Der gefährlichste Mann der Welt

  05 März 2016    Gelesen: 934
Der gefährlichste Mann der Welt
Nordkorea ist immer für eine Überraschung gut - besonders seit der jüngste Spross der Diktatoren-Dynastie an der Macht ist. Doch so viele Schreckensbotschaften wie in den vergangenen Wochen und Monaten gab es schon lange nicht mehr.
Das Auf und Ab im nordkoreanischen Machtgefüge lässt viele Theorien zu. In den mehr als drei Jahren seiner Macht hat Kim Jong Un eine ganze Reihe von Schlüsselfiguren um sich herum beiseite geschafft. Kim hat schon vier seiner Verteidigungsminister verschlissen, entweder durch Demontage oder, wie den letzten, Hyon Yong Chol, durch Mord. Lee Chung, Professor für Internationale Beziehungen an der Yonsei-Universität in Seoul, sieht darin eine Unsicherheit: Auf diese Weise gehe der junge Diktator der Gefahr aus dem Weg, dass Kritik oder Widerstand von langjährigen Funktionären seiner Glaubwürdigkeit schadet.

Auch die jüngsten Raketenabschüsse von der Ostküste des Landes aus ins Meer und die Meldung, dass auf Kims Befehl ab sofort auch Atomwaffen einsatzbereit gemacht werden sollen, werfen ein Bild der Verzweiflung auf das nordkoreanische Regime: Mit größtmöglichen Drohgebärden will Pjöngjang wohl für Angst und Schrecken sorgen, um den westlichen Sanktionen etwas entgegenzusetzen.

Chung glaubt, dass Kim Jong Un noch stärker von psychischen Problemen geplagt sein könnte als sein Vater oder gar sein Großvater. Kim Jong Il sei 20 Jahre lang auf seine Rolle als Führer der Nation vorbereitet worden - denn selbst in einer perfekten Diktatur müsse man sein Volk kennen. Kim Jong Un dagegen kam per Blitzbeförderung an die Macht, um seinen sterbenden Vater zu ersetzen. Durch besonders großspuriges und grausames Auftreten versuche er nun, sich selbst und seinen Generälen zu beweisen, dass er genauso souverän und gestanden ist wie sie.

Klima der Angst

Die Kader der Partei fürchten ihn, ob sie ihn auch respektieren, ist eine andere Frage. Dem südkoreanischen Professor zufolge tötet Kim Jong Un nicht nur seine vermeintlichen Widersacher innerhalb der Führungsriege, er eliminiert auch deren unmittelbaren Familien und Menschen, die dem in Ungnade Gefallenen nahe standen. Angst breite sich in Schockwellen aus; wenn das an verschiedenen Stellen in der Partei und der Gesellschaft passiere, sei es fast unmöglich, eine Vertrauensbasis aufzubauen, so Chung. Die häufigen Personalverschiebungen und Exekutionen hochrangiger Funktionäre könnten somit auf einen langsam stattfindenden Loyalitätsverlust gegenüber Kim Jong Un deuten, dem er brutal entgegenzuwirken versucht.

Wenn Kim Jong Un das nächste Mal einen Atom-Krieg ankündigt, wird er das vermutlich auf Koreanisch tun - er wäre aber vielleicht auch in der Lage, mit einem rollenden Berner Dialekt zu drohen. Der Diktator ist in der Schweiz zur Schule gegangen: Um die Jahrtausendwende besuchte ein koreanischer Junge namens Pak Un das Schweizer Internat Liebefeld Steinhölzli nahe Bern. Einem ehemaligen Mitschüler soll sich Kim später offenbart haben; der Mitschüler berichtete später, der junge Diktatorensohn habe "sehr oft die nordkoreanische Nationalhymne gehört".

Schon als Ende der 90er Jahre die ersten Gerüchte um seinen Aufenthalt in der Schweiz aufkamen, hofften Beobachter, die Begegnung mit der westlichen Demokratie und Kultur könnte einen positiven Einfluss auf den Thronfolger haben und ihn zu einer Öffnung seines Landes verleiten. Doch diese vagen Hoffnungen haben sich bekanntlich nicht erfüllt.

Wie kann es sein, dass ein langer Aufenthalt in Europa folgenlos bleibt? Bei dieser Frage ist Kim Jong Un in bester Gesellschaft: Auch am Sohn von Libyens Ex-Diktator Muhammar al-Gaddafi, Saif al-Islam Gaddafi, und am syrischen Diktator Baschar al-Assad prallten westliche Werte trotz ihrer Ausbildung in Wien und London ab. Robert Danin vom amerikanischen Council of Foreign Relations glaubt, dass die jungen Tyrannen zwar die hiesigen Gepflogenheiten übernehmen, nicht aber die westlichen Werte - im Gegenteil: Der Auslandsaufenthalt verstärke bei ihnen sogar das Gefühl der Exklusivität und Überlegenheit gegenüber ihrem eigenen Volk. Die Soziologin Huda Zein sagt daher, es sei eine Illusion zu glauben, ein paar Jahre im Westen könnten zu einem Umdenken ausreichen, wenn das gesamte System des Herkunftslandes auf Gewalt und Unterdrückung beruht und die Herrscherfamilie das Land als ihr Privateigentum betrachtet.

Keine Hoffnung auf Öffnung des Landes

Ehemalige Angestellte wie der Leibwächter Lee Young Guk berichten, der junge Kim sei noch grausamer und unberechenbarer als sein gefürchteter Vater. Zudem gibt es wenig Anzeichen, dass sich Kim Jong Un von der sogenannten Songung-Doktrin ("Das Militär zuerst") distanziert. Die Armee umfasst über eine Million Soldaten und fast fünf Millionen Mann in Reserve - damit ist sie eine der größten Armeen der Welt. Laut dem südkoreanischen Geheimdienst hat das Land seit 2003 etwa 13 Millionen Euro pro Jahr für Rüstungsgüter und Waffen ausgegeben; das entspricht etwa 25 bis 30 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts.

Kim Jong Un, der "Große Führer", steht nun mit Anfang 30 auf der obersten Stufe der Macht: Er trägt schillernde Titel wie "Vorsitzender der Koreanischen Arbeiterpartei", "Oberkommandant der Armee", "Vorsitzender der Militärkommission der Partei" und "Vorsitzender der staatlichen Militärkommission". Den Rang eines "Marschalls" hat er auch. Höhere Titel kann man zu Lebzeiten nicht tragen, erst nach dem Tod sind weitere Stufen möglich. Sein Großvater Kim Il Sung etwa wurde zum "Präsidenten in alle Ewigkeit" sowie zum "Großmarschall" ernannt; sein Vater errang gar den Titel eines "Generalissimo".

Aufgrund seines unberechenbaren Wesens und seiner ausgeprägten Brutalität ist Kim Jong Un sicherlich einer der gefährlichsten Menschen der Welt - mit seiner Willkür und militärischen Schnellschüssen könnte er sich aber selbst schneller als gedacht ins Abseits befördern: Ganz ohne wirtschaftlichen Austausch kann Nordkorea schlicht nicht überleben.

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