Trotz Gipfels - Am Ende entscheidet EU-Parlament über Finanzen

  24 Februar 2020    Gelesen: 903
Trotz Gipfels - Am Ende entscheidet EU-Parlament über Finanzen

Brüssel (Reuters) - Alle sieben Jahre versammeln sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel und ringen darum, wie viel Geld die Mitgliedstaaten an die EU abführen sollen.

Immer sind alle Augen auf mächtigen politischen Akteuren wie Kanzlerin Angela Merkel oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gerichtet. Aber selbst Merkel räumte vor dem EU-Sondergipfel diesmal ein, dass man einen Akteur viel stärker im Blick haben müsse als früher - das Europäische Parlament. Denn diesmal dürfte das EP in einer nie gekannten Härte verhandeln - und hat dazu den Hebel in der Hand. Auch wenn sich die 27 Regierungen in Brüssel einigen sollten - “letztlich ist dies nur ein Kompromiss der Regierungen, nicht einer der EU”, betont die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier.

Der Grund für das neue Selbstbewusstsein des Parlaments liegt nicht nur darin, dass die Abgeordneten jeden Finanzrahmen am Schluss abnicken müssen. “Entscheidend ist, dass sich die Kräfteverhältnisse im Parlament geändert haben”, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Ramsus Andresen, der in der künftigen Verhandlungsgruppe des Parlaments mit dem EU-Rat sitzt. “Anders als früher haben Christ- und Sozialdemokraten keine Mehrheit mehr.” Das Parlament kann den Etat also nur mit den Stimmen von Grünen und Liberalen beschließen - die eigene Forderungen haben.

Aber Andresen verweist auf einen fast noch wichtigeren Faktor: Erstmals gehört die Mehrheit der Abgeordneten nicht Regierungs-, sondern Oppositionsparteien in ihren Heimatländern an. Das verändert die Dynamik der Verhandlungen: Üblicherweise machen Heimatregierungen über ihre Regierungsparteien Druck auf die eigenen Abgeordneten, dass man Kompromisse der Mitgliedstaaten zustimmen solle. Aber diesmal hat die Mehrheit der Parlamentarier gar kein Interesse daran, die 27 EU-Regierungschefs gut aussehen zu lassen. Dazu kommt, dass 60 Prozent der Abgeordneten neu im Parlament sind, und die Verhandlungen nicht zwei Jahre vor Ende einer Legislaturperiode, sondern gleich zu Anfang stattfinden: Parteiübergreifend erwartet man deshalb eine höhere Konfliktbereitschaft.

MERKEL UND BETTEL ERKENNEN WACHSENDEN EINFLUSS AN

“Wir wissen natürlich um die Bedeutung des Parlaments. Ohne Parlament kein Haushalt”, räumte deshalb auch Kanzlerin Merkel noch vor dem EU-Gipfel ein. Das beeinflusst die Debatten im Europäischen Rat. Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel etwa mahnte am Freitag die Koppelung künftiger EU-Strukturzahlen an die Rechtsstaatlichkeit mit ausdrücklichem Hinweis auf die Gespräche mit dem Parlament an. “Wenn wir bei der Rechtsstaatlichkeitsklausel keine überzeugende Lösung beschließen, dann wird das Europaparlament dies später tun.”

Genau genommen hat das EP schon 2018 einige sehr harte Positionen für die künftigen Verhandlungen mit den Regierungen vorgelegt - und wartet seither auf die nötige Vorlage des Rates. Zwar glauben auch die EU-Parlamentarier nicht, dass sie sich wirklich mit ihrer Forderung, dass die EU-Staaten 1,3 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung an die EU zahlen, durchsetzen können. Damit würden etwa allein die deutschen Zahlungen an die EU schätzungsweise um weitere 15 Milliarden jährlich in die Höhe schießen. Aber Andresen nennt drei “rote Linien”, die es in den Verhandlungen geben wird: Zum einen habe man sich parteiübergreifend im Parlament darauf geeinigt, dass die EU mehr Geld für Klimaschutz ausgeben solle als in den Vorschlägen von EU-Ratspräsident Charles Michel von vergangenem Freitag vorgesehen ist. Zweitens werde das Parlament auf der Rechtsstaatlichkeitsklausel bestehen.

“Und drittens fordern wir Eigenmittel der EU”, sagte Andresen. Das Parlament will, dass die EU die milliardenschweren, steigenden Einnahmen aus dem Verkauf der Verschmutzungszertifikate beim CO2-Emissionshandel bekommt. Zudem soll eine Plastiksteuer eingeführt werden auf nicht wiederverwertbare Kunststoffe. “Wir hätten gerne aber auch noch eine dritten Eigenmittel-Quelle wie etwa die Digitalsteuer”, fordert Andresen. Frankreichs Präsident Macron unterstützt dies.

Ein Kompromiss beim Emissionshandel gilt dennoch als ausgeschlossen, weil etwa die Bundesregierung die Einnahmen längst national verplant hat. In Brüssel wird deshalb spekuliert, ein Kompromiss könnte darin liegen, dass die EU-27 dem Parlament am Ende die Plastiksteuer zugestehen. Deren Einnahmen sind zwar mit zwischen vier und acht Milliarden Euro pro Jahr eher überschaubar und dürften sinken, wenn die Strategie zur Plastikvermeidung wirklich greift. Aber das Parlament könnte sich dann auf die Fahnen schreiben, einen Dammbruch erzielt zu haben. Denn bisher hat etwa Deutschland Eigenmittel der EU kategorisch abgelehnt - schon weil sie die Machtbalance zwischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen weiter zugunsten der EU verschieben würde.


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