Stehende Ovationen im Bundestag für die „kleinen“ Helden des Corona-Alltags – Hilfspaket beschlossen

  26 März 2020    Gelesen: 487
Stehende Ovationen im Bundestag für die „kleinen“ Helden des Corona-Alltags – Hilfspaket beschlossen

Der Bundestag hat mit großer Mehrheit einem Gesetzespaket zugestimmt, das helfen soll, wirtschaftliche und soziale Härten, sowie andere Risiken zu mildern, die durch die sogenannte Corona-Krise drohen. Herzstück des Hilfspaketes ist ein Nachtragshaushalt für das Jahr 2020. Nicht nur deshalb sprach der Bundesfinanzminister anstelle der Kanzlerin.

Nicht nur die Geldsumme, über die der Deutsche Bundestag abstimmte, sind fern bisheriger Vorstellungen. In welchen außergewöhnlichen Zeiten wir derzeit leben, war für jeden Beobachter im wahrsten Wortsinn mit bloßem Auge zu sehen. Denn der Plenarsaal war nur spärlich gefüllt und erinnerte eher an eine Prüfungssituation in der Schule, weil die Abgeordneten durch jeweils zwei leere Sitze voneinander getrennt waren. Die Aufforderung des Bundestagspräsidiums und Ältestenrates an die Fraktionen, nur mit einer Minimalstärke an der Plenarsitzung teilzunehmen, hat nicht jeden Abgeordneten gefreut. Es kursiert die Sorge, dass die Pandemie-Krise genutzt werden könnte, um parlamentarische Rechte wenigstens für einen begrenzten Zeitraum zu paralysieren. Das wurde dann auch in der Debatte deutlich.

Doch noch deutlicher wurde der besondere emotionale Druck, der momentan auf allen Politikern dieses Landes lastet, als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sich bei den Menschen bedankte, die Deutschland derzeit mit ihrer Arbeitsleistung nicht nur im übertragenen Sinne am Laufen halten:

„Aber vor allem gebührt unser Dank und unsere Anerkennung den Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und den Gesundheits- und Sicherheitsbehörden, die täglich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen sowie all denen…“
Weiter kam Schäuble nicht, denn Beifall unterbrach ihn, der eine halbe Minute andauerte und für den sich alle Abgeordneten aller Parteien von ihren Plätzen erhoben, selbst auf den Besuchertribünen wurde stehend applaudiert. Schäuble beendete seinen Satz mit den Worten:

„… ich denke, dass wir uns einig sind, dass wir in diesen Dank auch ausdrücklich diejenigen einbeziehen, die tagtäglich, trotz erhöhten Ansteckungsrisikos die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.“
Es war das einzige sicht- und hörbare Zeichen echter Gemeinsamkeit des gesamten deutschen Parlamentes. Denn in der Debatte und in den Abstimmungen zeigte sich sehr schnell, dass es nicht nur abweichende Meinungen, sondern auch Kritik am Kurs der Bundesregierung und der sie tragenden Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD gibt.

Vizekanzler Olaf Scholz verspricht „alles Nötige und alles Mögliche“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) passt von seinem hanseatischen Temperament perfekt zur Bundeskanzlerin, die bekanntlich zwar in der Stadt das Licht der Welt erblickte, die Scholz als Erster Bürgermeister mal regierte, aber in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchs und sozialisiert wurde. Die Mentalität der Mecklenburger ähnelt der, die in Hamburg typisch ist, wenig aufdringliche Rhetorik und eine unterkühlte Zurückhaltung, die gerne auch als Arroganz missverstanden wird. Vielleicht hätten andere Vizekanzler die Chance für eine flammende Ansprache genutzt, wenn die Regierungschefin bei einer derart wichtigen Sitzung des Parlamentes wegen medizinischer Quarantäne nicht ans Rednerpult gehen kann. Olaf Scholz aber hatte nur äußerlich keine Ähnlichkeit mit Angela Merkel. Seine rund 11-minütige Rede klang, als hätte er das Manuskript vorgetragen, dass eigentlich für die Kanzlerin geschrieben wurde.

Vermutlich aber sollte und wollte Scholz staatsmännisch klingen, ohne dramatischen Tonfall, ohne eindrucksvolle sprachliche Bilder, keine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede. Scholz wiederholte, was die Regierung, der er angehört nun schon seit Wochen predigt, sie werde alles Nötige und alles Mögliche unternehmen, um Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten. Scholz meinte, es gäbe „kein Drehbuch, es gibt keinen vorgefertigten Plan, dem wir jetzt einfach folgen können.“ Er sollte recht schnell an das Gegenteil erinnert werden.

