Parlamentarier beharren auf persönlicher Aussage von Ex-Wirecard-Chef Braun

  14 November 2020    Gelesen: 309
Parlamentarier beharren auf persönlicher Aussage von Ex-Wirecard-Chef Braun

Die Abgeordneten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Wirecard-Skandal wollen einen Auftritt des inhaftierten Ex-Chefs Braun erzwingen. Seine Anwälte dürften gegen die Vorladung klagen.

Es wäre ein spektakulärer Auftritt, den es so in der Geschichte des Bundestags noch nicht gegeben hat: Drei Untersuchungshäftlinge sagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus. Und das in dem wohl größten Finanzskandal der Bundesrepublik: dem Zusammenbruch des Finanzdienstleisters Wirecard. Am Donnerstag sollen Ex-CEO Markus Braun sowie die ehemaligen Manager Stephan Freiherr von Erffa und Oliver Bellenhaus vor dem Parlamentsgremium aussagen.

Doch um die Vorladung der drei Inhaftierten dürfte es nach SPIEGEL-Informationen ein juristisches Gezerre geben. Denn die Rechtsanwälte Brauns lehnen einen persönlichen Auftritt ihres Mandanten in Berlin ab. Braun müsste aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in die Hauptstadt transportiert werden. Für den Fall einer zwangsweisen Vorführung Brauns kündigt Verteidiger Alfred Dierlamm an, "hiergegen gerichtlich vorgehen" zu wollen, wie er in einem Brief an das Sekretariat des Untersuchungsausschusses schreibt, der dem SPIEGEL vorliegt. Sein Klient wolle vielmehr eine Videoaussage machen.

Der inhaftierte Wirecard-Chef hat Angst vor Corona
Doch dagegen regt sich Widerstand unter den Mitgliedern des Ausschusses, allen voran den drei Obleuten von Grünen, Linken und FDP. Man halte daran fest, dass "eine Vernehmung bei Anwesenheit der Zeugen im Sitzungssaal erforderlich" sei, so schreiben die drei Parlamentarier an die anderen Abgeordneten in dem Gremium. Sie wollen das Argument der Braun-Anwälte nicht gelten lassen, die ein hohes Corona-Infektionsrisiko ihres Mandanten sowie den hohen Aufwand des Transports ins Feld führen.

Schon bei der Aussage des "Financial Times"-Journalisten Dan McCrum vergangene Woche, der aus London anreiste, sei eine entsprechende Absprache mit dem Berliner Senat gemacht worden. Ein persönlicher Auftritt sei wichtig, "insbesondere zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen". Es gehe um "dessen gesamtes Verhalten einschließlich seiner Körpersprache", von dem sich der Ausschuss "einen unmittelbaren Eindruck" machen wolle, so schreiben die Abgeordneten Fabio de Masi (Linke), Florian Toncar (FDP) und Danyal Bayaz (Grüne) weiter.

Die drei Oppositionspolitiker gingen davon aus, dass "dies auch von den übrigen Fraktionen weiterhin so gesehen" werde. Auf Anfrage des SPIEGEL bestätigt ein Sprecher der SPD, dass es "einen interfraktionellen Konsens" gebe, dass die Zeugen persönlich aussagen sollen. "Das Ausschusssekretariat bereitet das entsprechend vor", so der SPD-Sprecher. Somit dürfte es auf einen Rechtstreit hinauslaufen, der vermutlich nicht vor dem Donnerstag entschieden sein wird.

Auch die Staatsanwaltschaft hat Bedenken
Widerstand gegen ein persönliches Erscheinen leistet auch die Staatsanwaltschaft in München, die für das Ermittlungsverfahren verantwortlich ist. Sie führt neben der Corona-Pandemie offenbar als weiteres Argument die Sorge auf, die drei Wirecard-Inhaftierten könnten sich begegnen und Absprachen treffen. Die Abgeordneten halten dem entgegen: "Der Deutsche Bundestag sollte über die Möglichkeit verfügen, dafür Sorge zu tragen, dass die drei Zeugen sich am 19. November nicht untereinander begegnen."

Das Interesse der Parlamentarier, darüber besteht indes kein Zweifel, ist berechtigt. Denn die Insolvenz des Wirecard-Konzerns wirft auch kritische Fragen an die Politik auf. Da geht es einerseits um die Aufsicht durch nachgeordnete Behörden des Bundesfinanz- und Wirtschaftsministeriums. Vor allem interessiert die Opposition die Rolle des SPD-Vizekanzlers und Finanzministers Olaf Scholz.

Hinzu kommen die Geheimdienst-Verstrickungen des Konzerns und dessen Vorstandsmitglieds Jan Marsalek, der möglicherweise für den Österreichischen Geheimdienst tätig war und dubiosen Aktivitäten in Libyen nachgegangen sein könnte. Außerdem hat sich die Bundesregierung und allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für Wirecard eingesetzt. Noch im Herbst 2019, als bereits Vorwürfe auf Finanzmanipulationen bei Wirecard laut geworden waren, lobbyierte Merkel während eines Besuchs in Peking bei der chinesischen Regierung für den Markteintritt des Finanzdienstleisters in China. Eingefädelt hatte dies Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.

Oppositionspolitiker schäumen
Alle drei geladenen Wirecard-Leute wollen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, um sich nicht selber zu belasten, kündigten sie schriftlich an. Den FDP-Obmann Toncar irritiert diese Ankündigung, weil man doch noch nicht die Fragen der Abgeordneten kenne. "Uns geht es im Ausschuss vor allem um die politische Aufarbeitung und nicht wie vor Gericht um die Schuldfrage im strafrechtlichen Sinn", sagte der Liberale dem SPIEGEL.

Sein Linken-Kollege De Masi will Braun auf jeden Fall persönlich in die Mangel nehmen und droht: "Zeugen können übrigens auch ins Kreuzverhör genommen werden, wenn sie sich widersprechen." Der Grünen-Obmann Bayaz appelliert an Staatsanwaltschaft und Verteidiger, ihren Widerstand aufzugeben. Natürlich müsse die Sicherheit beim Transport und vor Ort gewährleistet sein. "Aber mir hat bislang niemand überzeugend erklärt, warum das nicht möglich sein soll", sagte er dem SPIEGEL.

spiegel


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