Die Bundesliga ist ja doch systemrelevant

  08 Juni 2020    Gelesen: 903
  Die Bundesliga ist ja doch systemrelevant

Die Fußball-Bundesliga startet in die entscheidende Phase der Saison. Dass sie das tun darf, ist umstritten, die Geisterspiele machen niemandem Spaß und Ende Juni wird es Tränen geben. Und doch kann die Liga begeistern. Das ist überraschend und macht Hoffnung.

1. Die Liga begeistert

Viel Kritik gab es in den letzten Wochen an der Fußball-Bundesliga und ihren Protagonisten, auch von uns. Die moralischen Implikationen des schnellen Restarts wurden thematisiert. Manche Spieler haben ihre Social-Media-Reichweite vor allem dafür eingesetzt, die Entrückung des Fußballs aus der Mitte der Gesellschaft zu dokumentieren. Das viele Geld, so schien es, hat sie alle korrumpiert. Sprach man von der und über die Bundesliga, gab es viel Kopfschütteln. Am 30. Spieltag aber hat sich ein bisschen was gedreht: Viele Tore wurden kniend gefeiert, in manchen Stadien verabredete man sich gleich zum gemeinsamen Protest vor dem Anpfiff.

Die Aktion war - das gaben die Trainer zu Protokoll - nicht von oben vorgegeben, sie war erfrischend wenig durchchoreografiert. Mal knieten nur die Spieler, andernorts auch die Bank und das Schiedsrichtergespann. Mal wärmten sich die Teams in Shirts mit Anti-Rassismus-Botschaften auf, mal nicht und mal nur einzelne Spieler. Das macht den Protest authentischer, als abgelesene Anti-Rassismus-Statements der weißen Mannschaftskapitäne. Es gab keinen gemeinsamen Hashtag, es gab kein gemeinsames Motto, es gab keine einheitliche Sprachregelung. Es ist offenbar wirklich so gemeint. Es ging um die Sache und das durfte jeder ausdrücken, wie er wollte.

"Wir verurteilen Rassismus jeglicher Art", hatte BVB-Torhüter Bürki bereits unter der Woche bei Instagram geschrieben und für eine "offene und tolerante, eine bessere Welt" geworben. Auch der FC Bayern fand die richtigen Worte: "Mannschaftsintern haben wir das Thema besprochen. Uns war es auch wichtig, ein Zeichen zu setzen", meinte Jérôme Boateng. "Die Botschaft gibt es ja permanent von uns Spielern. Wir sind tolerant, wir sind offen, wir sind weltoffen", sagte Bayerns Kapitän Manuel Neuer: "Wir sehen keinen Zwischenraum, um da Platz zu lassen. Das haben wir ganz klar dokumentiert."

Neuers Teamkollege Serge Gnabry lief mit einer schwarzen Binde mit der Aufschrift "Black Lives Matter auf". "Das sind Werte, die wir haben. Da gibt es für mich keine andere Haltung", sagte der Mainzer Sportvorstand Rouven Schröder über Kunde Malong, der seinen Treffer zum 2:0 bei Eintracht Frankfurt per Kniefall bejubelt hatte. "Als Schwarze haben wir genug Ungerechtigkeiten erlitten, und wir müssen zusammenarbeiten, um dagegen anzukämpfen", schrieb Malong selbst auf Instagram.

Die Spieler nutzten die Aufmerksamkeit, die der Bundesliga derzeit weltweit zuteil wird, um klare Botschaften zu senden. DFL und DFB lassen es zu. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes hatte am Mittwoch bekannt gegeben, auf Verfahren zu verzichten, obwohl laut Statut politische Äußerungen auf dem Spielfeld untersagt sind. Im konkreten Fall handele es sich aber "um gezielte Anti-Rassismus-Aktionen der Spieler, die sich damit für Werte starkmachen, für die der DFB ebenfalls steht und immer eintritt", hatte Anton Nachreiner, der Vorsitzende des Kontrollausschusses, die Entscheidung begründet und angekündigt: "Daher werden keine Verfahren eingeleitet, auch bei vergleichbaren Anti-Rassismus-Aktionen in den nächsten Wochen nicht."

Man bekommt den Eindruck: Die Bundesliga bewegt sich doch noch in einer irdischen Umlaufbahn. Florian Kohfeldt, Trainer des arg abstiegsbedrohten SV Werder fand nach einer ganz bitteren Niederlage mal wieder passende Worte: "Ich glaube, dass das unter den Spielern besprochen wurde. Ich finde, es sind sehr gute Zeichen, die die Fußballer da insgesamt senden, die ja auch in den letzten Monaten teilweise sozialkritisch betrachtet wurden. Es ist das Schlimme daran, dass man solche Zeichen setzen muss. Ich glaube, es hat jeder unsere Warm-up-Shirts gesehen und auch die anderen Zeichen in der Bundesliga dieses Wochenende. Ich glaube, das ist eine glasklare Positionierung in dieser Frage und die sollte auch niemals infrage stehen." Gut gemacht, Bundesliga.

