75 Jahre Kriegsende in Russland

  09 Mai 2020    Gelesen: 1745
  75 Jahre Kriegsende in Russland

Eine neue Armee-Kathedrale bei Moskau soll die Russen an den Sieg über Hitler-Deutschland erinnern. Wandmosaiken mit Wladimir Putin und Josef Stalin haben für Entrüstung gesorgt - und mussten entfernt werden.

Im Westen Moskaus liegt der Freizeitpark der russischen Armee - ein großes Gelände, auf dem man Panzer anschauen, Paintball spielen oder das Zerlegen von Kalaschnikows üben kann. Die größte Attraktion allerdings wird erst noch eröffnet: Es ist die neue Kathedrale der russischen Streitkräfte – ein Gebäude, das zugleich Christi Auferstehung und dem Sieg 1945 gewidmet ist.

Ihre Einweihung, geplant für diese Woche, musste wegen des Coronavirus verschoben werden, so wie die Parade auf dem Roten Platz. Umso größer ist der Streit, den die Kirche jetzt schon ausgelöst hat, nachdem bekannt wurde, dass Präsident Wladimir Putin und Josef Stalin auf Wandmosaiken auftauchten.

Die Idee zum Bau stammt von Verteidigungsminister Sergej Schojgu, der 2018 zusammen mit Putin den Grundstein legte. Auch die ungewöhnliche Gestaltung geht zum Teil auf ihn zurück. Die Kirche ist von außen in militärischem Grüngrau gehalten, die Deckengewölbe sind verglast und mit militärischen Orden verziert.

Sowjetstern, Hammer und Sichel leuchten deshalb neben dem großen Christusgesicht in der Hauptkuppel. In die gusseisernen Treppenstufen hat Schojgu deutsche Beutewaffen einschmelzen lassen, damit man "über die Waffen des besiegten Feindes" schreite.

Finanziert wird die Kirche offiziell aus Spenden, faktisch auch aus Mitteln des Staates und staatlicher Rüstungsfirmen. Putin selbst stiftete die Ikone - ein Christusbild. Es ist die Hauptikone der russischen Streitkräfte, zur Verehrung wurde sie auf vielen Armeestützpunkten im In- und Ausland ausgestellt.

Die Wandmosaiken, so erklärt es der für die künstlerische Leitung zuständige Priester Leonid Kalinin, folgen einer Leitidee: "Dass Gott in allen Siegen Russlands anwesend ist, seit es Russland gibt." So sieht man die Gottesmutter, wie sie 1941 Moskau vor den Deutschen schützt, 1942 in Stalingrad eingreift, 1943 in die Panzerschlacht bei Kursk. Die Darstellung führt über die Militäreinsätze in Afghanistan, Korea, Vietnam und Syrien bis in die Gegenwart, verrät der Mosaikkünstler Wasilij Nesterenko – "und das stets in kirchlicher Sprache – man kann ja in der Kirche nicht alles abbilden."

Das ist der Punkt: Was kann man abbilden? Zwei für die Westwand hergestellte Mosaiken zeigen Wladimir Putin und den Diktator Josef Stalin, auch sie unter dem gnädigen Blick der Madonna. Stalin erscheint als politisches Transparent, das jubelnde Massen bei der Siegesfeier 1945 vor der Basiliuskathedrale tragen. Gegenüber feiert Putin unter fröhlichen Frauen und maskierten Soldaten den Anschluss der Krim an Russland 2014. An seiner Seite steht Russlands politische Elite: Schojgu, die Chefs vom Geheimdienst FSB, Armee und Sicherheitsrat, aber auch Außenminister Sergej Lawrow und die Vorsitzende des Oberhauses. So konnte man es auf Fotos erkennen, die zu Nesterenkos Ärger aus seiner Werkstatt geleakt wurden.

Die Entrüstung war groß. Das Mosaik wurde zurückgezogen. Putin ließ von seinem Sprecher einen sanften Tadel ausdrücken: "Irgendwann werden dankbare Nachfahren unsere Verdienste anerkennen, aber jetzt ist es dafür noch zu früh". Die Politiker werden nun angeblich durch Mönche ersetzt, die den Anschluss der Krim feiern.

Und auch Stalin wird nach Kalinins Worten entfernt. Seine Abbildung ist, theologisch betrachtet, der weit größere Tabubruch. Mosaikautor Nesterenko sagt zwar, Stalin abbilden heiße nicht, ihn zu verehren: "Wenn man das Abendmahl abbildet, ist ja auch Judas zu sehen." Aber natürlich ist Stalin nicht als Verräter, sondern als siegreicher Oberkommandierender auf das Mosaik geraten. Und die Armeeführung verehrt ihn ganz offen. "Warum sollen wir uns seiner schämen?", fragte Vizeverteidigungsminister Andrej Kartapolow diese Woche in der "Komsomolskaja Prawda". Stalin habe "alle Härten des Krieges selbst durchgemacht, die wichtigsten Entscheidungen verantwortet."

Aber bei allen Sympathien, die Stalin im Volk, in der Armee und sogar unter einigen Priestern genießt - seine Darstellung im Kirchenraum war bisher für die Kirchenführung tabu. "Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit, ihn in einer Kirche abzubilden: Als Sünder in der Hölle", sagt der liberale Theologe Sergej Tschapnin. Aber leider verstehe sich die russische Kirche längst als Kirche des wiederauferstandenen russischen Imperiums – und in dieser Logik seien Stalin und Putin so unverzichtbar wie Nikolaus II., der letzte Zar: "Sie stehen für die Kontinuität des Imperiums."

Armee und Kirche argumentierten, es sei durchaus üblich, Kirchen zur Erinnerung an Siege zu errichten - etwa an den Sieg über Napoleon. "Aber früher richtete sich das Gedenken auf die Gefallenen. Jetzt richtet es sich auf den militärischen Triumph selbst. Es wäre ehrlicher, diese Kirche dem Kriegsgott Mars zu weihen", sagt Tschapnin.

Vater Andrej Kurajew, Verfasser eines viel benutzten Religionsschulbuches und mittlerweile ein scharfer Kritiker der Kirchenspitze, nennt den neuen Kirchenbau "ein Symbol unserer Epoche und Zeugnis einer neuen Religion." Er meint damit: Russlands neue staatliche Ideologie, eine "Zivilreligion", in der Putin als Erbe des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg eingesetzt wird. Christi Auferstehung und Russlands Auferstehung sind am Ende doch nicht ein- und dasselbe.

spiegel


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