Bei Frauen hört die Freundschaft auf

  17 Auqust 2020    Gelesen: 490
  Bei Frauen hört die Freundschaft auf

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli will in den Bundestag. Ihr Chef, der Regierende Bürgermeister Michael Müller, tritt gegen sie an. Bei Juso-Chef Kühnert hatte er das nicht gewagt.

Die politische Karriere des Michael Müller kann sich sehen lassen. 1996 zog er in das Berliner Abgeordnetenhaus ein, wurde acht Jahre später erstmals zum SPD-Landesvorsitzenden gewählt, ehe er 2014 Regierender Bürgermeister des Bundeslandes wurde. Doch nachdem seine Popularitäts- und die Umfragewerte seiner Partei zu sinken begannen, erklärte er, die Landespolitik zu verlassen und sich für den Bundestag zu bewerben. Als Berliner SPD-Chef tritt er Ende Oktober ab. Ihm folgt wahrscheinlich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die auch SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2021 werden dürfte. Ihr trauen es die Genossen eher als dem drögen Müller zu, CDU und Grüne in Schach zu halten.

Es lag auf der Hand, dass sich Müller in Tempelhof-Schöneberg um das Direktmandat für den Bundestag bewirbt, schließlich ist dies sein Heimatwahlkreis. Die Nominierung wäre für ihn wohl ein Kinderspiel gewesen, hätte ihm nicht der in der SPD als Nachwuchshoffnung gefeierte Kevin Kühnert einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der kündigte an, den Vorsitz der Jungsozialisten abzugeben und im Bundestagswahlbezirk Tempelhof-Schöneberg, der seit etlichen Jahren in CDU-Hand ist, antreten zu wollen. Um die Ideen der Jusos in die SPD-Bundestagsfraktion hineinzutragen und die Union aus der Regierung zu befördern, meinte Kühnert, "müssen hier alle Räder ineinandergreifen. Dafür muss alles perfekt laufen".

Unter "Perfektion" verstand Kühnert in dem Fall: Platz da, jetzt komm ich. Der Regierende Bürgermeister sprach von einer "kuriosen Situation", obwohl ihm kaum zum Lachen zumute gewesen sein dürfte. Der Vorgang lässt Zweifel an den Ankündigungen der SPD-Führung unmittelbar nach der Nominierung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu, die Zeiten der Grabenkämpfe in der Partei seien vorbei. Die "Welt" zitierte einen namentlich nicht genannten, "hochrangigen Genossen" mit den Worten, Kühnerts "Ego-Aktion" sei "unanständig" gewesen und habe Fakten geschaffen. "Mit dieser unsolidarischen Aktion hat er sich keinen Gefallen getan."

Müller, der nach Angaben aus der SPD vorab über Kühnerts Vorhaben informiert worden war, gab sich geschlagen. Obwohl er genauso wie der Noch-Juso-Chef sowohl privat als auch politisch eng mit Tempelhof-Schöneberg verbunden ist, beschloss er, in den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auszuweichen. Doch dort droht nun erst recht offener Streit. Den Wahlbezirk hatte sich Sawsan Chebli für sich ausgeguckt, die ebenfalls in den Bundestag will. Nun ist dort eine Kampfabstimmung in Sicht, die nicht alle Tage in der Weise vorkommt. Müller hat Chebli 2016 zur Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in seiner Senatskanzlei gemacht. Das heißt: Chebli tritt gegen ihren Chef an.

"Wir sind beide Profis und können Parteiarbeit von Dienstlichem trennen", sagte Chebli dem "Tagesspiegel". Die bestens in die Berliner Landespolitik verdrahtete Zeitung zitierte ein "einflussreiches Parteimitglied" mit den Worten, ein solcher Vorgang sei in anderen Bundesländern "unvorstellbar". Er hoffe, dass die unterschiedlichen Politikstile und Einflusssphären der Kontrahenten "nicht selbstzerstörerisch für die SPD" wirkten.

Gegen Kühnert traute Müller sich nicht, gegen eine Frau schon

In jedem Fall hat das Duell einiges Konfliktpotenzial. Schließlich ist es die SPD, die die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau fordert. In Tempelhof-Schöneberg gab Müller klein bei, als Kühnert sein Interesse offen bekundete. Aber - so wird auch in der SPD moniert - in Charlottenburg-Wilmersdorf lässt der Regierungschef es auf eine Kampfabstimmung ankommen. Berichten zufolge war Müller bekannt, dass Chebli dort ein Direktmandat anstrebt, als er in den Bezirk auswich.

Das führende SPD-Mitglied, das die "Welt" zitierte, bescheinigte der studierten Politologin fehlende Fairness "gegenüber jemandem, der so viele Verdienste hat. Es nervt." Chebli gewährte via Twitter einen Einblick in die Gemengelage: "Ich wurde gefragt, warum ich mir das antue. In der Presse steht ja, ich hätte kaum Chancen" gegen Müller. Sie wolle helfen, die SPD zu neuer Stärke zu bringen. "Dass ich beleidigt werde von meinen Hatern, ist das eine. Ich bitte meine Unterstützer, fair zu bleiben.“

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) von Charlottenburg-Wilmersdorf soll ihrer Mitstreiterin nach Informationen des "Tagesspiegel" Unterstützung signalisiert haben. Offiziell, etwa auf der Homepage der ASF, ist davon bislang nichts zu sehen. Die Zeitung berichtete zudem, dass "viele Parteimitglieder verärgert und genervt sind wegen der Anspruchshaltung" Cheblis, die fest davon überzeugt sei, dass die SPD ihr den Weg für die Kandidatur freiräumen müsse. Müller gab an, "gelassen" zu sein. "Ich bin mir sehr sicher, dass meine Kandidatur mit Themen von Bauen und Mieten über Arbeit bis Wissenschaft sehr viel Unterstützung findet", sagte er der "Bild am Sonntag" und forderte zugleich einen Spitzenplatz auf der Landesliste. Den braucht nicht nur er, auch Kühnert könnte ein Interesse daran haben, sich abzusichern: Bei der Wahl 2017 gingen sowohl Charlottenburg-Wilmersdorf als auch Tempelhof-Schöneberg an die Kandidaten der CDU.

Dass die Auseinandersetzung zwischen dem langgedienten Sozi und der aufstrebenden Newcomerin keine Politposse ist, sondern bundesweite Strahlkraft hat, zeigt sich dadurch, dass der Komiker Jan Böhmermann via Twitter fragte, wer für die SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf kandidieren solle. Die Entscheidung der knapp 12.000 Teilnehmer fiel klar aus: Rund 82 Prozent waren für Chebli.

Quelle: ntv.de


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