Irgendwie zynisch

  14 September 2020    Gelesen: 653
  Irgendwie zynisch

Der Titel-Traum von Alexander Zverev bei den US Open platzt im dramatischen "Kumpel-Duell". Der 23-Jährige verliert in seinem ersten Major-Finale in New York gegen seinen Freund Dominic Thiem trotz einer Zwei-Satz-Führung. Mehr Ironie geht wohl nicht.

Diese US Open, das vermutlich bizarrste Tennis-Turnier aller Zeiten, hatten kein ottonormales Ende verdient. Und deswegen konnte es nach dem zweiten Satz im Endspiel zwischen Alexander Zverev und Dominic Thiem nicht einfach so weitergehen. Mit der wuchtigen Show des Deutschen und dem nervösen Auftritt seines Gegners aus Österreich. Deswegen musste es so kommen, wie es kam: Deswegen gab es Krämpfe, Drama und Tränen. Und einen geschlagenen Zverev. Das deutsche Mentalitätsmonster, heroisch niedergerungen vom "Houdini des Tennissports". In spektakulären 241 Minuten, in dramatischen fünf Sätzen, im finalen Tie-Break. Ein Mehr an Zuspitzung - unmöglich.

"Dominic hat sich aus einer scheinbar unmöglichen Situation befreit", schwärmte Eurosport-Experte Boris Becker. Und die deutsche Tennis-Legende schwärmte auch für den epischen Kampf, den sich die Freunde im fast menschenleeren Arthur-Ashe-Stadium lieferten. "Beide haben es verdient zu gewinnen, keiner hatte es verdient, das Spiel zu verlieren. Aber im Tennis gibt es eben kein Unentschieden." 2:0 Sätze hinten, Break hinten, Zverev serviert bei 5:3 im fünften Satz zum Match. Doch dann kommt Thiem. "Under Pressure", diesen legendären Song von Queen spielt die Stadion-Regie in einer Unterbrechung tatsächlich, holt sich der Österreicher erst das Break zurück und gleicht dann mit einer knallharten Wahnsinns-Vorhand aus.

Es geht in den Tiebreak. Beide Spieler kämpfen mit Krämpfen. Beim dritten Matchball für Thiem landet eine Rückhand von Zverev im Aus - der Traum geplatzt. Mit der ganzen Ironie des Schicksals. Anders als in den Runden zuvor spielte der 23-Jährige im Endspiel sofort auf seinem Top-Niveau. Aggressiv, mutig und mit einem starken Aufschlag dominierte er das Duell überraschend deutlich. Die anfängliche Zögerlichkeit der letzten Auftritte, auf beeindruckende Art vergessen gemacht. Thiem, der zuvor nur einen Satz (!) im gesamten Turnier abgegeben hatte, fand keine Mittel gegen seinen Kumpel.

"Wünschte, du hättest ein paar Fehler mehr gemacht"

Dass es am Ende, nach knapp über vier Stunden, dennoch nicht zum ersten deutschen Grand-Slam-Sieg seit Beckers Erfolg bei den Australian Open 1996 reichte - irgendwie zynisch. Das Comeback-Monster besiegt durch ein Monster-Comeback. "Es war ein harter Kampf", gestand Zverev. "Ich wünschte, du hättest ein paar Fehler mehr gemacht, damit ich diese Trophäe in die Höhe halten kann." Doch nur noch einen Satz vom Traum entfernt, wurde Zverev immer nervöser. Aggressivität und Selbstverständlichkeit gingen verloren, die Fehlerquote stieg. Thiem profitierte und holte sich Satz drei und vier. Beide Spieler steigerten sich schließlich noch einmal deutlich und lieferten sich einen packenden Schlagabtausch.

"Ich wünschte wirklich, es könnte heute zwei Sieger geben. Wir haben es beide verdient", befand Thiem nach dem Spiel. Der Österreicher und der Deutsche hatten zuvor die strengen Hygiene-Vorgaben im Zuge der Corona-Pandemie ignoriert und waren sich in die Arme gefallen. Die sonst eigentlich obligatorischen Handschläge am Netz nach den Matches waren verboten, stattdessen klopften die Spieler ihre Schläger aneinander. "Nun, wir sind wirklich sehr gute Freunde. Wir haben eine langjährige Freundschaft und Rivalität", sagte Thiem. "Ich glaube, wir sind beide vielleicht 14 Mal negativ getestet worden. Wir wollten einfach diesen Moment teilen. Ich denke, dass wir niemanden in Gefahr gebracht haben und dass es in Ordnung war."

Zverev brachte nach dem anfangs skurrilen und am Ende spektakulären Fünf-Satz-Krimi in Tränen aus. "Es sind einige wichtige Leute, die heute fehlen. Ich möchte meinen Eltern danken. Ich vermisse sie", sagte er, ehe er anfing zu weinen. Sein Vater und seine Mutter waren positiv auf Corona getestet worden und hatten die Reise nach New York deshalb nicht wie sonst üblich mitgemacht. "Ich war super nah dran, Grand-Slam-Champion zu sein. Ich war ein paar Spiele, vielleicht ein paar Punkte weg", sagte Zverev, als er mehr als zwei Stunden nach dem Matchball zur Video-Pressekonferenz erschien. "Ich hatte im fünften Satz viele Chancen und habe sie nicht genutzt. Aber ich bin 23 Jahre alt, ich denke nicht, dass es meine letzte Chance war. Ich glaube, dass ich eines Tages einen Grand Slam gewinnen werde."

Quelle: ntv.de


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