2. Bitte keine Ruhe bei den Geisterspielen!

Die vielleicht absurdeste Diskussion des 30. Spieltags wurde schon vor dem Anpfiff geführt: Das Bank-Personal des SV Werder Bremen stört die gespenstische Geisterspielatmosphäre durch zu viel "Radau und Tohuwabohu". So sagte es Oliver Glasner vor dem Gastspiel seines VfL Wolfsburg an der Weser. Adi Hütter, Trainer von Eintracht Frankfurt, hatte unter der Woche nach dem 3:0-Auswärtssieg in Bremen moniert, dass es unsportlich sei, "bei jeder Entscheidung hochzuspringen", und gesagt: "Das hat etwas mit Respekt zu tun." Glasner formulierte es so: Werder würde "alles versuchen, um es dem Gegner so schwer wie möglich" zu machen. "Auf dem Platz und auch abseits des Platzes." Und dann wurde es etwas abenteuerlich: "Gerade Werder Bremen hat während der Coronapause sehr häufig von Solidarität gesprochen", sagte Glasner. "Deshalb wäre es jetzt auch ein Zeichen der Solidarität, die Atmosphäre in den Stadien nicht zu den eigenen Gunsten auszunutzen."

Erinnern wir uns daran: Durch die Geisterspiele sind die Heimteams ihres Heimvorteils weitestgehend beraubt, sie werden für etwas bestraft, für das sie nichts können. In Bremen kompensieren sie das kurios: Gegen Wolfsburg saß Physio Claas Bente auf der Tribüne und bearbeite dort beinahe durchgängig mit einem mächtigen Hammer einen Metallkoffer. Und erzeugte mächtig Krach. Ein Ein-Mann-Fanblock. Werders Sport-Chef Frank Baumann hatte die Diskussion im Vorfeld einigermaßen empört eingeordnet: "Wir würden vor einem Spiel gegen Borussia Dortmund auch nicht darum bitten, dass die Südtribüne leise sein soll. Wir pushen unsere Mannschaft so, wie sie es in der besonderen Situation benötigt", sagte Baumann. "Das zu kritisieren ist abenteuerlich und ein Stück weit absurd."

Werder Bremen steht seit Monaten am Abgrund, das rettende Ufer entfernt sich immer weiter. Spieler und Verantwortliche stehen unter gewaltigem Druck - und es wird kritisiert, dass man sich mit Engagement gegen den Abstieg wehrt? Also bitte, Bundesliga. Immerhin ruderte wenigstens Glasner nach dem Auswärtssieg zurück: "Wenn ich das im Vorfeld kritisch angesprochen habe, muss ich heute, wo ich es erlebt habe, sagen, dass es absolut fair und vorbildlich war", sagte er.

3. 100 Millionen Euro, alles ganz normal

Über 50 Millionen Euro wird der offenbar bevorstehende Transfer von Stürmer Timo Werner RB Leipzig in Kürze in die Kassen spülen. Das ist ein schöner Erlös, auch wenn diverse Millionen direkt an Werners Ausbildungsverein VfB Stuttgart weitergereicht werden müssen. Überweisungen von Transfersummen sind, da wird kein Fußballfan die Augenbrauen lüften, völlig übliche Transaktionen im Fußballgeschäft.

Wie die interessierte Fußball-Öffentlichkeit am Wochenende lernen durfte, ist auch ein Schuldenerlass in gewaltiger Millionenhöhe "eine Transaktion, die völlig üblich ist, insbesondere in der freien Wirtschaft, aber auch [...] in der Bundesliga". So kommentiert RBs Finanzdirektor Florian Hopp einen Schuldenerlass in Höhe von 100 Millionen Euro, den Red Bull seiner Fußball-Filiale für das Geschäftsjahr 2018/2019 gewährt. Ein Geschenk sei das viele Geld aber keinesfalls, denn "dann würde auch Schenkungssteuer anfallen, was nicht der Fall ist. Darüber hinaus bekommt Red Bull seinen Zinsverlust in Form einer Vorzugsdividende ausgeglichen."

