Lungenarzt geht mit wirren Thesen viral

  19 März 2020    Gelesen: 718
 Lungenarzt geht mit wirren Thesen viral

Die Corona-Pandemie als bloßer "Hype" und Vorwand für Ärzte, um Geld zu verdienen? Das klingt recht weit hergeholt. Doch solche und ähnliche Behauptungen eines Lungenarztes werden im Netz derzeit zigfach geteilt. Ein gefährliches Spiel mit der Wahrheit.

In Krisenzeiten wissen Menschen oft nicht, wem sie glauben, was sie tun und was sie lassen sollen. Dann schlägt die Stunde der Populisten, der Rauner und Abwinker. In den vergangenen Tagen machte der Lungenarzt und ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD, Wolfgang Wodarg, mit steilen Thesen zum Coronavirus von sich hören. Interviews mit ihm auf Youtube wurden millionenfach angeschaut. Hier einige seiner Behauptungen im Faktencheck:

Behauptung: Das Virus sei vielleicht gar nicht so neu. Man könne nicht wissen, "ob nicht schon in Peking oder in Italien früher diese Viren vorhanden waren". Man habe "nie danach suchen können und nie danach gesucht".

Bewertung: Das Virus ist nach übereinstimmender Ansicht von Forschern kürzlich zum ersten Mal bei Menschen aufgetreten. Wie neu genau Sars-CoV-2 ist, ist schwer zu sagen. Allerdings bezweifeln Forscher, dass es das Virus schon Jahre vor den ersten Krankheitsfällen in China gab, "allenfalls wenige Monate vor der Entdeckung im Dezember", schätzt der Frankfurter Virologe Martin Stürmer. "Sollte dieses Virus schon vorher in Italien oder China vorhanden gewesen sein, hätte man die Erkrankten erkannt, die negativ auf die bekannten Atemwegserreger sind, und hätte nach dem neuen Erreger gesucht - so wie im Dezember in China", sagt auch Stephan Becker vom Institut für Virologie der Universität Marburg.

Weitere Hinweise darauf, dass es sich um einen neuen, sich rasch verbreitenden Erreger handelt, geben laut dem Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Jörg Janne Vehreschild, die Daten zum Krankheitsverlauf. In den meisten Statistiken sei etwa zwei Wochen nach Anstieg der Fallzahlen auch ein Anstieg der Sterbezahlen zu sehen. Wäre das Virus von vornherein in der gesamten Bevölkerung verbreitet gewesen, wäre das Muster ein anderes.

Behauptung: Der in Deutschland entwickelte Corona-Test sei "noch nicht mal validiert". Er könne möglicherweise auf viele Viren positiv reagieren, nicht nur auf das neuartige Sars-CoV-2. Wodarg suggeriert, man mache einen Hype um das Coronavirus, damit Forscher mit den Tests Geld verdienen könnten.

Bewertung: Die Tests wurden in einer Art vereinfachtem Verfahren validiert, um schnell verfügbar zu sein. Sie reagieren zwar auf mehrere Viren, außer dem neuartigen Coronavirus treten diese aber nicht oder nicht mehr beim Menschen auf. Die Kosten für einen Test tragen die Krankenkassen. Ein Test auf das neuartige Coronavirus wurde von einem Team um den Virologen Christian Drosten an der Berliner Charité entwickelt. In einer klinischen Studie haben die und Wissenschaftler zunächst auf verschiedene Typen von Viren getestet. Nach Bekanntwerden der Virus-Sequenz von Sars-CoV-2 wählte das Team aus der Vielzahl an Tests die passendsten aus und führte gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Rotterdam, Hongkong und London weitere Untersuchungen durch.

Bisher ist der Test nur vorläufig validiert. Das hängt auch mit der derzeitigen Dringlichkeit zusammen. Martin Walger, Geschäftsführer des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH), sagte der "Welt" bereits im Januar: "In einer akuten Gefährdungslage wie jetzt würde es viel zu lange dauern, einen Test auf herkömmlichem Wege auf den Markt zu bringen."

Der Test fällt zwar auch bei anderen Viren positiv aus, diese Information sei aber irreführend, sagte Drosten in einem Podcast des NDR. Denn diese Viren träten nur bei Fledermäusen auf oder existierten nicht mehr - so etwa das alte Sars-Virus von 2002. "Dieser Test reagiert gegen kein anderes Coronavirus des Menschen und gegen kein anderes Erkältungsvirus des Menschen." Die Tests auf Sars-CoV-2 werden wie üblich nach den Honorarordnungen der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungen abgerechnet. Drosten stellt klar: "Wir verdienen keinen Cent, im Gegenteil: Wir zahlen sehr viel drauf."

Behauptung: Die Coronakrise sei ein "Hype". Die Krankenhäuser würden belastet "durch die vielen Fragen und durch die Panik, aber nicht durch neue Krankheitsfälle". Es seien "leichtfertige und unberechtigte Quarantänemaßnahmen und Verbotsregelungen" in Kraft - und "gegen einen unsinnigen Freiheitsentzug sollte man sich zur Wehr setzen".

Bewertung: Diese Behauptungen widersprechen den Erkenntnissen von Forschern weltweit. Sie werden auch durch die Berichte aus Ländern widerlegt, in denen hohe Fallzahlen verzeichnet werden, etwa Italien. Behördlichen Maßnahmen nicht Folge zu leisten, gefährdet die Gesundheit und kann strafbar sein. Wer in den vergangenen Tagen Berichte aus Norditalien gelesen hat, der weiß: Die Menschen in den Krankenhäusern von Bergamo oder Brescia sterben nicht an Panik oder offenen Fragen, sondern in sehr vielen Fällen an Covid-19. Wie hoch der Anteil von Covid-19-Erkrankten ist, die daran sterben, lässt sich erst nach dem Ende der Pandemie genau berechnen. Er dürfte nach Angaben der WHO bei einigen Promille liegen, also wenigen Fällen von Tausend.

Das große Problem bei Covid-19 ist der verhältnismäßig hohe Anteil Erkrankter, die intensivmedizinisch betreut werden müssen. Die Fallzahlen sollen deshalb durch die aktuellen Vorkehrungen zu jeder Zeit so gering wie möglich gehalten werden, um die Intensivstationen zu entlasten. Der Virologe Stürmer hält - wie auch seine Kollegen - das Vorgehen in der jetzigen Situation für angemessen. "Wenn wir jetzt nicht aufpassen, bekommen wir auf den Intensivstationen Verhältnisse wie zum Teil in Italien. Dann müssten Ärzte entscheiden, wem sie ein Bett auf der Intensivstation geben und wem nicht." Gefährlich ist ein Aufruf dazu, sich gegen einen "unsinnigen" Freiheitsentzug "zur Wehr zu setzen", übrigens nicht nur aus gesundheitlichen Gründen. Wer sich einer Anordnung zur Quarantäne oder einer eventuellen Ausgangssperre widersetzt, macht sich unter Umständen strafbar.

Quelle: ntv.de, Rachel Boßmeyer und Jan Ludwig, dpa


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