Wie brutal diese Kämpfe waren, das zeigt derzeit eine bemerkenswerte mehrtägige Dokumentation auf dem deutsch-französischen Fernsehsender ARTE. Hier erfahren wir, wie komplette algerische Landstriche oder Dörfer durch die Franzosen mit Panzern oder Napalmbomben zerstört wurden.
Dabei war Algerien wahrlich kein Einzelfall: Die Franzosen haben sich in ihren Kolonien, wie die Spanier, Briten oder Portugiesen, auch die Deutschen, häufig aufgeführt wie monströse Besatzer. Einerseits wurden die afrikanischen Staaten zwar zivilisiert, aufgebaut, Infrastruktur und Bildung ins Land gebracht, andererseits war es häufig aber auch tagtäglich ausgeübter europäischer staatlicher Terror gegen damals schwächere Volksgruppen. Die Menschen in Algerien wurden von vielen Franzosen oftmals wie Vieh, Besitz, behandelt. Bodenschätze in Algerien dienten dazu, von Frankreich geplündert zu werden – dieses Bereicherungsprinzip Frankreichs wurde von fast allen europäischen Staaten in ihren afrikanischen, amerikanischen oder asiatischen Kolonien praktiziert.
Der letzte große Freiheitskampf der Algerier gegen die französischen Besatzer dauerte fast acht lange Jahre – von 1954 bis 1962. Der erste Tag des Aufstands, der 1. November 1954, ging als „Blutiges Allerheiligen“ in die Geschichte ein (Toussaint sanglante). Die Kämpfer gegen Frankreich gehörten zur „Algerischen Befreiungsfront“ (FLN). Zu Ende war die französische Herrschaft, die oftmals in eine Terrorherrschaft abglitt, exakt am 2. Juli 1962 – 2013 also vor bald 50 Jahren.
In den Jahren des algerischen Freiheitskampfes ermordeten nach heutigen Schätzungen die Franzosen mit ihren Militärs bis zu 350.000 Algerier. Die Europäer führen diesen scheußlichen Krieg neutral in den Geschichtsbüchern als „Algerienkrieg“. In Frankreich benötigte man sogar bis 1999, um wenigstens diese neutrale Begrifflichkeit zu akzeptieren. Erst zu diesem Zeitpunkt erlaubte die französische Nationalversammlung, diesen Begriff im offiziellen Sprachgebrauch.
Geholfen hat den Algeriern niemand – auch die UNO nicht
Geholfen hatte den algerischen Bürgern während ihres Unabhängigkeitskrieges zwischen 1954 und 1962 fast niemand – auch die UNO nicht. Zum Vergleich: Sie hatte im Jahr 2011 unter dem Generalsekretär Ban KiMoon nur wenige Wochen benötigt, um zu entscheiden, das Regime um den 40 Jahre regierenden libyschen Diktator Muhammed al Gaddafi mit Hilfe des westlichen Kriegsbündnisses NATO durch ein von Drohnen gesteuertes Dauerfeuer aus der Luft zu zermalmen.
Federführend waren natürlich Afrikas wichtigste ehemalige Kolonialmächte: Frankreich und Britannien. Ausgerechnet möchte man sagen. Sie brachten während des Libyen-Krieges im Jahr 2011 mit ihren Kampfflugzeugen und zehntausenden abgeworfenen Bomben nach Schätzungen rund 50.000 Libyer innerhalb nur eines halben Jahres um. Bis auf kritische watchdogs, wie beispielsweise kriegsberichterstattung.com, haben sich die Medien im Westen noch nicht einmal annähernd bemüht, das militärische, teils kriegsverbrecherische Tun der Europäer und der U.S.-Regierung, in Libyen kritisch zu hinterfragen. Dabei hätten gerade die Europäer mit ihrer menschenverachtenden Kolonialgeschichte allen Grund dazu gehabt.
Bis zum heutigen Tage benehmen sich Franzosen und Briten in afrikanischen Konflikten noch immer gerne so, als hätten sie als ehemalige Kolonialmächte in Afrika Sonderrechte. Die Arroganz, die sie dabei oftmals an den Tag legen, stinkt zum Himmel. Bis heute verweigern sie umfangreiche Reparationszahlungen an die geschundenen Staaten, an Millionen Menschen, deren Existenz die Europäer nachhaltig zerstört oder zumindest erheblich beschädigt haben.
Die französische Kolonialherrschaft begann in Algerien im Jahr 1830. Damals besetzten französische Truppen Algier, Oran und Bône. Bis 1847 kämpfte der Algerier Abd al-Qadir mit Verbündeten gegen die französischen nicht willkommenen Besatzer – jedoch vergebens.
Ab 1848 sprach Frankreich sogar größenwahnsinnig von einem „Bestandteil Algeriens zum Mutterland“
Ab 1848, nach der Februarrevolution, ging die französische Regierung dazu über, Algerien gar als Bestandteil des Mutterlandes, also Frankreich, anzusehen. Dem folgten eine Millionen Europäer als Siedler in das Land – Franzosen, Spanier, Italiener. Sie ließen sich dort häufig für Generationen nieder. Aus damaliger Sicht war das für viele Europäer eine natürlich Ausdehnung von Lebensraum. Die Verbrechen wurden in der Regel auch nicht von den neuen Siedlern, sondern den europäischen Regierungen begangen.
