Bedenklicher Instagram-Trend: Ein Leben ohne Wasser

  17 März 2020    Gelesen: 968
Bedenklicher Instagram-Trend: Ein Leben ohne Wasser

Wellness-Influencerinnen behaupten, gänzlich auf Wasser zu verzichten und Flüssigkeiten stattdessen hauptsächlich über die Nahrung aufzunehmen. Dieser Trend ist gefährlich und kann schwerwiegende Folgen haben.

Sophie Prana lebt ein vordergründig beneidenswertes Leben. Die Österreicherin reist viel, ist ständig an der frischen Luft. Sie hält ihren Körper mit Yoga fit und ernährt sich überaus gesund. Das zumindest propagiert ihr Instagram-Kanal, dem etwa 19.000 Abonnenten folgen.

Immer wieder erzählt sie in ihren Posts, dass sie seit mehr als einem Jahr kein Wasser mehr zu sich genommen habe. Als Hauptflüssigkeitslieferant dienen ihr stattdessen Unmengen an Obst und Gemüse, zum Beispiel in Form von Wassermelonen oder Kokosnüssen.

In einem 16-minütigen Youtube-Video erklärt Prana, warum sie so lebt und wie viel besser es ihr seither angeblich gehe. Sie erzählt außerdem, dass es "lebendes" und "totes" Wasser gäbe und dass man nur ersteres zu sich nehmen sollte. Auch die Nierenfunktion solle sich verbessern, wenn man auf Wasser verzichtet. Wasser sei nach Ansicht der Wellness-Influencerin nämlich für den Körper völlig uninteressant, da es kaum verwertbare Nährstoffe enthalte.

Stattdessen würde man so nur die Flüssigkeit schneller ausscheiden und schließlich noch mehr zu sich nehmen, was natürlich auch der Wasserindustrie zu Gute komme. Dieser Wirtschaftszweig stecke generell hinter den gängigen täglichen Mengenempfehlungen. Nicht zuletzt sei ihre Haut seit dem Verzicht besser, sie insgesamt überhaupt vitaler. Das alles spricht sie mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera.

Eine ähnliche Meinung vertritt auch Influencerin Alise Miksta, eine Lettin, die in Dubai lebt. Wasser sei gar nicht nötig für eine ausgewogene Lebensweise, wie immer behauptet werde. Sie möchte zwar niemandem vorschreiben, kein Wasser zu trinken, und sie selbst würde auch ab und an mal Flüssigkeiten zu sich nehmen, aber "sicher nicht diese zwei Liter am Tag". Dazu führt sie auf ihrem Profil auch mal wissenschaftliche Studien an, die ihre Meinung unterstützen sollen.

Beide Influencerinnen ernähren sich ausschließlich von veganer Rohkost. Oftmals steht der Wasserverzicht außerdem in Verbindung mit so genanntem "Dry-fasting". Dabei nehmen Fastende teilweise bis zu 36 Stunden überhaupt keine Nahrungsmittel zu sich. Das soll laut der Praktizierenden gesund sein, im Vordergrund steht aber natürlich der Gewichtsverlust.

Bedenkliche Ernährungsform

Dr. Peter Stehle, Professor für Ernährungsphysiologie an der Universität Bonn, ist alles andere als überzeugt von den Ausführungen der Österreicherin Prana: "Die Aussage, es gäbe lebendes und totes Wasser, finde ich grausam. Wenn wir Fruchtsäfte trinken oder Früchte essen, werden die verdaut und dabei die Inhaltsstoffe freigesetzt. Es entsteht ein Austausch. Der Körper kann überhaupt nicht unterscheiden, von wo das Wasser kommt, das er braucht."

Generell könne der Mensch bei einer ausgewogenen Ernährung, für die er etwa 2500 Kilokalorien am Tag benötigt, kaum mehr als 0,9 Liter Flüssigkeit über feste Nahrung zu sich nehmen. Zusätzlich produziert der Körper täglich selbst ein geringes Maß an Wasser. Zusammengerechnet kommt man so auf etwa einen bis eineinhalb Liter Wasser.

