Fazit zu Putin-Erdogan-Deal: Wo die Staatschefs sich uneinig bleiben und was das für Berlin bedeutet

  07 März 2020    Gelesen: 825
  Fazit zu Putin-Erdogan-Deal: Wo die Staatschefs sich uneinig bleiben und was das für Berlin bedeutet

Das Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in Moskau zeigt bisher Wirkung. Doch in Deutschland ist der Wunsch, einseitig mehr Druck auf Moskau und Damaskus auszuüben, noch stark genug. Nur wenige scheinen die Situation rund um Idlib in ihrer Komplexität wahrzunehmen. Eine Analyse.

In der Nacht zum Freitag ist in Idlib - mindestens für absehbare Zeit - Ruhe eingezogen. Am Vorabend einigten sich die Präsidenten Putin und Erdogan vorerst auf eine Waffenstille, aber auch auf die Einrichtung eines zwölf Kilometer breiten „Sicherheitskorridors“ entlang der Verbindungsstraße M4, die für Damaskus von strategischer Bedeutung ist. Ab dem 15. März werden die russischen und die türkischen Truppen die Gegend gemeinsam patrouillieren.

Es ist schon das zweite Mal im letzten Halbjahr, dass der türkische Staatschef auf Einladung Putins nach Russland gekommen ist. Im Oktober ging es Putin in Sotschi wohl darum, dem „erniedrigten“ Erdogan zu helfen, „das Gesicht zu wahren“, nachdem US-Präsident Donald Trump ihn zu einer Militäroffensive in Nordsyrien offenbar provoziert hatte. Diesmal verschärfte sich das russisch-türkische Verhältnis, nachdem 36 türkische Militärs unter Gegenfeuer der syrischen Armee ums Leben gekommen waren und 30 weitere verletzt wurden. Es war jedoch die Terrormiliz „Hayat Tahrir al-Sham“*, die am 27. Februar zuerst eine großangelegte Offensive gegen Stellungen der syrischen Regierungstruppen gestartet hatte. Niemand, nicht einmal die syrischen Militärs, hätte vom Aufenthaltsort der betroffenen türkischen Militärs gewusst, betonte Putin gegenüber Journalisten vor den Verhandlungen mit Erdogan am Donnerstag.

Wie ist es aber möglich geworden? Das russische Verteidigungsministerium hatte am Vorabend seine Version der Dinge dargestellt. Laut dem Sprecher Generalmajor Igor Konaschenkow sind die von Terroristen besetzten Gebiete mit den türkischen Beobachtungsposten irgendwie zusammengewachsen - trotz des im Herbst 2018 beschlossenen Sotschi-Abkommens über Syrien. Es sei die Verpflichtung der Türkei gewesen, die Terroristen von den Außengrenzen der Deeskalationszone bis zu einer Tiefe von 15 bis 20 Kilometern abzugrenzen und zu vertreiben, fügte Konaschenkow hinzu. Stattdessen hätten die von der Uno als Terroristen anerkannten Kämpfer der „Hayat Tahrir al-Sham“*, der Islamischen Turkestan-Partei* sowie anderer Terrorgruppen all die Kämpfer der „gemäßigten Opposition“ in den Norden bis zur türkischen Grenze verdrängt.

Nach den insgesamt sechsstündigen Verhandlungen mit Erdogan wies Präsident Putin seinerseits erst darauf hin, dass die Terrorbanden seit Anfang des Jahres sowohl die Positionen der syrischen Regierungstruppen als auch die Siedlungen von Zivilisten häufiger beschießen würden und der russische Militärflugplatz Hmeimim im Nordwesten Syriens 15 Mal angegriffen worden sei.

„Jedes Mal haben wir unsere türkischen Partner in Echtzeit darüber informiert“, sagte Putin. „Tatsächlich ist es den Militanten gelungen, ihre Feindseligkeiten wiederaufzunehmen“, bemängelte er weiter, wobei er auch die türkischen Verluste bedauerte. Seine Position: Russland stehe nach wie vor zu den Grundsätzen der Souveränität und der territorialen Integrität Syriens. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus dürfe nicht abgeschwächt werden. Sein Fazit: Die mit Erdogan vereinbarten Maßnahmen sollen zur Deeskalation in Idlib beitragen und die humanitäre Krise in der Region entschärfen bzw. die Gespräche über den Friedensprozess in Syrien zwischen allen Konfliktseiten ankurbeln.

Putin meint Kampf gegen islamistische Terrorbanden, Erdogan meint „Schutz vor Assad-Regime“ 
Wichtig seien die über 500 Jahre langen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei, sagte Erdogan seinerseits nach den Verhandlungen mit Putin, wobei 2020 der 100. Jahrestag der Aufnahme der bilateralen diplomatischen Beziehungen gefeiert werde. Rasch ging er dann zum Sotschi-Abkommen von 2018 über und lieferte seine Version der Eskalation in Idlib: Seit März 2020 seien die Angriffe der Streitkräfte des Assad-„Regimes“ häufiger geworden. Es sind aus seiner Sicht also die syrischen Regierungstruppen, die gegen den „Idlib-Vertrag“ angeblich verstoßen und zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt hatten. An der türkischen Grenze würden derzeit etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge ausharren, so Erdogan. Deshalb habe die Türkei in Idlib Beobachtungsposten aufgebaut. Der türkische Präsident behauptet: Assad wolle Idlib verwüsten und die Türkei in eine schwierige Lage vor einer neuen Fluchtwelle versetzen. Zu den Ergebnissen der Gespräche mit Putin bekenne er sich und wolle die humanitäre Lage in der Region nicht weiter eskalieren. Den Flüchtlingen solle an ihre bisherigen Wohnorte verholfen werden.