Man habe ja jetzt auch nicht auf einmal 100 Millionen Euro mehr auf dem Konto. Aber immerhin sind es 100 Millionen Euro weniger weniger. "Es geht jetzt darum, den Klub nach zehn erfolgreichen Jahren auch für die kommenden Jahre und Ziele handlungsfähig und krisenfest zu machen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen im Fußball aufgrund der Corona-Krise hat sich diese Entscheidung – unerwartet kurzfristig – als absolut richtig herausgestellt", sagte RB-Vorstandsvorsitzender Oliver Mintzlaff der "Bild"-Zeitung. Alles ganz normal eben.

4. Wer 1:0 führt, hat ein Problem ...

... zumindest wenn er Fortuna Düsseldorf ist. Sage und schreibe zehn Mal konnten die im Abstiegssumpf steckenden Rheinländer eine Führung nicht zu einem Sieg veredeln, 24 Punkte hat das Team von Uwe Rösler schon verspielt. Der haderte nach dem 2:2 gegen die TSG Hoffenheim ausgesprochen offen mit seiner Truppe: "Wir gehen 1:0 in Führung und dann geben wir das Spiel her, das eigentlich in unserer Hand lag. Wir waren dann auf einmal anfällig und haben Sachen gemacht, die wir nicht besprochen haben." Nach einer absurden, eher empörenden Roten Karte gegen Hoffenheims Innenverteidiger Benjamin Hübner, durfte Fortuna sogar mehr als 80 Minuten in Überzahl spielen. Warum noch nicht einmal das gereicht hat? "Wir sind Fortuna Düsseldorf", sagte Rösler überzeugend. Und erklärte etwas genauer: "Natürlich haben wir einen Mann mehr, aber wir spielen auch gegen eine sehr hohe Qualität. Wenn du ein Mann mehr bist, musst du einfach spielen."

In dieser Saison führte Fortuna schon 3:0 gegen Hertha BSC und bis kurz vor Schluss 2:0 gegen den 1. FC Köln - beide Male reichte es nicht für einen Sieg. Und deshalb wird es langsam finster: "Jetzt kommen Gegner, gegen die wir in der Hinrunde nicht den Hauch einer Chance hatten", weiß Torjäger Rouwen Hennings. 0:5 und 0:3 wurden die Düsseldorfer von Borussia Dortmund und RB Leipzig da abgewatscht. Die gute Nachricht: Es ist eher unwahrscheinlich, dass Düsseldorf zweimal in Führung geht.

5. Der harmlos faszinierende SC Paderborn

Es klingt verrückt, aber: Der SC Paderborn ist Deutschlands aufregendster Fußballklub. Also vorausgesetzt, sie fahren in ihrer Freizeit gerne Fahrstuhl. Sieben Jahre ist es her, dass Paderborn am Saisonende weder auf einem Aufstiegs- noch einem Abstiegsplatz stand. Damals, im Mai 2013, beendeten die Ostwestfalen das Spieljahr auf Platz zwölf der zweiten Liga. Seitdem: Aufstieg in die Bundesliga 2014, Abstieg in die 2. Liga 2015, Abstieg in die 3. Liga 2016, Abstieg in die 4. Liga 2017, den nur der Lizenzentzug für den TSV 1860 München verhinderte. Statt sich durch die Regionalliga West quälen zu müssen, stieg Paderborn 2018 in die 2. Liga auf, 2019 folgte der erneute sensationelle Sprung in die Eliteklasse. Nach dem 30. Spieltag fehlen elf Punkte auf das rettende Ufer, zwölf sind maximal noch zu holen, zum Relegationsplatz fehlen acht Zähler.

Dabei hat Bayer Leverkusen seit dem Restart mehr Spiele verloren als die Mannschaft von Trainer Steffen Baumgart. Aber vier Unentschieden aus fünf Nach-Corona-Partien sind zu wenig, um erstmals seit sieben Jahren wieder sportlich die Klasse zu halten. Was dem SCP fehlt, ist ein Stürmer. Augsburg, Union Berlin, Mainz und Düsseldorf haben allesamt mindestens einen Stürmer im Kader, der elf Tore oder mehr erzielt hat. Paderborn erhält zwar weiterhin regelmäßig Lob für die mutige Spielanlage, doch es fehlt der Zielspieler. Streli Mamba und Dennis Srbeny trafen je fünfmal, auch das macht im Kampf um den Ligaverbleib den Unterschied. Das spürt auch der Tabellen-17. SV Werder Bremen, dessen treffsicherster Schütze Milot Rashica mit sieben Saisontoren ist und der, wie Schlusslicht Paderborn, der Zweitklassigkeit bedrohlich nahe kommt.

Quelle: ntv.de


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