Fleischrevolution statt Schalke 04

  01 Juli 2020    Gelesen: 674
  Fleischrevolution statt Schalke 04

Überraschend tritt Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies von all seinen Ämtern zurück. Zudem sorgt eine angebliche Landesbürgschaft für Wirbel. Der Fußball-Bundesligist kommt einfach nicht aus den Negativ-Schlagzeilen heraus. Der Neuanfang wird enorm schwierig.

Clemens Tönnies blickt mit blau-weißem Schal um den Hals entschlossen in die Kamera, im Hintergrund sitzen Zuschauer in der Arena. Das Foto, das der schwer angeschlagene FC Schalke 04 am Dienstag zum unfreiwilligen Abschied des mächtigen Aufsichtsratschefs veröffentlichte, kam aus besseren Zeiten - und ging meilenweit an der Realität vorbei. Tönnies' Rücktritt folgte auf massive Proteste der eigenen Fans und den Corona-Skandal in seinem Fleisch-Unternehmen. Die Nachricht platzte zudem mitten in die Diskussion über eine vermeintliche Landesbürgschaft für den finanziell am Boden liegenden Revierklub.

"Wir haben den FC Schalke 04 mit Herzblut und hohem persönlichen Engagement erfolgreich durch viele Krisen geführt", schrieb Tönnies in einer Erklärung zu seinem Rücktritt, "aus denen wir immer gestärkt hervorgegangen sind." Das erneut zu schaffen, wird zur Herkules-Aufgabe - für die Schalker, die den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Jens Buchta zum neuen Aufsichtsratschef wählten, und auch für Tönnies persönlich.

Der Corona-Ausbruch im Tönnies Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück hatte bundesweit für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. "Meine Aufgabe ist es, mich aktuell voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen", schrieb Tönnies, der seit 1994 Mitglied im Kontrollgremium des Klubs war und diesem seit 2001 vorstand, in seiner Erklärung weiter. "21.000 Mitarbeiterfamilien sowie die landwirtschaftlichen Partnerbetriebe fordern jetzt meine volle Konzentration." Zudem wolle er einen "Beitrag leisten, die deutsche Fleischwirtschaft insgesamt neu aufzustellen. Das werde ich mit Entschlossenheit anpacken."

Ein "Schalker durch und durch"

Bei den Schalker Anhängern war Tönnies allerdings schon vorher wegen seiner als rassistisch ausgelegten Äußerungen über Afrika im vergangenen Jahr höchst umstritten. Erst am Samstag hatten parallel zum letzten Saisonspiel beim SC Freiburg (0:4) rund 1000 Fans auf dem Vereinsgelände gegen den mächtigen Boss demonstriert. Am Eingang der alten Glückaufkampfbahn prangte z ein Banner mit der Aufschrift: "Keine Ausbeuter bei S04 - Tönnies Raus!" Und an einer Brücke und am Bauzaun des alten Parkstadions gab es Plakate mit gleichlautenden Rücktrittsforderungen. Und: "Keine Rassisten auf Schalke!"

Seine damaligen Aussagen über Afrika hatte Tönnies immer wieder versucht zu erklären. In seinem Rücktrittsschreiben beteuerte er: "Wer mich kennt, weiß, dass mir diese Entscheidung 'als Schalker durch und durch' nach so vielen Jahren sehr schwergefallen ist." Ein Konzept zur "zukunftsorientierten Neuaufstellung" des Vereins sei zudem "ausgearbeitet und geschrieben".

Und dringend nötig. Die gerade abgelaufene Saison hatte die Mannschaft von Trainer David Wagner nach 16 sieglosen Spielen zum Abschluss nur auf Platz zwölf beendet. Schon vor der Corona-Krise waren die Verbindlichkeiten auf fast 200 Millionen Euro angewachsen. Um den Fortbestand zu sichern, soll der Klub nun eine Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen zur Absicherung von Bankkrediten in Höhe von bis zu 40 Millionen Euro beantragt haben. Bestätigen wollten dies weder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) noch der Klub selbst.

Dafür äußerten sich andere. "Ich finde, das ist nicht ehrenrührig, wohlwissend dass es die Volksseele möglicherweise anders empfindet", sagte Borussia Dortmunds Klubchef Hans-Joachim Watzke am Dienstag. "Von uns als Fußball-Bundesliga wird verlangt, dass wir die gleichen Steuern zahlen, dass wir sie pünktlich zahlen - was eine Selbstverständlichkeit ist. Aber wenn der Bund oder das Land oder wer auch immer beschließt, coronageschädigten Unternehmen beizustehen, dann gelten die gleichen Rechte für uns offensichtlich nicht. Grundsätzlich zu sagen, dass Fußballklubs davon ausgeschlossen sein müssen, das entspricht nicht meinem Gleichbehandlungsgrundsatz."

"Keine Entscheidung in irgendeiner Bürgschaftsfrage"

Gleichwohl birgt das Thema Brisanz. "Es gibt keine Entscheidung in irgendeiner Bürgschaftsfrage", beschwichtigte Laschet. Nach Informationen der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" gibt es im Bürgschafts-Ausschuss der Landesregierung aber bereits einen positiven Entscheid. Eine sogleich eingebrachte Anfrage der Fraktion der Grünen zielte unter anderem darauf ab, dass der Steuerzahler am Ende für den Kreditausfall aufkommen müsse, sollten die klammen Schalker das Darlehen nicht mehr bedienen können.

Zudem wurde auch an andere niederklassige in Nöte geratene NRW-Klubs erinnert. "Insofern stellt sich auch die Frage nach Gleichbehandlung oder Wettbewerbsverzerrung, wenn einem einzelnen Verein die in Rede stehende Millionenbürgschaft gegeben werden soll", schreiben die Grünen-Abgeordneten Horst Becker und Josefine Paul. "Es wird keine Lex Schalke geben", bekräftigte Laschet. NRW-Bürgschaften gab es in den vergangenen Jahrzehnten zudem immer wieder, auch für Schalke - etwa für den Arena-Bau. Die finanzielle Lage ist aber nicht besser geworden, im Gegenteil. Allein durch die Corona-Krise soll sich ein Minus in Höhe von 26,1 Millionen Euro angehäuft haben. Den Haken an der Bürgschaft formulierte Watzke: "Das Land muss natürlich prüfen, ob das wirkliche Corona-Effekte sind oder nicht."

In finanzieller Schieflage war der Klub schon lange vor der Pandemie. Als erster Verein will Schalke deshalb bei Spielergehältern selbst eine Grenze bei 2,5 Millionen Euro jährlich setzen. Und eine in der Vergangenheit gerne genommene Sicherheit fällt wohl für lange Zeit weg: Tönnies um ein Darlehen zu bitten. Auch wenn dieser schrieb: "Selbstverständlich werde ich dem FC Schalke 04 - ein Leben lang - verbunden bleiben."

Quelle: ntv.de, Carsten Lappe und Jan Mies, dpa


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