Maas begrüßt Waffenstillstand - Kandidat für CDU-Vorsitz Röttgen fordert Sanktionen gegen Moskau
Bundesaußenminister Heiko Maas hat am Freitag die erzielte Einigung zwischen Russland und der Türkei begrüßt und die Hoffnung auf die Einhaltung der Vereinbarungen geäußert. Er wolle vorerst keine Sanktionen gegen Moskau. Am Tag zuvor stellte Maas 100 Millionen Euro zusätzlich für die Unterbringung und Versorgung notleidender Menschen in der Provinz Idlib in Aussicht, sollten Putin und Erdogan den humanitären Zugang und den Schutz der Bevölkerung möglich machen. In der CDU forderte die Verteidigungsministerin und Noch-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwoch „noch mehr Druck auf Putin und Assad“ seitens der EU und der USA“ einschließlich Sanktionen gegen Moskau.

​Noch bevor die Gespräche zwischen Putin und Erdogan stattgefunden hatten, hatten der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen sowie die Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (beide CDU), Franziska Brantner, Omid Nouripour (beide Grüne) und Bijan Djir-Sarai (FDP) am Donnerstag in einem Appell über Crisis Action „gezielte individuelle Maßnahmen“ gegen Moskau und vor allem gegen den Verteidigungsminister Sergej Schoigu gefordert. Russland deckt nach Überzeugungen der Parlamentarier nicht nur das syrische Vorgehen, sondern bombardiert gezielt zivile Einrichtungen, um Menschen zu vertreiben. Die Regierungen der EU und der Nato müssten Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Gipfeltreffen über die Zukunft Syriens auffordern und als Druckmittel die erwähnten Maßnahmen vorbereiten, heißt es in dem Appell. Die Handlungen Ankaras in Syrien werden dabei nicht von den Parlamentariern hinterfragt bzw. die beklagten russischen Verbrechen in der Region nicht belegt.

Die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht ist dabei eine der wenigen, die darauf hinweisen, dass die Türkei sich ja verpflichtet habe, die Terroristen zu entwaffnen. „Diese Leute [islamistische Terroristen und Dschihadisten in der Provinz Idlib] sollten eigentlich entwaffnet werden. Das war die Quintessenz des Waffenstillstands, der vor zwei Jahren geschlossen wurde. Sie sollten entwaffnet werden auch von der Türkei, die im ganzen Syrienkrieg immer auf der Seite dieser Leute gestanden hat. Und Erdogan hat sich an nichts gehalten und… trägt zu einer Eskalation natürlich auch auf dem Rücken der Zivilbevölkerung bei“, bemängelte die Politikerin in ihrem ihrem Youtube-Vlog.

Gemeinsame russisch-türkische Patrouille als Chance für Frieden in Idlib?
Auch unabhängige Experten raten dem Westen davon ab, sich auf die Seite der Türkei zu stellen. „Die Situation ist außerordentlich verworren. Es ist selbst für die Spezialisten schwer zu verstehen, was sich gegenwärtig in Idlib vollzieht“, sagte das wissenschaftliche Mitglied und Experte für deutsch-russische Beziehungen am Institut für internationale Politik Potsdam (WeltTrends) Prof. Dr. Wilfried Schreiber kürzlich in einem Sputnik-Gespräch. Sollten in militärischen Auseinandersetzungen dann Zivilisten getroffen werden, ist es aus der Sicht des Experten inakzeptabel, dass die Menschenrechtsverletzungen lediglich Russland und Assad zugeschoben werden. Erpressung und Druck seien nicht die richtige Sprache im Umgang mit Russland.

Der Nahost-Experte im Russischen Rat für auswärtige Angelegenheiten Alexej Chlebnikow äußerte seinerseits mit Blick auf 2014, die Sanktionen gegen Russland seien keine Sprache, die funktioniere. Dass Putin auf den Vorschlag Erdogans, ein Treffen mit Teilnahme Deutschlands und Frankreichs zu Idlib zu organisieren, nicht eingegangen ist, darf man ihm Chlebnikow zufolge nicht übel nehmen. Schließlich sei Deutschland kein Player in Idlib. Paris und Washington seien dagegen im Norden und nicht im Osten Syriens im Einsatz.

Chlebnikov möchte nicht spekulieren und wie manche behaupten, die Türken würden jetzt auf der Seite von Terroristen kämpfen, so wie das russische Außenministerium Ankara 2015 nach dem Absturz des russischen Militärflugzeuges vorgeworfen hatte, die Terroristen mit Nachsicht zu behandeln und zu Angriffen auf die syrischen Regierungstruppen einstimmen. Ganz klar ist für den Experten aber, dass „die Türkei sich an die Verpflichtungen nach dem Sotschi-Abkommen bewusst nicht gehalten hat.“ Auch sei die Türkei im Norden Syriens bzw. in Aleppo nicht zum Beobachten, sondern habe diese Regionen tatsächlich okkupiert.

Den neulich vereinbarten Waffenstillstand nimmt Chlebnikow positiv wahr, vor allem das gemeinsame russisch-türkische Patrouillieren, das erst ab 15. März beginnen soll. „Diese Praxis hatte sich im Oktober schon in Nordsyrien bewährt“, sagt der Experte mit Blick auf die ähnliche russisch-türkische Vereinbarung nach der türkischen Militäroffensive gegen die syrischen Kurden. Das gemeinsame Patrouillieren sollte auch diesmal ein mächtiger Friedensfaktor für die Region sein.

sputniknews


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