Torloses Unentschieden

  06 März 2020    Gelesen: 711
Torloses Unentschieden

Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan haben einen Waffenstillstand für Idlib ausgehandelt. Grundsätzlich stehen sich die beiden Autokraten in Syrien aber weiter feindselig gegenüber. Wie lange hält der Deal?

Wochenlang musste Recep Tayyip Erdogan in Moskau um ein Treffen bitten, bis er endlich selbst verhandeln durfte. Eigentlich wollte er dies auf türkischem Boden tun, aber Wladimir Putin ließ seinen türkischen Amtskollegen am Donnerstag in den Kreml nach Moskau kommen, um die jüngsten Eskalationen in Nordsyrien, in der letzten Rebellenhochburg Idlib, zu beraten.

Es war eine Kraftprobe zweier Präsidenten, die in Syrien so unterschiedliche Interessen verfolgen und doch irgendwie miteinander umgehen müssen. Beide wollen eine kriegerische Auseinandersetzung in der Region um jeden Preis vermeiden.

Fast sechs Stunden rangen die beiden Staatschefs um eine Einigung, davon drei Stunden unter vier Augen.

Drei-Punkte-Ergänzung von Moskau
Herausgekommen ist keine neue Vereinbarung, sondern ein Moskauer Update von bereits geschlossenen Abkommen, das die Gewalt stoppen soll. Die Ergänzung sieht drei Punkte vor:

Ab 00.01 Uhr am 6. März tritt eine Waffenruhe in der Provinz Idlib in Kraft.

Entlang der strategisch wichtigen Verbindungsstraße M 4 wird ein "Sicherheitskorridor" geschaffen, der jeweils sechs Kilometer in den Norden und Süden reicht. Sieben Tage haben die Verteidigungsministerien beider Länder Zeit, diesen zu schaffen.

Ab dem 15. März sollen gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Armee im Gebiet an der M4 unterwegs sein.

Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Putin und Erdogan einigen konnten - und den nun alle Seiten für sich als Erfolg darstellen können.

Russland kann für sich herausstellen, eine Kontaktlinie geschaffen zu haben, die einen neuen Status quo manifestiert. Die Türkei verliert damit einen Teil des Gebiets, das sie bis Anfang des Jahres noch kontrollierte und das dann von den Truppen von Diktator Baschar al-Assad eingenommen wurde. Ihre Beobachtungsposten bleiben damit dort blockiert. Zudem hat Moskau nun Zugriff auf die wichtige Trasse M 4, die Ankara bis Ende 2019 noch kontrollierte.

Dafür hat die Türkei die Offensive der Regimetruppen von Assad gestoppt. Dessen Ziel, ganz Syrien wieder zu kontrollieren, hat erst einmal keine Priorität mehr für Moskau. Was aber nicht bedeutet, dass Russland dauerhaft einen Sonderstatus für Idlib schaffen will.

Putin und Erdogan frieren vielmehr den Konflikt in Nordsyrien erst einmal ein. "In kritischen Momenten gelang es uns jedes Mal, eine gemeinsame Basis zu finden, so auch dieses Mal", lobte er seinen türkischen Kollegen und sich gleich selbst mit. Es ist auch ein Zeichen an den Westen: 'Wir einigen uns weiterhin unter uns - ohne euch.'

Grundsätzlich verschiedene Einschätzungen des Konflikts
In der Bewertung der Lage liegen sie aber weiterhin weit auseinander, sodass eine drohende Konfrontation zwar erst einmal abgewendet wurde, aber trotzdem nicht vom Tisch ist. "Wir stimmen nicht immer mit unseren türkischen Partnern überein, wenn es um die Beurteilung der Ereignisse in Syrien geht", formulierte es Putin am Donnerstag.


Ausführlich legte er noch einmal dar, wie unzufrieden er mit dem türkischen (Nicht)-Verhalten in Idlib ist. Moskau wirft Erdogan vor, die islamistischen Kämpfer in Idlib gewähren zu lassen. Ankara habe sie nicht wie im September in Sotschi vereinbart von der Zivilbevölkerung getrennt. Die syrische Armee von Assad, der unter dem Schutz Moskaus steht, habe ein Recht, gegen die "Terroristen" vorzugehen. Sie hätten auch die russische Basis Hmeimim angegriffen, sagte Putin. Russische Militärs halten der Türkei zudem vor, mit "den Terroristen" zu kooperieren. Der Luftangriff, offiziell von syrischen Einheiten ausgeführt, mit über 30 toten türkischen Soldaten wurde in Moskau von manch einem Experten als Maßnahme gesehen, um Ankara in die Schranken zu weisen.

Erdogan sieht Nordsyrien weiter als sein Einflussgebiet, auf das er einen Anspruch hat. Er versteht sich dabei als derjenige, der nicht nur Assad Einhalt gewährt, sondern auch diejenigen schützt, die vor dem syrischen Machthaber fliehen. Ausdrücklich betonte er am Donnerstag, dass Assad die Millionen Flüchtlinge verantworte. Die Türkei nehme weiterhin für sich das Recht in Anspruch, gegen die syrischen Regimetruppen vorzugehen, wenn es erforderlich sei.

Für die Zivilbevölkerung schafft die neue Vereinbarung eine Atempause. Ob die rund eine Million Flüchtlinge, die im Grenzgebiet laut Uno ausharren, nun aber so bald zurückgehen, darf bezweifelt werden.

Vereinbarungen haben Putin und Erdogan schon viele geschlossen. Erfüllt haben sie beide immer nur so weit, wie es ihnen passte. Die Frage wird sein, wie lange die Waffenruhe dieses Mal anhält.

spiegel


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