"Wollen wir nicht sehen" - Video

  12 Juni 2020    Gelesen: 1025
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Rassismusverdacht bestimmt zurzeit das Programm. „Vom Winde verweht“ fliegt von einer amerikanischen Plattform, bei der BBC erwischt es die Comedy „Little Britain“. Man sollte nur genau hinschauen, was man aus welchen Gründen bannt.

Es gibt einen neuen, internationalen Programmdirektor. Er hört auf den Namen „Antirassismus“. Er hat dafür gesorgt, dass das gerade gestartete Streamingportal „HBO Max“ das Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ einstweilen in den Giftschrank stellt. Der Kabelsender „Paramount Network“ stellt die Reality-Serie „Cops“ ein, die Polizeibeamte bei Einsätzen begleitet. Die Serie lief seit 1989. Der Privatsender A+E hat seine gleichartige Reality-Serie „Live PD“ ausgesetzt. In Großbritannien hat es die Comedy-Serie „Little Britain“ von Matt Lucas und David Walliams erwischt. Sie lief Anfang der zweitausender Jahre im Radio der BBC, von 2003 bis 2006 im Fernsehen, wird von diversen Sendern dauerwiederholt, ist jetzt aber wegen „Blackfacing“ aus dem Angebot von Netflix, der Plattform BritBox und dem BBC iPlayer geflogen.

Der Grund für den Bann ist in allen Fällen derselbe. Es geht um rassistische Vorurteile, die angeblich geschürt werden, um fehlende Sensibilität, um Verniedlichung von Polizeigewalt; im Fall von „Vom Winde verweht“ um Verharmlosung der Sklaverei. Ruft man sich den vier Stunden langen, mit zehn Oscars prämierten Film aus dem Jahr 1939 in Erinnerung, dürfte einem das Plädoyer des Autors und Produzenten John Ridley, der 2014 für sein Drehbuch zu „12 Years a Slave“ einen Oscar gewann, in der „Los Angeles Times“ plausibel erscheinen. Der Film verherrliche die Südstaaten vor dem Bürgerkrieg, schreibt Ridley. Wenn er „nicht gerade den Schrecken der Sklaverei“ ignoriere, gefalle er sich darin, „einige der schmerzhaftesten Stereotype über ,People of Color‘ zu verstetigen“. Deshalb möge HBO den Film einstweilen zurückziehen und erst mit einer diskursiven Einbettung wieder zeigen. Genauso will es das zu Warner Media zählende Unternehmen halten. Eine Rassismus-Debatte hätte das neue Portal „HBO Max“ auch sicherlich nicht gebrauchen können.

Der Fall der BBC-Comedy liegt etwas anders. „Little Britain“ ist eine derbe Comedy, die vermeintliche „Britishness“ in vielerlei Hinsicht aufs Korn nimmt und vor Geschmacksgrenzen nicht anhält. Sie macht vor Witzen über Mehrheit und Minderheiten nicht halt, nicht vor Zuwanderern, nicht vor Männern in Frauenkleidern und nicht vor denen, die sich moralisch höhergestellt dünken. Das vollzieht sich in Sketchen, von denen Matt Lucas, einer der beiden Comedians, vor Jahren schon sagte, dass er sie heute so brutalistisch nicht mehr anlegen würde.

Ginge es hier nur um Sender mit einem linearen Programm, wäre die Sache leicht geregelt: Gezeigt wird, was dem Zeitgeist entspricht und Publikum holt. Bei Streamingportalen hingegen ist alles zu sehen – das Programm von heute, gestern und vorvorgestern. Darüber nachzudenken, was da alles im Regal steht, erscheint nicht nur mit Blick auf vermeintlich geschürte rassistische Vorurteile geraten. Falsch aber wäre es, mir nichts, dir nichts dem Druck von Gruppen nachzugeben, die diktieren wollen, was gezeigt werden darf und was ein für alle Mal dem Blick entzogen wird; die im Vorhinein bestimmen wollen, welche Gäste Talkshows einladen, welche Witze Comedians und Kabarettisten reißen und wen oder was Cartoon-Serien durch den Kakao ziehen dürfen.

Nicht sehen und nicht hören, was man nicht wahrnehmen will, hilft niemandem. In der Reality-Serie „Cops“ zum Beispiel, die wie alle Formate dieses Genres inszenierter Realität kritikwürdig ist, sieht man, womit es Polizisten in Amerika zu tun haben: mit Armut, sozialem Elend, Drogenkranken und allgegenwärtiger Gewalt. Sie bewegen sich in einer Welt, in der sie allein den – verhassten – Staat repräsentieren. Da gibt es keine Gemeinschaft, nur ein „Wir gegen die“. In gehobeneren Schichten sieht man sich das vielleicht mit einem wohligen Schauer an und verurteilt es gleichzeitig als Ausbeutung der gezeigten Menschen.

Was „Vom Winde verweht“ angeht, handelt HBO nach demselben Muster wie der Bürgermeister der Stadt Bristol, Marvin Rees. Die von hasserfüllten Demonstranten vor kurzem ins Meer gekippte Statue des Sklavenhändlers Edward Colston empfand er schon immer als Affront, er vermisst sie nicht, aber er lässt sie bergen und ins Museum verfrachten. Auf die museale Rahmung von „Gone with the Wind“ bei HBO sind wir gespannt. Und was da noch so alles kommt und – wie in zwanzig Jahren all das betrachtet wird, was heute als Gipfel der Aufklärung gilt.
Dass sich die Zuschauer in solchen Fällen gerne selbst ihr Urteil bilden und nicht wegnehmen lassen, zeigt derweil die aktuelle Bestsellerliste des (wie immer profitierenden) Online-Händlers Amazon. Dort steht in der Kategorie „DVD + Blu-Ray“ auf Platz eins in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien und in Deutschland unter den Top Ten was? „Gone with the Wind“.

FAZ.net


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