Die Flüchtlinge kommen nicht, um unsere Probleme zu lösen

  02 März 2016    Gelesen: 816
Die Flüchtlinge kommen nicht, um unsere Probleme zu lösen
Humanitärer Anspruch und reale Politik klaffen in der Flüchtlingsfrage auseinander. Es bedarf in Deutschland dringend einer umfassenden Strategie zur Integration.
Die Flüchtlingsfrage dominiert die deutsche Politik, und wie im Spiegelbild der Gesellschaft reicht das Spektrum von großem Engagement bis zu ebenso großer Verunsicherung und gar Abwehr. Eine verantwortungsvolle humanitäre Haltung löst dabei noch nicht die daraus folgenden Probleme; und auf europäische Solidarität ist kaum zu hoffen. Deutschland ist vorerst mehr oder weniger auf sich allein gestellt.

Um der Verantwortung entsprechen zu können, sind die großen gesellschaftlichen Potenziale zu würdigen und die zugleich bestehenden Verunsicherungen zu thematisieren. Dabei kann eine verlässliche und überzeugende Rahmung der Flüchtlingspolitik nicht nur das Engagement konstruktiv einbinden, sondern zugleich auf die Verlustängste eingehen, die von einigen Bevölkerungsgruppen auf die Flüchtlingsfrage projiziert werden. Statt populistischen Forderungen nachzugeben, muss die Politik rechtsstaatlich ausgerichtet, der historischen Bedeutung der Flüchtlingsfrage angemessen und realistisch reagieren.

Der Druck, der infolge der Flüchtlingsmigration auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft lastet, kann konstruktiv nur gewendet werden, wenn eine umfassende politische Strategie für die Integration der Flüchtlinge entwickelt wird sowie die Sicherung der Staatsfunktionen für alle garantiert ist. Wir plädieren für eine "konzertierte Aktion in der Flüchtlingspolitik", die neben Ländern, Städten und Kommunen die Sozialwirtschaft und die Zivilgesellschaft einbezieht. Die konzertierte Aktion dient dazu, auf der Basis grundsätzlicher und langfristiger Festlegungen die laufenden Handlungen der Beteiligten so auf einander abzustimmen, dass das Gemeinsame im Vordergrund steht und Einzelinteressen in den Hintergrund rücken. Es geht um die Einladung an den "Tisch der gesellschaftlichen Vernunft", von dem Karl Schiller vor 50 Jahren in einem anderen Kontext sprach. Hier sind die zentralen Fragen auszuhandeln.

Erstens muss die grundsätzliche Perspektive der Flüchtlingspolitik geklärt werden. Die Einstellungen dazu schwanken sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft zwischen einer nüchternen Haltung, die von zeitlich begrenzter Hilfe bei einem befristeten Aufenthalt ausgeht, und einer Euphorie, die sich aus dem Potenzial für die Bewältigung unseres demografischen Wandels ergibt. Dabei ist zu bedenken, dass die Flüchtlinge nicht kommen, um unserer Probleme zu lösen, sondern weil sie wegen Krieg und Gewalt in der Heimat nicht mehr sein können und durch diesen Verlust geprägt sind. Das bestimmt Chancen und Grenzen der Integration bei uns. Will man geflüchteten Menschen eine faire Chance für ein gelingendes Leben bei uns eröffnen, dann sind die Bildung und Beschäftigung die wichtigsten, wenn auch nicht die einzigen Brücken zu uns.

Die bisherigen politischen Änderungen haben die bestehenden Integrationsprogramme (etwa Sprachkurse) für Flüchtlinge geöffnet und den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Jetzt gibt es erste Vorschläge, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge künftig einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erlangen können. Dass die Regierungspolitik unbestimmt ist, zeigt sich daran, dass an der Vorrangprüfung beim Arbeitsmarktzugang festgehalten wird und am Verbot der Zeitarbeit in den ersten fünfzehn Monaten. Ein solcher Kurs trägt nicht und verunsichert die anerkannten Flüchtlinge und all jene, die sich täglich für deren Integration engagieren, ob spontan, im Ehrenamt oder in Politik und Verwaltung.

Zweitens ist es notwendig, die Zuwanderungspolitik aus einem Guss zu gestalten. Zwar hat die Bundesrepublik mittlerweile eines der liberalsten Zuwanderungsregime weltweit, doch von der Einsicht, ein Zuwanderungsland zu sein, sind wir immer noch weit entfernt. So bleibt das Recht unbestimmt in der Frage der Arbeitsmigration, die allein auf den Potenzialen der Zuwanderer beruht. Wie soll eine Zuwanderung gesteuert werden, die gleichermaßen nachfrage- wie angebotsorientiert begründet werden kann? Das Versäumnis, diese Fragen zu klären und politisch aus der gesteuerten Zuwanderung eine Einwanderung zu machen, rächt sich nun, wo wir unter dem Druck der Flüchtlingsmigration die Handlungsfähigkeit zu verlieren drohen.

Drittens kann das überwältigende Maß an bürgerschaftlichem Engagement für Flüchtlinge seitens der staatlichen Verwaltung nicht einfach nur als notwendige Hilfe begrüßt werden. Es gilt, dieses konzeptionell einzubinden und zu fördern. Das oft spontane, projekthafte, innovative und selbstgesteuerte Engagement der Bürger bleibt nicht folgenlos für die Gestaltung von Ehrenamt und Sozialwirtschaft. Das Zusammenwirken der verschiedenen Arten bürgerschaftlichen Engagements wird gerade in den Kommunen und Regionen neu justiert werden müssen. Die Kommunalpolitik öffnet sich bislang in sehr unterschiedlicher Weise diesen konstruktiven Angeboten, ohne die die aktuelle Flüchtlingsfrage nicht gelöst werden kann. Darin liegen gewaltige Innovationspotenziale für die Bürgergesellschaft als Ganzes und Handlungsoptionen für die Kommunen.

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