Ein "neues Qualitätsniveau", "Forschung von Weltrang", "Deutschland als internationales Vorbild": Als Roche Anfang Mai seinen neuen Corona-Antikörpertest vorstellte, waren Politiker und der Schweizer Pharmakonzern voll des Lobes füreinander. Die Besetzung der Pressekonferenz war hochkarätig: Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz bekam Schützenhilfe von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt.
Die Bundesregierung hat Deutschland allein für Mai drei Millionen Kits gesichert, die teilweise bereits in Benutzung sind. In den kommenden Monaten hat Roche sogar jeweils fünf Millionen zugesagt. Die Tests sollen klären, wie viele Menschen sich mit dem Coronavirus infiziert haben und nun möglicherweise immun sind.
Diese Kennziffer ist entscheidend für das Weiterleben in der Pandemie: Von welchen Pflegern und Ärztinnen geht keine Gefahr mehr aus? Wer darf wieder bei Konzerten tanzen? Wann ist die Pandemie vorbei? Ohne Antikörpertests lassen sich solche Fragen nur schwer beantworten.
Doch wie der Roche-Test genau überprüft wurde, bleibt vorerst ein Geheimnis. Und: Bei der Entscheidung über von Spahn ins Spiel gebrachte Corona-Immunitätsausweise könnte sich der Test als ungeeignet erweisen.
Antikörpertests weisen nicht direkt das Coronavirus nach, sondern die Reaktion des Körpers auf eine Infektion und schlagen erst Wochen nach den ersten Symptomen zuverlässig an. Sie sind deshalb nicht geeignet, um festzustellen, ob jemand in der Sekunde des Tests krank ist, sondern, ob derjenige die Krankheit überstanden hat. Wie Antikörpertests funktionieren:
Das Problem: Die Hersteller können diese Tests noch bis 2022 im Alleingang zulassen, eine unabhängige Überprüfung ist in der EU nicht vorgeschrieben. Die Regelung gilt auch für andere Medizinprodukte wie Herzschrittmacher oder Implantate und steht schon lange in der Kritik.
Es ist deshalb nicht sicher, wie gut die verfügbaren Antikörpertests sind. Besonders Schnelltests, die ähnlich funktionieren wie ein Schwangerschaftstest, sind unzuverlässig und reagieren häufig auch auf andere Coronaviren, die Erkältungen hervorrufen können.
Der Test von Roche erfordert dagegen ein Labor. Eine Zuverlässigkeitsgarantie gibt es jedoch auch für solche Verfahren nicht. US-Forscher haben vor Kurzem 14 verfügbare Antikörpertests überprüft - darunter Schnell- und Labortests – nur drei von ihnen konnten überzeugen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bietet Herstellern an, ihre Tests einer freiwilligen Prüfung zu unterziehen. Das Produkt von Roche ist bisher nicht dabei.
Wer wissen will, wie gut der Test ist, muss sich deshalb vor allem auf die Herstellerangaben verlassen.
Roche hat nach eigenen Angaben das Verfahren an mehr als 5200 Proben analysiert. Ergebnis: Der Test könne zuverlässig zwischen dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 und den vier anderen Coronaviren unterscheiden, die beim Menschen Erkältungen verursachen können.
Nur in etwa 0,2 Prozent der Fälle verwechsele der Test eine Sars-CoV-2-Infektion mit einer anderen Erkrankung und liefere ein sogenanntes falsch-positives Ergebnis. Das heißt: In etwa zwei von tausend Fällen bekommt ein Getesteter die Nachricht, eine Infektion mit dem Coronavirus durchgemacht zu haben, obwohl das gar nicht stimmt.
Unabhängige Prüfung bestätigt Roche-Angaben
In einem weiteren Schritt will Roche überprüft haben, ob auch der umgekehrte Fall vorkommt und der Test nicht anschlägt, obwohl der Betroffene infiziert war. Dafür analysierten Forscher nach eigenen Angaben 29 Proben von Patienten, die mindestens 14 Tage zuvor positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden und damit sicher infiziert waren. Bei dem Versuch lag der Test demnach zu 100 Prozent richtig. Nach der Markteinführung habe Roche den Test mit 156 weiteren Proben wiederholt, hieß es. Bei einer der Proben sei das Ergebnis zunächst fälschlicherweise negativ gewesen. Erst zwei Tage später erkannte der Test demnach die Antikörper.
Wenn die Werte von Roche stimmen, sind die Tests zuverlässiger als viele andere Verfahren. Allerdings lässt sich das kaum unabhängig prüfen, der genaue Studienaufbau ist nicht öffentlich. Roche habe mit den renommiertesten Institutionen zusammengearbeitet, versicherte Thomas Schinecker, CEO von Roche Diagnostics, bei der Präsentation des Tests, nannte jedoch auch auf Nachfrage keine Namen. Auf Anfrage des SPIEGEL teilte Roche mit, die wissenschaftlichen Daten veröffentlichen zu wollen. "Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen für eine Publikation", hieß es.
Eine erste unabhängige Untersuchung des staatlichen Gesundheitsdiensts Großbritanniens vom Dienstag bestätigt die Angaben von Roche. Allerdings konnte der Test – ähnlich wie andere Verfahren – eine überstandene Infektion erst 40 Tage nach dem Auftreten erster Symptome zu 100 Prozent nachweisen.
Geht es nach Gesundheitsminister Spahn, soll jeder den Roche-Test machen können, wenn es die Kapazitäten zulassen. Tatsächlich geht der Test schnell, die Analyse selbst dauert nur 18 Minuten, Kits können in großer Stückzahl geliefert werden, die meisten Labors haben zudem die für die Auswertung nötigen Geräte.
"Mit dem Roche-Test können wir noch am selben Tag ein Ergebnis liefern", sagte Josef van Helden vom Labor Stein in Mönchengladbach dem SPIEGEL. Bei anderen Antikörpertests müssen die Labors erst warten, bis sie genügend Proben haben, damit sich eine Auswertung lohnt. Bei dem Roche-Test kann die Analyse einzeln durchgeführt werden. Ein Gerät schafft bis zu 300 Tests in der Stunde. Werden mehrere Anlagen zusammengeschaltet, steigt die Arbeitsleistung auf mehrere Tausend Tests pro Stunde.
spiegel
Tags: