Die letzten Mini-Wale

  13 Februar 2016    Gelesen: 696
Die letzten Mini-Wale
Keine hundert Vaquitas leben mehr – warum schöpfen Tierschützer plötzlich Hoffnung?
Nur wenige Fotos sind von den kleinsten Walen der Welt gemacht worden, und auf den meisten Bildern sind die Tiere tot. Gefangen in Stellnetzen, die nicht ihnen galten, verheddert und schließlich ertrunken. Die Vaquitas (spanisch für: kleine Kühe) sehen aus, als würden sie Lippenstift und Mascara tragen. Nur wenigen Menschen haben sich die scheuen Schweinswale je gezeigt, sie sind vom Aussterben bedroht wie keine andere Wal-Art. Geht es so weiter wie bisher, ist in drei Jahren kein Tier mehr am Leben. Aber für die momentan verbliebenen – rund hundert Exemplare – besteht seit Kurzem wieder Hoffnung.

Vaquitas kommen nur auf rund 2.200 Quadratkilometern im Golf von Kalifornien an Mexikos Westküste vor. Wüste, Kakteen und zwei Dörfer gibt es dort, sonst nicht viel. Die Bewohner leben von Fischerei. Lukrativ sind blaue Garnelen. Wer mehr verdienen will, jagt Totoabas, bis zu zwei Meter große Fische aus der Familie der Umberfische. Ihre Schwimmblase gilt in China als Mittel gegen Hautkrankheiten und Unfruchtbarkeit (was Unfug ist). Sie wird als Geschenk für Geschäftspartner gekauft: bis zu 50.000 US-Dollar kostet das Stück.

Mexiko hat zwar verboten, den seltenen Totoabas nachzustellen, schon 1975. Kontrolliert wurde das Verbot aber kaum, und mehr als ein paar Hundert Dollar Strafe drohten nicht. Lächerlich wenig, denn eine einzelne Blase bringt schon dem Fischer bis zu 8.500 Euro auf dem mexikanischen Schwarzmarkt – ein Jahresgehalt. Alles, was er dafür tun muss, ist, ein Stellnetz auszubringen, das dann wie eine Wand im Meer schwimmt.

Regelmäßig gerieten in diese Netze auch Vaquitas und verendeten dort, doch das interessierte lange nur ein paar Forscher. 1958 hatten Biologen die Art zum ersten Mal beschrieben, trotzdem weigerten sich Fischer und Behörden lange, sie anzuerkennen. "Noch Anfang der Neunziger hörte ich immer wieder: Vaquitas? Gibt’s doch gar nicht", erzählt Lorenzo Rojas-Bracho. Er arbeitet im mexikanischen Nationalinstitut für Ökologie und Klimawandel, niemand kennt die Spezies besser als er.

Jahrelang sah er die Population schrumpfen, aber niemand hörte auf seine Warnung. 2014 brachte eine von ihm gegründete Expertentruppe ein schockierendes Ergebnis mit. Barbara Taylor von der US-Ozeanografiebehörde NOAA war dabei. Sie erinnert sich genau an die Zahl: "Wir haben nur noch 97 Exemplare gezählt."

Was war mit den Vaquitas passiert? Warum kollabierte die Population zwischen 2011 und 2014 um 60 bis 70 Prozent? In China war ein anderer Fisch knapp geworden, Totoaba stieg zur neuen Nummer eins auf, sein getrocknetes Auftriebsorgan avancierte zum "König unter den Schwimmblasen", wie eine Recherche in Onlineportalen ergibt. Die Fischer brachten mehr Stellnetze zum Fang der seltenen Totoabas aus. "Es ist ein riesiger Markt, er entwickelt sich rapide – und ist total außer Kontrolle", sagt Taylor.

Clare Perry arbeitet für die Environmental Investigation Agency, die sich von London aus um Umweltkriminalität kümmert. Sie veröffentlichte dazu im Januar eine Studie. Denn während hierzulande in der Nordsee immer neue tote Pottwale angespült wurden, von denen es wohl wieder Hunderttausende gibt, tagten in Genf Wilderei-Experten rund um das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES und diskutierten auch über den Schutz der letzten einhundert Vaquitas.

Mexiko hatte vor dem Treffen formal um Unterstützung gebeten – Adressat war China. "Als Reaktion auf das Gesuch kam eine pampige Antwort zurück. Während des Meetings hat China zwar zugegeben, dass Totoaba gehandelt wird, aber nicht anerkannt, dass die beiden Arten deshalb zurückgehen", erzählt Perry. "Das ist enttäuschend, denn ohne die Nachfrage zu mindern, lässt sich das Problem nicht lösen." Dieser Meinung ist auch Rojas-Bracho, der mexikanische Vaquita-Experte: "Das Problem ist nicht der einzelne Fischer, der sich über das Zusatzeinkommen freut. Wir haben es mit der Mafia zu tun. Und die Mafia gibt ein lohnendes Geschäft nicht einfach auf."

Doch nach fast 30 Jahren, die Rojas-Bracho an den Meeressäugern forscht, schöpft er erstmals Hoffnung. So alarmierend der Befund der letzten Zählung auch gewesen ist: Er rüttelte auf. Seit Mai darf im Habitat der Vaquitas nicht mehr gefischt werden. Für zwei Jahre gilt die Sperre, die – das ist entscheidend – von der Marine durchgesetzt wird. Die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd unterstützt sie dabei. Die Fischer werden aus einem 74 Millionen US-Dollar schweren Fonds entschädigt, den Mexiko aufgelegt hat. Und für die Zeit nach dem Verbot entwickeln Forscher Netze, aus denen sich Vaquitas wieder befreien können.

Das Schicksal der kleinsten Wale ist also noch nicht besiegelt. Barbara Taylor von der NOAA ist zuversichtlich. Noch keine zehn Jahre ist es her, dass sie mit leeren Händen von einer Expedition auf dem chinesischen Jangste-Fluss zurückkehrte. Dort hatte sie nach den letzten Flussdelfinen gesucht, vergeblich, sie waren ausgestorben. "Bei den Vaquitas liegt die Sache anders – die Fischerei ist das einzige Problem, das wir haben. Wir brauchen sie als Erfolgsgeschichte." Der Vaquita könnte zum Vorbild werden – wie der Kampf gegen das Ozonloch, gegen die Ausbeutung des kongolesischen Nationalparks Virunga oder gegen die Verschmutzung des Rheins.

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