Doch zuvor bat er um eine Zustimmung, die zu diesem Zeitpunkt durch Absprachen zwischen allen Fraktionen mehr oder weniger als absolut sicher galt. Der Bundestag sollte über einen Nachtragshaushalt beschließen, der eine Nettokreditaufnahme von 156 Milliarden Euro vorsieht, eine „gigantische Summe, fast die Hälfte unseres normalen Haushaltes für ein Jahr“, wie Scholz vorrechnete.

„Wir können uns das leisten, Deutschland genießt höchste Bonität an den Finanzmärkten, und zwar auch, weil wir in den letzten Jahren sehr solide gewirtschaftet haben, vorausschauend gearbeitet haben und einen niedrigen Schuldenstand haben.“

Auch in diesem Punkt wurde er im Lauf der Debatte zumindest daran erinnert, dass auch andere Interpretationen möglich sind. Zumindest wurde es in dieser Debatte nicht laut oder hässlich. Die 90-minütige Aussprache plätscherte auf dem unaufgeregten Level des Schlusssatzes von Olaf Scholz dahin: „Wir alle müssen uns umeinander kümmern, dann kommen wir da durch.“

Die AfD will nach der Krise eine Fehleranalyse der Bundesregierung

Oppositionsführer, Alexander Gauland von der AfD verzichtete weitgehend auf rhetorische Rempeleien, machte aber namens seiner Partei schon mit seinem zweiten Satz sehr deutlich, dass die weitgehende Zustimmung seiner Fraktion nur einem Umstand geschuldet sei, den der AfD-Fraktionschef später mit „Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht umschrieb. Zunächst lobte er die Maßnahmen der Regierungskoalition, die Einsichten enthielten, die seine Partei sehr begrüße, beispielsweise diese, so Gauland:

„Man kann also die Grenzen schützen, und wir werden die Bundesregierung bei Gelegenheit daran erinnern.“

Gauland kündigte an, dass „nach Abklingen der Krise“ die AfD auf die Fehler noch zu sprechen kommen werde, die von der Bundesregierung gemacht worden seien. Vor allem aber erinnerte er seinen Vorredner Olaf Scholz daran, dass es sehr wohl ein Drehbuch, einen vorgefertigten Plan gegeben habe, nachdem die Bundesregierung hätte handeln können und müssen. Gauland verwies dazu auf ein Katastrophenszenario, dass vom Robert-Koch-Institut 2012 erstellt wurde und das von der Bundesregierung ein Jahr später ausführlich dem Deutschen Parlament zugeleitet und erklärt wurde. In dieser „Unterrichtung durch die Bundesregierung“ vom 03. Januar 2013, „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“, mit der Drucksachennummer 17/12051, ging es um die Annahme einer Pandemie durch einen modifizierten Sars-Virus, also ähnlich der derzeitigen Lage. Entsprechend meinte Alexander Gauland, der Bundesregierung sei seit mindestens 2012 eine solche Konstellation, wie Deutschland sie gerade erlebt, bekannt gewesen. Wieso dennoch keine ausreichenden Vorsorgemaßnahmen eingeleitet wurden, wollte Gauland wissen. Die Frage wurde nicht beantwortet.

Unions-Fraktionschef lobt frühere Haushaltspolitik und erntet Kritik der FDP

Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU zog es vor, ein Argument zu wiederholen, das auch der Bundesfinanzminister zum Besten gegeben hatte, um die Rekordnettokreditaufnahme von 156 Milliarden Euro zu rechtfertigen:

„Wenn es sich ein Land leisten kann, dann ist es unser Land, weil wir auch vernünftig gewirtschaftet haben. Und deswegen werden wir das jetzt auch einsetzen, was wir uns erwirtschaftet haben, weil dafür macht man Haushaltspolitik, dass man auch in der Not das entsprechende Geld hat, um die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.“

Ein Zwischenruf: „Stimmt doch gar nicht!“, war nur sehr schlecht zu verstehen, aber er war sehr richtig. Denn nach der Darstellung von Brinkhaus müssten die 156 Milliarden ja auf irgendeinem Konto liegen, wenn sie denn erwirtschaftet wurden, weshalb es eigentlich keiner Neuverschuldung in dieser Höhe bedürfte. Aber nicht das ärgerte FDP-Chef Christian Lindner in seiner Erwiderung:

„Es war – Kollege Brinkhaus – nicht der Staat, der gut gewirtschaftet hat, es waren die Menschen, es war der Mittelstand, die gut gewirtschaftet haben.“

