Aus einer Drohung in den sozialen Medien wurde schnell ein Regierungsakt gegen die sozialen Medien: Er und seine Republikaner würden Social-Media-Plattformen "stark regulieren oder schließen", weil diese angeblich konservative Stimmen unterdrückten, twitterte Donald Trump am Mittwoch. Einen Tag später unterzeichnete er eine Verfügung, die den Haftungsschutz von Konzernen wie Twitter und Facebook aufweichen soll.
Hintergrund ist ein Streit zwischen dem US-Präsidenten und Twitter. Die Plattform hatte jüngst erstmals eine Kurzbotschaft Trumps einem Faktencheck unterzogen. Dieser warf dem Unternehmen daraufhin vor, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschneiden und zu versuchen, Einfluss auf die Präsidentschaftswahl im November zu nehmen.
Das nun unterzeichnete Dekret sieht eine stärkere Regulierung von Social-Media-Konzernen durch Behörden vor. Doch Experten bezweifeln, dass die Verfügung rechtlich stichhaltig ist und überhaupt Folgen für die Unternehmen haben wird. Er selbst rechne mit rechtlichen Schritten gegen die Verfügung, sagte auch Trump.
Artikel 230 und die freie Meinungsäußerung im Internet
Das Dekret zielt in erster Linie auf Artikel 230 des Communications Decency Acts ab, ein Gesetz aus dem Jahr 1996. Die Regelung gilt als Grundstein der freien Meinungsäußerung im Internet. Sie stuft Onlinedienste wie Twitter und Facebook als Plattformen ein, nicht als Verlage. Die Konzerne haften deshalb grundsätzlich nicht für die Inhalte, die ihre Nutzer veröffentlichen. Als Plattformen können sie hingegen gegen einzelne Inhalte und Nutzer vorgehen.
Der Schutz, den die Regelung den Konzernen bietet, ist seit längerem Gegenstand von Kritik aus beiden politischen Lagern: Demokraten warfen Twitter und Facebook in der Vergangenheit vor, nicht genug gegen Hetze und Hassbotschaften zu tun. Manche Republikaner hingegen behaupten, die Unternehmen würde konservative Stimmen unterdrücken.
Trumps Dekret knüpft daran an. Faktenchecks durch soziale Medien seien "redaktionelle Entscheidungen" und "politischer Aktivismus", begründete der Präsident seine Entscheidung. In solchen Moment hörten Dienste wie Twitter auf, neutrale Plattformen zu sein und würden zu Verlagen mit eigener Sichtweise. Sie müssten dann auch wie solche haften.
Die Verfügung zielt nun auf eine Neuauslegung der Regelung ab. Doch eine Vielzahl von Rechtsexperten äußerte umgehend Zweifel am Vorgehen der Trump-Regierung. Diese ändere ganz grundlegend die Interpretation eines vom Kongress verabschiedeten Gesetzes und überschreite damit ihre Befugnis.
Das Dekret sei "zu 95 Prozent politische Rhetorik und Theater", sagte Daphne Keller, Expertin für Internetrecht an der Standford Law School, der "New York Times". Es habe keine rechtliche Wirkung und stehe im Widerspruch zur Linie der Gerichte.
Diese legten Artikel 230 über die Jahre weit aus und sprachen Internetdiensten breite Immunität zu. Juristen rechnen deshalb mit Prozessen gegen Trumps Verfügung sowie damit, dass sie vor Gericht nicht standhält.
Laut Kate Ruane, Juristin der Bürgerrechtsorganisation ACLU, profitiert Trump selbst vom Haftungsprivileg der Konzerne: "Wären die Plattformen nach dem Gesetz nicht immun, würden sie nie das rechtliche Risiko eingehen, das mit Trumps Lügen, Verleumdungen und Drohungen einhergeht".
Manch ein Experte vermutet daher, dass Trump mit der Verfügung etwas anderes bezweckt. Rechtlich könne der Präsident nicht viel ausrichten, sagt der Yale-Professor Jack Balkin. Trump gehe es vielmehr darum, ungefiltert Lügen herausposaunen zu können. Er übe deshalb Druck auf die Plattformen aus. "Er droht und umschmeichelt mit dem Ziel, dass diese Leute in ihren Vorstandszimmern zweimal darüber nachdenken, was sie tun, so dass sie ihn nicht antasten werden."
Sollte es Trump wirklich darum gehen, Social-Media-Konzerne einzuschüchtern, hat es jedenfalls im Fall Twitter fürs Erste nicht funktioniert. Nur Stunden nach der Unterzeichnung des Dekrets markierte der Kurznachrichtendienst erneut einen Tweet des Präsidenten - diesmal mit einem Warnhinweis. Eine Nachricht von Trump zu den Ausschreitungen in der Stadt Minneapolis nach dem Tod eines Afroamerikaners sei gewaltverherrlichend, heißt es dort. Zunächst ist nur der Warnhinweis sichtbar, zum Tweet des Präsidenten muss man sich durchklicken. Die Konfrontation zwischen Trump und Twitter geht weiter.
spiegel
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