Erst Prag, nun auch der Rest des Landes: Im Kampf gegen das Coronavirus sieht sich Tschechien mit einer zweiten Welle konfrontiert. Und die trifft die Zehn-Millionen-Republik so stark wie noch nie. Erstmals seit Beginn der Pandemie verzeichnet das deutsche Nachbarland mehr als 1000 Neuinfektionen - den zweiten Tag in Folge: Nach 1159 Fällen am Dienstag gab das tschechische Gesundheitsministerium am Mittwoch 1161 neu erfasste Coronavirus-Atan.
Bereits am Dienstag hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie-Dynamik in Tschechien als "besorgniserregend" bezeichnet. "Es gibt keine Alternative zum Testen, Nachverfolgen und Isolieren, um Covid-19 zu beherrschen - weder hier noch andernorts", warnte die UN-Organisation mit Blick auf den steilen Anstieg in den tschechischen Daten.
Die Entwicklung der Fallzahlen in Tschechien lässt sich am ntv.de-Liniendiagramm ablesen. Mittlerweile haben sich insgesamt 31.036 Menschen nachweislich mit dem Erreger Sars-CoV-2 infiziert. Zudem zeigt die Grafik die minimal, aber konstant wachsende Zahl der Todesfälle, die nun bei 444 steht. Gezählt werden hier nach dem mittlerweile internationalen Standard alle jene Verstorbenen, die im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung ums Leben gekommen sind. Die auf Grundlage der Meldedaten geschätzte Gesamtzahl der aktiv Infizierten ist demnach auf 10.465 gestiegen.
Auch das Auswärtige Amt ist auf die Virus-Dynamik im besonders bei Deutschen beliebten Reiseland aufmerksam geworden. Erst am Mittwochabend hatte die Bundesregierung den stark betroffenen Touristenmagneten Prag als Risikogebiet eingestuft. Ein Grund für die Entscheidung war der dort überschrittene Wert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Einen Tag später überschreitet die Hauptstadt mit einem Wert von 96,43 die Obergrenze noch immer deutlich.
Weitere Reisewarnungen?
Damit ist die "Goldene Stadt" allerdings nicht allein. Laut offiziellen Angaben weisen mehrere Kommunen in den Regionen Jihomoravský (Südmähren), Karlovarský (Karlsbad), Pardubický (Pardubitz), Středočeský (Mittelböhmen), Vysočina (Hochland) und Plzeňský (Pilsen) mitunter deutlich überhöhte Sieben-Tages-Inzidenzen auf, darunter Pilsen-Süd mit einem Wert von 111,3. Vor dem Hintergrund dieser negativen Entwicklung ist mit weiteren Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt zu rechnen.
Doch dafür ist nicht allein die Gesamtzahl der entdeckten Infektionsfälle ausschlaggebend. Das Robert-Koch-Institut (RKI) verweist auf seiner Seite auf eine zweistufige Bewertung: Demnach wird von den zuständigen Gremien im Auswärtigen Amt, im Innenministerium und im Bundesgesundheitsministerium überprüft, ob in den betreffenden Regionen die Sieben-Tage-Inzidenz die Obergrenze von 50 Fällen überschreitet. Danach folgt in der Beurteilung ein zweiter Schritt, der eine vom Grenzwert unabhängige Analyse vorsieht. So verweist das RKI darauf, dass auch Staaten und Regionen, die den Grenzwert unterschreiten, für eine Reisewarnung in Betracht kommen, wenn dort "dennoch die Gefahr eines erhöhten Infektionsrisikos vorliegt". Dabei schauen die Experten unter anderem auf Aspekte wie Testkapazitäten und Hygienekonzepte.
Noch zögert das Außenamt mit einer Einstufung weiterer tschechischer Regionen als Risikogebiet. Sollte es sich dazu entschließen, wäre dies ein herber Schlag viele vom Tourismus abhängige Kommunen. Jährlich mehr als zwei Millionen Deutsche besuchen im Jahr das Nachbarland - sie sind mit Abstand die größte Touristengruppe in Tschechien. Die Gefahr einer Reisewarnung für das gesamte EU-Land steigt dennoch: Nach Berechnungen von ntv.de auf Datenbasis der Europäischen Gesundheitsbehörde ECDC weist Tschechien aktuell eine Sieben-Tage-Inzidenz von 49,4 auf (Stand: 9. September 2020).
Zögerliche Anerkennung der Dynamik
Zwar hatten die tschechischen Behörden bereits Anfang August ein vierstufiges Ampelsystem zur detaillierten Bewertung des Infektionsgeschehens in den jeweiligen Regionen eingeführt, doch offenbar erst jetzt sieht sich die Regierung des Landes zum Handeln gezwungen. Nachdem Ministerpräsident Andrej Babiš die WHO-Kritik mit markigen Worten zurückgewiesen hatte, verkündete sein Gesundheitsminister Adam Vojtěch eine ab diesem Donnerstag geltende Maskenpflicht, die damit landesweit von öffentlichen Verkehrsmitteln auf öffentlich zugängliche Innenräume ausgeweitet wird. Auch in Geschäften gilt seit Anfang des Monats eine Maskenpflicht.
Noch im Juni hatte Babiš landesweite Maßnahmen kategorisch ausgeschlossen. Damals hatten Tausende das Ende der Corona-Beschränkungen in der Republik gefeiert - als eines der ersten Länder in Europa schaffte Tschechien die Maskenpflicht ab. Zuvor war der mitteleuropäische Staat einer der ersten gewesen, die das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung vorschrieben. Nun reiht sich das Land wieder bei den meisten anderen EU-Partnern ein. Ein großes Risiko bleibt jedoch: Zu Beginn der Woche hatte Regierungschef Babiš öffentlich erwogen, Kontakte nur bei Covid-19-Patienten mit ernsthaftem Krankheitsverlauf nachzuverfolgen und somit weniger zu testen. Dies rief die besorgte Reaktion der WHO hervor - und könnte Tschechien in eine tiefe Corona-Krise stürzen.
Quelle: ntv.de
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