen angekündigt, darunter eine Menschenkette um die Münchner Olympiahalle. Sie richten sich dagegen, dass Siemens eine Signaltechnikanlage für eine Bahnstrecke liefert, über die der indische Energiekonzern Adani Kohle von einem geplanten riesigen Bergwerk in Australien zum Hafen transportieren wird. Die Kohle soll in Kraftwerken in Indien verfeuert werden.
Kaeser widersprach der Annahme der Aktivisten, dass eine Absage von Siemens das ganze Bergwerksprojekt zu Fall bringen könnte. Die gelieferte Signaltechnik sei "für die Inbetriebnahme der umstrittenen Mine irrelevant". Der Siemens-Chef bezeichnete den Umgang mit dem Auftrag aber als Fehler: „Wären wir noch einmal in der Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicher anders aus.“ Umwelt-, soziale Themen und Fragen der guten Unternehmensführung (ESG) spielten auch für große Investoren
künftig eine immer größere Rolle. Das müsse sich in der Strategie niederschlagen.
Energiegeschäft enttäuscht
Kurz zuvor hatte Siemens enttäuschende Geschäftszahlen vorgelegt. Das Unternehmen ist mit einem deutlichen Gewinnrückgang ins neue Geschäftsjahr gestartet und hat die Erwartungen von Fachleuten damit verfehlt. Das bereinigte operative Ergebnis aus dem Industriegeschäft, die meistbeachtete Erfolgs-Kennziffer, brach im ersten Quartal (Oktober bis Dezember) um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro ein, wie der Industriekonzern am Mittwoch vor der Hauptversammlung in München mitteilte.
Von Siemens befragte Analysten hatten im Schnitt mit 1,88 Milliarden Euro gerechnet. Das vor der Abspaltung stehende Energietechnik-Geschäft zeigte ebenso Schwächen wie das Aushängeschild, die Industrieautomatisierung (Digital Industries). Diese litt unter dem Abschwung in der Autoindustrie und im Maschinenbau und musste einen operativen Gewinnrückgang um ein Drittel hinnehmen.
Vorstandschef Kaeser sprach von einem verhaltenen Start ins Geschäftsjahr. Der Nettogewinn ging um drei Prozent auf 1,09 Milliarden Euro zurück. Der Umsatz stieg um ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro, während der Auftragseingang mit 24,8 Milliarden Euro um zwei Prozent unter Vorjahr lag. Die Kennzahlen lagen über den Analystenerwartungen. Siemens bestätigte die Prognosen für 2019/20 (Ende September): Der Umsatz soll auf vergleichbarer Basis moderat steigen, der Gewinn je Aktie soll zwischen 6,30 und 7,00 (Vorjahr: 6,41) Euro landen.
„Die unbefriedigende Situation im gesamten Energiegeschäft macht deutlich, wo der primäre Handlungsbedarf liegt“, sagte Kaeser. Siemens Energy soll im September separat an die Börse gebracht werden, Siemens will dann die Mehrheit abgeben. Die restlichen Anteile sollen an die eigenen Aktionäre abgegeben werden. Kern der Sparte sind Turbinen und Dienstleistungen für Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke. Der operative Gewinn in diesem Geschäft brach im ersten Quartal um fast zwei Drittel ein, die Windkraft-Sparte Siemens Gamesa, der Hoffnungsträger für die Energiewende, rutschte sogar in die roten Zahlen. Die Diskussion um den Klimawandel dürfte auch die Hauptversammlung in der Münchner Olympiahalle bestimmen.
Umweltschutz-Organisationen haben Proteste mit Hunderten Teilnehmern vor der Halle angekündigt. Sie richten sich gegen die Beteiligung des Münchner Industriekonzerns an einem umstrittenen Kohlebergwerks-Projekt in Australien. Ein Dutzend Aktivisten – unter anderem von der Gruppe „Fridays for Future“ – wollen auch offiziell zu den Anteilseignern sprechen. Kaeser hält an dem Signaltechnik-Auftrag in Australien fest, weil er um den Ruf von Siemens als verlässlicher Vertragspartner fürchtet. Gegen Kaesers Entlastung liegen acht Anträge vor, denen aber kaum Chancen gegeben werden. Sein Vertrag läuft in einem Jahr aus.
faz.net
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