Viel Zustimmung - und viel Frust

  27 März 2020    Gelesen: 739
Viel Zustimmung - und viel Frust

Die Abi-Püfungen sollen "wie geplant" stattfinden, sagen die Kultusminister. Sie feiern die "einstimmige Entscheidung", doch Lehrer- und Schülerschaft sind gespalten. Manch einer fordert nun Wahlmöglichkeiten.

Die Entscheidung der Kultusministerkonferenz, das Abitur 2020 vorerst "wie geplant" stattfinden zu lassen, hat bundesweit sehr gemischte Reaktionen hervorgerufen.

Zwei Abiturienten aus Hamburg hatten in einer Onlinepetition ein sogenanntes Durchschnittsabitur für alle Schülerinnen und Schüler des Abschlussjahrgangs 2020 gefordert, das ohne Prüfungen auf Basis der Vornoten vergeben wird. Innerhalb weniger Tage fanden sich im Netz mehr als 100.000 Unterstützer.

Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) konnte sich zunächst ebenfalls für diese Idee erwärmen und wollte in ihrem Bundesland die abschließenden Prüfungen ausfallen lassen - wurde dann aber von den anderen Kultusministern zurückgepfiffen.

In einer Telefonschalte am Mittwoch beschloss die Kultusministerkonferenz, die Prüfungen durchzuführen, "so weit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist".

Prien: Endlich Klarheit
Die Beteiligten feierten im Anschluss vor allem die Einstimmigkeit der Entscheidung - auch als Beweis dafür, dass der viel kritisierte deutsche Bildungsföderalismus nach so vielen Alleingängen einzelner Länder doch noch in der Lage zu sein scheint, gemeinsame Lösungen zu finden.

"Ich bin sehr froh, dass alle 16 Kultusminister sich heute auf das gemeinsame Ziel verständigt haben", kommentierte der bayerische Staatsminister für Kultus, Michael Piazolo (Freie Wähler). "Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Abschlüsse unter fairen Bedingungen erwerben können."

Seine Kollegin aus Baden-Württemberg, Susanne Eisenmann (CDU), sagte, sie sei froh, "dass Schleswig-Holstein von seinen bisherigen Plänen abgewichen ist".

Die Angesprochene, Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien, gab sich kleinlaut: "Nachdem mir heute Gesundheitsminister Heiner Garg mitgeteilt hat, dass es nach jetzigem Stand doch vertretbar sein dürfte, unter Einhaltung besonderer Regeln zum Infektionsschutz, Prüfungen in den Schulen stattfinden zu lassen, hat das Kabinett über den Beschluss der KMK beraten", erklärte Karin Prien am Mittwoch in einem Statement auf der Internetseite des Kieler Ministeriums. "Dabei konnten wir uns nach der Unklarheit der vergangenen Wochen endlich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen."

"Der Beschluss berücksichtigt auch, dass es gegenüber den Abiturienten der vorangegangenen und Folgejahrgänge schwer zu erklären ist, wenn jetzt ein ganzer Jahrgang ohne die schweren Abschlussprüfungen mit nur 66 Prozent der geforderten Leistungen ein gleichwertiges Abitur bekommt", sagt der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD). Das sei auch deshalb problematisch, weil in normalen Jahrgängen in der Regel mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler das Abitur nicht bestünden, weil sie in den Abiturprüfungen durchfielen.

Gewerkschaften zwiegespalten
Lehrervertreter stehen der Entscheidung zwiespältig gegenüber. "Es muss zwingend gewährleistet bleiben, dass wir in Deutschland durch unterschiedliche Verfahren einzelner Bundesländer kein A-, B- oder C-Abitur schaffen", sagt Udo Beck, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). "Alles andere wäre fahrlässig und würde den Abschlussjahrgängen die Zukunftschancen verbauen." Das gelte auch für die mittleren oder beruflichen Abschlüsse.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte ein Abitur ohne Prüfungen zuvor für möglich gehalten, als eine von mehreren Lösungen. "Eine Ausnahmesituation wie die Coronakrise verlangt besondere Regelungen", sagte die Vorsitzende Ilka Hoffmann. "Der Großteil der Punkte, die in die Abiturnote einfließen, wurde ja schon in den Kursen in der Oberstufe erworben."

Manche Schüler sind zufrieden, andere frustriert
Kritik kommt vor allem von den Betroffenen selbst. In den sozialen Medien machen zahlreiche Abiturienten ihrem Ärger Luft, einige wandten sich auch an den SPIEGEL. "Ich finde, das Durchschnittsabitur ist die bis jetzt beste und gerechteste Lösung", schreibt ein 17-jähriger Abiturient aus Bayern. Seine Schule sei seit drei Wochen geschlossen, er selbst habe deshalb fünf große Klausuren bisher nicht schreiben können. Er halte die Entscheidung, das Abitur stattfinden zu lassen, für "extrem unfair, rücksichtslos und vielleicht sogar fahrlässig".

"Das ist ein unzumutbarer Plan", schreiben zwei Abiturienten aus Dortmund. Auch bei Ihnen sei wichtiger Unterricht ausgefallen, Bibliotheken seien nicht zugänglich, an fokussiertes Lernen, möglicherweise auch in Lerngruppen, sei nicht zu denken. Hinzu komme die soziale Isolation, der Ausgleich zum Lernen fehle. "Momentan ist ein ausgewogener Lebensstil, der für eine gute Abiturvorbereitung notwendig ist, kaum möglich."

Schülervertreter aus Nordrhein-Westfalen fordern, Abiturienten sollten selbst entscheiden dürfen, ob sie zu den Prüfungen antreten oder lieber ein Durchschnittsabitur verliehen bekommen wollten. "Beide Entscheidungen müssen dabei gleichwertig behandelt werden." Der Unterrichtsausfall in den vergangenen drei Wochen vor den Osterferien habe dazu geführt, dass teilweise nicht einmal alle obligatorischen Unterrichtsinhalte behandelt werden konnten.

Die Vorsitzende der Landesschülervertretung in Thüringen, Selma Konrad, findet die Entscheidung der Kultusminister hingegen richtig: "Wir brauchen diese bundesweit einheitliche Lösung und sind froh darüber." Es wäre aus Sicht der Schüler ungerecht gewesen, wenn die Abi-Prüfungen in einem Bundesland ausgefallen wären und in einem anderen nicht. "Damit wäre das Abitur noch uneinheitlicher geworden", sagte die 17-Jährige, die in diesem Jahr selbst die Prüfungen ablegen möchte.

spiegel


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