FDP fordert zeitliche Befristungen der Restriktionen und Ermächtigungen

Auch das stimmt nur bedingt, denn streng genommen waren es die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jene Politik in den letzten Jahren ertragen mussten, die unter dem Motto „Schwarze Null“ liefen. Diese Art Politik sollte noch einmal zur Sprache kommen. Zuvor aber mahnte Lindner, dass die Restriktionen, die den Bundesbürgern in den letzten Tagen auferlegt wurden eigentlich etwas sind, wozu die FDP nicht Ja sagen könne, denn der aktuelle Zustand widerspreche der menschlichen Natur, meinte Lindner unter anderem:

„Er passt nicht zu den Werten einer offenen Gesellschaft, er ist eine Gefahr für den sozialen Frieden, wenn schon in der allernächsten Zeit die Akzeptanz der Menschen sinken könnte. Er ist eine Gefahr für unser wirtschaftliches Leben, weil irgendwann der ökonomische Schaden irreparabel sein könnte. Mit dem heutigen Tag muss es deshalb darum gehen, diesen Zustand Schritt für Schritt aber so schnell wie möglich zu überwinden.“

Das mahnte auch Lindners Nachfolgerin am Rednerpult, die neue Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Amira Mohamad Ali an, die außerdem klarstellte, dass mit ihrer Partei weder Handyüberwachung noch dauerhafte Einschränkung von bürgerlichen Grundrechten zu machen sei. Das gelte auch für den Versuch der Bundesregierung, das Parlament zeitweise zu entmachten. Dem hatte zuvor schon Alexander Gauland eine Absage erteilt und auch FDP und Grüne lehnen diese die der großen Koalition ab, die von ihr mit flexiblerer und schnellerer Entscheidungsfähigkeit begründet wird.

Linkspartei sieht früheres „Spardiktat“ als mitursächlich für jetzige Probleme

Amira Mohamad Ali übte grundsätzliche Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung, indem sie frühere politische Grundsatzentscheidungen als mitverantwortlich für die heutigen Schwierigkeiten einstufte:

„Es war ein fataler Fehler, dass hier lokale Produktion abgebaut wurde und dass nicht genügend bevorratet wurde. Aber auch die Kürzungspolitik im Gesundheitswesen, das Spardiktat durch die Privatisierung der letzten Jahre, das war falsch. Gesundheit ist keine Ware, das muss spätestens, wirklich spätestens jetzt klar sein.“

Und natürlich durften bei einer Linksparteipolitikerin sozialpolitische Forderungen nicht fehlen:

„Es kann nicht sein, dass zum Beispiel Pflegerinnen und Pflegern, deren enorme Wichtigkeit für unsere Gesellschaft uns jetzt doch jeden Tag vor Augen geführt wird, dass die weiter zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Bitte entsprechen sie unserem entsprechenden Antrag.“

Auch die Grünen beklagen Ignoranz des Bundes gegenüber geringen Einkommen in der Pflege

Was nicht geschah, genauso wenig wie die beantragte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent des letzten Lohnes und eine Sonderabgabe für Milliardäre und Millionäre. Auch die bündnisgrüne Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt beklagte, dass die Großkoalitionäre eine deutliche Anhebung der Einkommen für medizinisches Pflegepersonal ignoriert haben, wozu auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag eingereicht hatte. Göring-Eckardt ist nicht die einzige die etwas bissig feststellt:

„Diese Heldinnen und Helden verdienen natürlich den Beifall auf den Balkonen, aber sie verdienen eben auch direkte Unterstützung und gute Bezahlung.“

Die CSU sieht Klärungsbedarf für heimische Produktion „kritischer Güter“

Sogar der frühere Bundesverkehrsminister und nunmehrige Landesgruppenchef der CSU innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Dobrindt, klang kurzzeitig, als habe er vergessen, Dank welchen Parteibuches er im Bundestag sitzt:

„Wir werden uns auch darüber unterhalten müssen, wie wir Produktion von kritischen Gütern wieder nach Deutschland und Europa zurückholen. Es ist falsch, dass nur eine Region auf der Welt für wichtigste Produktionsgüter für uns zuständig ist, meine Damen und Herren.“

Der Bundestag stimmte am Ende mit überdeutlicher Mehrheit für den Nachtragshaushalt und alle anderen korrespondierenden Gesetzesvorlagen, die zusammen als Corona-Hilfspaket in die deutsche Politikgeschichte eingehen werden. Die Zustimmung des Bundesrates am Freitag, für die Teile des Paketes, die zustimmungspflichtig sind, die also die Kompetenzen und Hoheitsrechte der Bundesländer tangieren, gilt allgemein als Formsache, sodass die finanziellen Hilfen und Bürokratieerleichterungen und alle anderen Maßnahmen in Rekordzeit die parlamentarischen Hürden überwunden haben werden.

sputniknews


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