Da der tägliche Wasserumsatz im Körper durchschnittlich allerdings bei knapp 2,5 Litern aufwärts liegt, muss der Rest aufgefüllt werden: indem man trinkt. Dieser Bedarf berechnet sich vor allem aus der Funktion der Niere, die die Flüssigkeit benötigt, um Schadstoffe aus dem Körper spülen zu können. Auch über Haut und Lunge verlieren wir Wasser. So ergibt sich letztlich die Empfehlung von mindestens 1,5 Litern Flüssigkeit, die man am Tag zusätzlich zur Nahrung zu sich nehmen sollte.

Zu versuchen, diese Lücke über eine gesteigerte Aufnahme von Obst und Gemüse zu füllen, ist für Stehle auch aus einem ernährungstechnischen Aspekt fragwürdig: "Versucht man die 2500 Kilokalorien, die ein durchschnittlicher Mensch am Tag umsetzt, zu 80 Prozent oder mehr in Form von Obst und Gemüse zu sich zu nehmen, bekommt man automatisch auch andere Probleme."

Dann nämlich fehlen Nährstoffe, beispielsweise Eiweiße, Mineralien und gewisse Vitamine. Eine ausgewogene Ernährung lässt sich so nicht garantieren. Zusätzlich ist der enthaltene Fruchtzucker, die Fructose, im Vergleich zur Glucose relativ schwer zu absorbieren. Dies könnte bei einer übermäßigen Zufuhr zu Verwertungsstörungen und Darmproblemen führen. "Dann bekommen die Leute Durchfall, was zu noch mehr Wasserverlust führt."

Was passiert wenn man dehydriert?

Bekommt der Körper zu wenig Wasser zugeführt, kann das schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. In der Medizin gibt es eine Stufenregelung, der Wasserverlust wird in Relation zum Gewicht berechnet. "Dehydratation beginnt beim Verlust von etwa 4 bis 5 Prozent des Körpergewichts an Flüssigkeit. Ab dort treten klinische Symptome auf", so Ernährungswissenschaftler Stehle.

Macht der Körper seinen Bedarf an Wasser zuvor noch durch ungefährliche Anzeichen wie Durst oder einen trockenen Mund deutlich, kann es ab diesem Punkt bereits zu ersten Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit sowie anderen Ausfallerscheinungen kommen. Nähert man sich einem Verlust von 20 Prozent des Körpergewichts, besteht akute Lebensgefahr.

Wer versucht, den Flüssigkeitsbedarf ausschließlich über Obst und Gemüse zu decken, komme schnell an einen kritischen Punkt, gibt Stehle zu bedenken: "Wenn ich mir ausrechne, dass ein Mensch, wenn er Flüssigkeit nur über feste Lebensmittel aufnimmt, etwa einen Liter Flüssigkeit am Tag überhaupt schafft, dann dauert es maximal fünf bis zehn Tage, bis es zu schwerwiegenden körperlichen Einschränkungen kommt."

Am besten Wasser oder Tee

Der Bonner Ernährungswissenschaftler empfiehlt, die täglich benötigte Menge an Flüssigkeit hauptsächlich über Wasser oder Tee zu sich zu nehmen. Diese Getränke enthalten nur wenig Kalorien. Der Nährstoffgehalt sei vor allem bei der Ernährung relevant. Fruchtsäfte wie auch Limonaden seien als dauerhafte Flüssigkeitslieferanten problematisch: "Flüssigkeiten sättigen nicht. Die in den Getränken enthaltenen Kalorien, die zusätzlich zur Nahrung aufgenommen werden, können das Risiko für die Entstehung von Übergewicht fördern."

Gerade Freizeitsportler sollten ganz besonders auf ihre Flüssigkeitszufuhr achten, da bei ihnen der Wasserverlust vergleichsweise hoch ist, weil sie mehr schwitzen als Leistungssportler. Nicht zuletzt sei es vor allem bei älteren Menschen wichtig, die Aufnahme der empfohlenen Mindestmenge sicher zu stellen.

Trotzdem gelten diese Empfehlungen aber für jedermann. Auch junge Menschen sollten ausreichend Flüssigkeit, vor allem in Form von Wasser, zu sich nehmen - auch wenn auf Instagram vielleicht gerade irgendein Influencer etwas anderes behauptet.

Deutsche Welle


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