Hilfe bekamen die Siedler von der französischen Regierung. Sie hatte Tausende Algerier enteignete und umfangreich Grundbesitz an die neuen europäischen Siedler verschenkt oder verkauft. Ein Unrechtsbewusstsein war scheinbar überhaupt nicht vorhanden. Den eine Millionen Europäern standen in Algerien rund 8,1 Mio. Algerier gegenüber. Jedoch galt: Das volle französische Bürgerrecht gestand Frankreich nur der weißen Bevölkerung zu. Das hatte Frankreich in dem „Code de lìndigénat“ im Jahr 1875 festgelegt. Im Zweiten Weltkrieg mussten die Algerier obendrein an der Seite der Franzosen gegen die Deutschen kämpfen.
Doch hatten die Franzosen die Rechnung ohne ihren Wirt gemacht. Denn gerade der Einsatz von Zehntausenden Algeriern im Zweiten Weltkrieg führte dazu, dass die Algerier selbst zu kämpfen und siegen lernten. Es war der Anfang vom Ende der französischen Besetzung. Bereits 1945, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kam es in Algerien zu erheblichen Unruhen, die die Franzosen nur mit Terroraktionen und Massakern an Tausenden Algeriern in den Griff bekamen – vorübergehend.
Ab 1956 war der Widerstand gegen die Franzosen in Algerien so groß, dass sich Frankreich gezwungen sah, den „totalen Krieg“ auszusprechen. Er sollte ein für alle Mal den französischen Besitzstatus sichern („France Digs In for Total Algerian War“). Dennoch wurde es für die Franzosen immer enger. Mit der Ausrufung des „totalen Krieges“ verstärkten auch die Nachbarländer, Marokko und Tunesien – ebenfalls ehemalige europäische Kolonien – ihre Hilfe für die in Not befindlichen Algerier.
Dennoch erschien der Freiheitskampf der Algerier zunächst immer noch aussichtslos. Sie standen einer gigantischen französischen Armee von 500.000 bis 1,7 Mio. Mann gegenüber. Gespeist wurde sie auch aus den besonders brutalen und menschenverachtenden Fremdenlegionen (die die Franzosen bis zum heutigen Tage offen oder heimlich in Afrika einsetzten – z.B. in Libyen) sowie der Fallschirmjäger-Elitegruppe, den réserve générale (10. und 25. Luftlandedivision).
Die Leichen in die Seine geworfen
Der Unabhängigkeitskampf der Algerier wurde jedoch nicht nur im Heimatland geführt, sondern auch in der französischen Hauptstadt Paris. Hier demonstrierten beispielsweise am 17. Oktober 1961 rund 30.000 Algerier gegen die französische Besatzung. Doch auch hier schreckte der französische Staat nicht vor Mord an friedlichen Demonstranten zurück. So schoss die Pariser Polizei wahllos mit scharfer Munition in die Menge und ermordete rund 200 Algerier, die anschließend teils in den Fluss Seine geworfen wurden, besagen Berichte. Obendrein nahm die französische Polizei die gigantische Menge von 14.000 Algeriern fest, internierte sie in Pariser Sportstadien oder Gefängnissen.
Offiziell unabhängig wurde Algerien schließlich am 18. März 1962. Es war der Tag, an dem der französische Präsident Charles de Gaulle die Unabhängigkeitserklärung unterschrieb. Die Algerier selbst stimmten am 1. Juli 1962 über ihre Unabhängigkeit ab. 99 Prozent waren dafür. Damit war endgültig klar, dass dieses auch das Ende des zügellosen französischen Siedlertums in Afrika bedeuten würde. Auch wenn de Gaulle den Siedlern ihr Eigentum garantiert hatte, so flüchteten in den Jahren nach der Unabhängigkeitserklärung dennoch Hunderttausende Europäer aus Algerien zurück nach Europa, meist nach Frankreich.
Viele fürchteten um ihr Leben und waren letztlich genauso unschuldig wie die Algerier selber. Sie hatten im Laufe von über Hundert Jahren Algerien als ihre Heimat kennengelernt. Aus individueller Sicht eine absolut verständliche Sichtweise. Auch sollte nicht vergessen werden, dass Hunderttausende Europäer, die in Afrika lebten, und das gilt natürlich auch für die Franzosen, auch einen überaus positiven Einfluss auf die Entwicklung der afrikanischen Länder hatten.
Die Bilanz des fast acht Jahre dauernden Freiheitskrieges der Algerier gegen ihre französischen Besatzer: 17.459 gefallene französische Soldaten, darunter rund 2000 Fremdenlegionäre. Die algerischen Freiheitskämpfer um die FLN schätzt ihre eigenen Verluste auf 300.000 bis 350.000 Menschenleben – eine Zahl die später sogar von Frankreich offiziell anerkannt wurde, allerdings mit der Einschränkung, dass es möglicherweise „auch nur“ 141.000 getötete Algerier sein könnten. Andere Zahlen sprechen jedoch sogar von 1,5 Mio. durch Frankreich getötete Algerier. Anfang 1962 lebten in dem großen afrikanischen Staat 11 Mio. Menschen, darunter rund 1 Mio. Nicht-Muslime.
Dass die brutale französische Kolonialgeschichte in Algerien nicht in Vergessenheit gerät, ist auch den Filmemachern Jean-Michel Meurice und dem Historiker Benjamin Stora zu verdanken, deren Werke jetzt auf ARTE TV zu sehen sind. Dennoch sollte beachtet werden: Die Algerier haben bis zum heutigen Tage keine wirkliche repräsentative Demokratie. Das zu erreichen kann aber nicht Aufgabe externer Kräfte sein.
kriegsberichterstattung
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